18. Juli 2008

Viele Generationen blickten hoch zur Bistritzer Turmuhr

Dem Bistritzer Turm mit seiner Uhr, den Glocken und dem Turmwächter hat der Bistritzer Schriftsteller Franz K. Franchy in dem Roman „Maurus und sein Turm“ ein Denkmal gesetzt: „Im Mittelpunkt der Stadt ragte der Turm empor, den trotziger Vorfahrensinn nahezu hundert Meter hoch steil aufgerichtet hatte. Er durchstieg das Geviert des geschlossenen Marktplatzes mit einer klaren, eindeutigen Geste und leuchtete aus goldenem Knauf seine strahlende Freude über die Nähe der Wolken und des weiten Himmels. Er duldete es nicht, dass jemand achtlos an ihm vorübergehe.“
Es folgt eine Beschreibung des beschwerlichen Aufstiegs über die Wendeltreppe bis zu dem Glockestuhl und der Galerie. „In wuchtigem Balkengefüge ruhten die Glocken, … deren Brausen sie fernhin schicken konnten, wohl bis an den Rand, gar zu den Gipfeln der Ostkarpaten, die blau und riesig in der Ferne lagen.“ - „Hier war auch das Uhrwerk, wohlgelagert und glänzend in seinem Eichengehäuse, sorgsam gesäubert von Staub und Spinnweben, rastlos in seinem Gange. Keiner der jetzt Lebenden konnte sich erinnern, dass diese großen Scheiben, die allen vier Himmelsrichtungen ihr helles Antlitz zeigten, jemals ausdruckslos geblieben wären. In Stetigkeit und Stille stiegen und sanken die meterlangen Zeiger, und kein Menschensinn versuchte die Runden zu zählen, die sie vollendet hatten.“
Das 1861 in Prag gefertigte Uhrwerk. Die Aufnahme ...
Das 1861 in Prag gefertigte Uhrwerk. Die Aufnahme entstand wenige Tage vor dem Brand am 11. Juni 2008, dem Uhr und Uhrwerk zum Opfer fielen. Foto: Dr. Hans Georg Franchy
So kannten wir Bistritzer unseren Turm und die Uhr. Man hätte meinen können, alles sei für die Unendlichkeit geschaffen. Niemand konnte ahnen, dass am 11. Juni diesen Jahres die Zeiger der Uhr sich nicht mehr drehen würden, der Glockenstuhl ausgebrannt und die Glocken in der furchtbaren Hitze des Brandes geschmolzen in Schutt und Asche untergehen würden. Den Bistritzern war ihre Turmuhr wichtig. Zahlreiche Generationen haben zigmal am Tag zur Turmuhr aufgeblickt, um nichts zu versäumen und den Tagesablauf danach zu regeln. Selbst in den letzten Jahren, da beinahe jeder eine Handuhr hatte oder auf dem Handy die Uhrzeit digital ablesen konnte, war der Turm nicht nur räumliche Orientierungshilfe, sondern auch ein Zeitgeber und Zeitbestimmer.

Die Bistritzer waren schon im Mittelalter daran interessiert, wissenschaftliche und technische Errungenschaften schnell umzusetzen. So wundert es nicht, dass sie sich schon 1519 mit der Errichtung des fünften und letzten Stockwerks eine Turmuhr leisteten. Diese funktionierte nicht zur Zufriedenheit der Stadtverwaltung, wurde mehrfach repariert und 1534 nach Dürrbach verkauft. Die neue Uhr war besser, sie zeigte nicht nur die Uhrzeit, sondern auch die Mondphasen an. Die Uhrzeiger waren in vergoldeten Kugeln derart befestigt, dass diese bei ihrer Drehung in 28 Tagen alle Mondphasen darstellten, vom Neumond bis zum Vollmond. Der verheerende Stadtbrand von 1857, der in der Holzgasse ausbrach und 214 Häuser über den Kornmarkt bis zur Spitalgasse und untere Vorstadt erfasste, griff auch auf den Turm über. Auch diesmal brannte der Turm völlig aus. Die große Glocke war geschmolzen, die mittlere Glocke stürzte in die Tiefe und zerbarst, die kleine Glocke, 1555 gegossen, überlebte das Feuer, fiel in die steinerne Treppe und konnte später wieder aufgehängt werden. Das Uhrwerk, die Uhr verbrannte. Beherzten Männern gelang es, mit Handspritzen das Feuer im Kirchendach zu löschen (siehe Kurt Csallner, Nösner Heimatbuch).
Evangelische Stadtpfarrkirche in Bistritz zehn ...
Evangelische Stadtpfarrkirche in Bistritz zehn Tage nach der Brandkatastrophe vom 11. Juni 2008. Foto: Dr. Hans Georg Franchy
Obwohl die Bistritzer durch diesen Brand in große finanzielle Not geraten waren, wurde 1861 eine neue, in Prag gefertigte Turmuhr angebracht. Die Zifferblätter, die vorher in den obersten Ecken des fünften Stockwerks waren, wurden nun zentral angebracht, nachdem das Mauerwerk um einen Meter erhöht wurde. Von dieser Uhr und dem Uhrmacherlehrling, der täglich auf den Turm musste, um sie aufzuziehen, schreibt F. K. Franchy im oben genannten Roman. Nun gibt es auch diese Uhr nicht mehr. Der Turm hat kein Gesicht mehr, er ist stumm und zeitlos. Kinder aus sozial schwachen Familien haben in ihrem Leichtsinn, begünstigt durch eine völlig unbefriedigende Absicherung der Baustelle, eine ungeahnte Feuerbrunst ausgelöst.

Die Heimatortgemeinschaft Bistritz-Nösen hat sich, neben Maßnahmen zur Soforthilfe, zum Ziel gesetzt, dem Turm das Gesicht und den Bistritzern die Uhr, zur zeitlichen Orientierung, wieder zu geben. Eine neue Turmuhr, in Deutschland gebaut, ist nicht billig. Bis zu 30 000 Euro€ müssten ausgegeben werden, damit sich die Zeiger wieder drehen. Damit soll jedoch ein deutliches und bleibendes Zeichen der Verbundenheit der geflüchteten und ausgewanderten Bistritzern zu der Heimatstadt, zu unseren dort verbliebenen 300 Landsleuten und zu den mittlerweile über 80 000 Menschen, die in Bistritz leben, gesetzt werden. Auch für dieses Projekt wird um Spenden gebeten.

Hans Franchy

Schlagwörter: Stadtpfarrkirche Bistritz

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