5. Juni 2011

„Gedenke der deutschen Söhne und Töchter Siebenbürgens“

So lange die Siebenbürger Sachsen ihre alljährlichen Heimattage in Dinkelsbühl abhalten, werden sie mit Sicherheit auch in einer würdevollen Feierstunde ihrer Toten an der Gedenkstätte gedenken. Das werden sie auch am Pfingstsonntag, dem 12. Juni 2011, um 22.00 Uhr, tun. Der folgende Beitrag dokumentiert, wer die Männer waren, die ihre Idee, das Gedenken an unsere Toten in Stein zu meißeln, trotz vieler Schwierigkeiten verwirklicht haben, so dass die Gedenkstätte zu Pfingsten 1967 eingeweiht werden konnte.
Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs haben die Siebenbürger Sachsen ihrer Toten auf den Friedhöfen ihrer Städte und Gemeinden in Siebenbürgen gedacht. Schon in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg lebten viele Landsleute außerhalb des angestammten Siedlungsgebietes, in Deutschland, Österreich, den USA, Kanada, wo sie keine Möglichkeit hatten, gemeinsam ihrer Toten zu gedenken.

Unserem Landsmann Volkmar Fromm kam daher der Gedanke, in Deutschland, wo inzwischen die meisten Siebenbürger Sachsen außerhalb des Siedlungsgebietes lebten, eine zentrale Gedenkstätte für unsere Toten der zwei Weltkriege und der schweren Nachkriegsjahre zu errichten. Anfang April 1966 trug er diesen Gedanken an Erhard Plesch, den damaligen Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, und dessen Stellvertreter, Dr. Wilhelm Bruckner, heran. Er stieß auf offene Ohren. Neben der Finanzierung des Vorhabens wurde ein Standort für das Vorhaben gesucht. Am besten dafür geeignet war – so die allgemeine Meinung – Dinkelsbühl, die mittelalterliche ehemalige freie Reichsstadt, wo alljährlich zu Pfingsten der Heimattag der Siebenbürger Sachsen stattfindet.

Ende April 1966 fuhren Dr. Wilhelm Bruckner und Volkmar Fromm nach Dinkelsbühl, um mit dem 1. Bürgermeister der Stadt, Dr. Friedrich Höhenberger, und dem zuständigen Stadtbaumeister über einen entsprechenden Standort für die Gedenkstätte zu verhandeln. Das Gelände wurde besichtigt und als geeignet für die Gedenkstätte der Platz unter der Lindenallee, auf der „Alten Promenade“, vorgeschlagen. Zusätzlich wurde angeregt, eine „Glocke der Heimat“ in dem nahe gelegenen Wehrturm an der Stadtmauer unterzubringen. Die Stadt stellte auch ein Gebäude zur Verfügung, das von Landsleuten renoviert und als „Siebenbürger Haus“ bekannt wurde. Hier wurden später die Gedenkbücher aufbewahrt.

Zum Mitarbeiterstab, der die Gedenkstätte plante und errichtete, gehörten neben Volkmar Fromm (früher Kronstadt) und Kurt Witting (früher Kronstadt) auch Bauingenieur Wolfram Schuster (früher Birk), Dipl.-Ing. Franz Letz (früher Schäßburg), zuständig für die Bauarbeiten im Siebenbürger Turm und die neue Glocke, und Carl Knopf (früher Kronstadt), der die Toten in den Gedenkbüchern erfassen sollte.
Die Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen zu ...
Die Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen zu Pfingsten 1967. Fotoarchiv Kurt Witting
Ein Wettbewerb für Architekten und bildende Künstler wurde Mitte Juli 1966 in der Siebenbürgischen Zeitung ausgeschrieben. Die eingereichten Entwürfe und Modelle wurden in Dinkelsbühl vom 13.-16. November 1966 der Öffentlichkeit vorgestellt. Am 12. November 1966 wurde durch den Preisrichterbeschluss der Gemeinschaftsentwurf des Architekten Dipl.-Ing. Hans Wolfram Theil (früher Schäßburg) und der Bildhauerin Hanne Schorp-Pflumm (Stuttgart) angenommen und Hans Wolfram Theil mit der Errichtung der Gedenkstätte beauftragt.

Am 7. Januar 1967 fand in der Geschäftsstelle der Landsmannschaft in München (damals in der Sendlinger Straße) eine Sitzung der Landesvorsitzenden statt. Außer diesen waren anwesend: Bundesvorsitzender Erhard Plesch (früher Sächsisch-Regen), Dr. Oswald Teutsch (früher Kronstadt), Bundesobmann der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Österreich, Studienrat Hans Philippi (früher Kronstadt), Volkmar Fromm, Wolfram Schuster und Kurt Witting. Architekt Dipl.-Ing. Hans Wolfram Theil informierte die Anwesenden über die architektonische und bildhauerische Gestaltung der Gedenkstätte.

Kurt Witting, verantwortlich für die Finanzierung des Vorhabens, schlug vor, eine „Bausteinaktion“ mit Spenden im Wert von 20 DM je Baustein zu starten. Volkmar Fromm regte an, eine Gedenkmünze zu prägen und für je 20 DM zu verkaufen. Ausgehend von einem Kostenvoranschlag, nannte Witting die Summe von 74800 DM für das gesamte Vorhaben, Gedenkstätte und die „Glocke der Heimat“, die im Wehrturm hängen sollte. Es wurde angestrebt, die Gedenkstätte und „Glocke der Heimat“ zu Pfingsten 1967 einzuweihen. Für die Verwirklichung der Beitragssammlung wurden 4000 Gedenkmünzen und 15000 „Bausteine“ vorgesehen.

Die Gedenkmünze. ...
Die Gedenkmünze.
Nach diesen Beschlüssen informierte Erhard Plesch die Landsmannschaften in Kanada und den USA über das Vorhaben. Die Gedenkstätte sollte alle Landsleute auf der ganzen Welt verbinden. Deshalb wurden die Landsleute in Nordamerika, aber auch jene in Schweden, Dänemark, England, Frankreich, der Schweiz, Italien, Peru, Mexiko, Australien, Argentinien u.a. aufgefordert, sich zur siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft zu bekennen, indem sie mit einer Spende zur Errichtung der Gedenkstätte beitragen.

Ende Januar 1967 fand in Salzburg eine Besprechung mit den Landesobmännern der Landsmannschaft aus Österreich statt. Der rege Gedankenaustausch brachte ein Problem zutage, das schon in München angesprochen worden war. Die ursprüngliche Inschrift „Gedenke der Söhne und Töchter Siebenbürgens, die in zwei Weltkriegen und schweren Nachkriegsjahren deutsches Schicksal teilend ihr Leben ließen“ wurde kritisiert, weil nicht alle Siebenbürger Sachsen in den beiden Weltkriegen „deutsches Schicksal“ geteilt hatten. Einige hatten ihr Leben in fremden Armeen gelassen, gegen Deutschland kämpfend. Deshalb wurde die Inschrift wie folgt geändert: „Gedenke der deutschen Söhne und Töchter Siebenbürgens, die in zwei Weltkriegen und schweren Nachkriegsjahren ihr Leben ließen.“

Dipl.-Ing. Franz Letz wurde beauftragt, Angebote für die Glocke der Heimat einzuholen. Wichtig war dabei, dass sich die neue Heimatglocke harmonisch in das Geläute Dinkelsbühls einfügen und möglichst tief gestimmt sein sollte.

Die von Kurt Witting organisierte und durchgeführte Spendenaktion mit Bausteinen und Gedenkmünzen erbrachte nach wiederholten Veröffentlichungen in der Siebenbürgischen Zeitung unter dem Motto „Steh in Deines Volkes Mitte – wir bauen alle mit“ einen Betrag von 130000 DM ein. Somit konnten alle Aufwendungen für die Errichtung der Gedenkstätte, die Planung, die Fundamente, der Kauf und die Bearbeitung der Steine, die Renovierung des Turmes, die Glocke der Heimat, die Renovierung des Siebenbürger Hauses, das Prägen der Gedenkmünzen und die Anschaffung der Gedenkbücher aus eigenen Mitteln bestritten werden.

Inzwischen bestand der mit viel gutem Willen und Begeisterung konstituierte Arbeitskreis zur Errichtung der Gedenkstätte nur noch aus Erhard Plesch, Volkmar Fromm und Kurt Witting. Trotzdem liefen die Vorbereitungen nach Plan und so fand am 15. April 1967 die feierliche Grundsteinlegung, einschließlich der Einmauerung der Urkunden, statt. Nach Absprache der Landsmannschaft mit der Stadt Dinkelsbühl und dem dortigen Postamt wurden alle Postsachen vom 1. Mai 1967 bis nach dem Heimattag mit einem Sonderstempel abgefertigt.

Die Gedenkstätte wurde in einer beeindruckenden Feierstunde am Pfingstsonntag, dem 14. Mai 1967, gemeinsam durch die Landsmannschaften der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Österreich, den USA und Kanada eingeweiht. Pünktlich um 12 Uhr erklang auf der „Alten Promenade“ außerhalb der alten Stadtmauern die Dinkelsbühler Festfanfare, anschließend der Choral: „Befiehl du deine Wege.“ Es folgte die sehr bewegende Ansprache von Dr. Dr. h.c. Heinrich Zillich. Niemand schämte sich der Tränen, als die Fahnen sich senkten und das Lied „Ich hatt’ einen Kameraden“ erklang. Dann wurde die Gedenkstätte von Pfarrvikar Weking Weltzer geweiht, und der Choral „Großer Gott wir loben dich“ erklang. Nach der Ansprache von Dinkelsbühls Bürgermeister Dr. Höhenberger lauschte die Menge tief ergriffen den Tonbandklängen von Kirchenglocken aus der alten Heimat. Mit dem Siebenbürgen-Lied wurde die Einweihungsfeier abgeschlossen.

Die „Glocke der Heimat“ konnte nicht, wie vorgesehen, am selben Tag eingeweiht werden, da die Finanzierung noch nicht abgesichert war. Die Einweihung wurde ein Jahr später zu Pfingsten 1968 nachgeholt. Seither läutet die Glocke jedes Jahr den Heimattag ein. Sie läutet auch am Pfingstsonntagmorgen und vor allem am Abend zur Feierstunde bei der Gedenkstätte.

Am Pfingstsonntagnachmittag 1967, beim traditionellen Empfang im Rathaus, nahm Erhard Plesch die Schlüssel der Stadt Dinkelsbühl an, als Zeichen dafür, dass die Stadt den Siebenbürger Sachsen immer offen stehe. Er würdigte die Verdienste unserer Landsleute Volkmar Fromm und Kurt Witting am Zustandekommen der Gedenkstätte und überreichte ihnen das Goldene Ehrenwappen der Landsmannschaft.

In seiner Festrede beim Heimattag sagte Erhard Plesch: „Die Gedenkstätte in Dinkelsbühl wird uns heute Lebende und auch spätere Generationen dazu aufrufen, dem Dichterwort Michael Alberts treu zu folgen: Deiner Sprache, deiner Sitte / Deinen Toten bleibe treu!/ Steh in deines Volkes Mitte,/ Was sein Schicksal immer sei! Wenn wir dieser Verpflichtung treu bleiben, wenn wir sie an unsere Kinder und auch an unsere Mitmenschen weiter geben, dann dürfte, trotz schwerster Schicksalsschläge, die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen auch außerhalb Siebenbürgens über Grenzen hinweg, wenn auch in neuen Formen, noch weiter fortbestehen“. Diese Ansprache wird im Fundament der Gedenkstätte aufbewahrt.

Seither findet jedes Jahr beim Heimattag eine beeindruckende Feierstunde zu Ehren unserer Toten statt. Am Pfingstsonntag um 21 Uhr setzt sich der Fackelzug, angeführt von der Dinkelsbühler Knabenkapelle, in Bewegung. Der lange Zug marschiert von der Schranne über den Weinmarkt durch die Segringer Straße und das Segringer Tor zur Promenade außerhalb der Stadtmauern, hier entlang der schönen alten Lindenallee bis zu unserer Gedenkstätte. Nachdem am Ort des Gedenkens feierliche Stille herrscht, erklingt die Melodie des Liedes „Ich hatt’ einen Kameraden.“ Es folgt die Ansprache zum Gedenken unserer Toten, dann der „Große Zapfenstreich“ und zum Schluss erklingt das Deutschlandlied.

Die in Leder gebundenen Gedenkbücher, sieben an der Zahl, werden alljährlich beim Heimattag im Siebenbürger Turm in Dinkelsbühl öffentlich ausgelegt und dienen der Eintragung unserer Toten der beiden Weltkriege und derer, die in schweren Nachkriegsjahren ihr Leben ließen. Sie umfassen sämtliche Kirchenbezirke Siebenbürgens. Die Eintragungen sollten von den Angehörigen der Toten erfolgen. Auch heute noch werden Eintragungen in die Gedenkbücher vorgenommen. Auch wenn sie nie vollständig sein werden, stimmen die Bücher den Betrachter nachdenklich und machen deutlich, wie viele Brüder und Schwestern unser kleines Sachsenvolk in den beiden Weltkriegen und den Jahren danach verloren hat. Die Gedenkbücher werden beim Sitz des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in München aufbewahrt und können dort eingesehen werden.

Werner Philippi

Schlagwörter: Dinkelsbühl, Gedenkstätte

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