6. Juli 2022

75 Jahre Hilfskomitee: Beistand und Begleitung unserer Landsleute, Teil 2

Im zweiten Teil des Artikels über das 75-jährige Gründungsjubiläum der Gemeinschaft Evangelischer Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben im Diakonischen Werk der EKD (Hilfskomitee) geht Prof. Dr. Berthold Köber auf die Entwicklungen nach 1981 ein. Der Artikel ist zuerst in der Beilage "Kirche und Heimat", Siebenbürgische Zeitung, Folge 7 vom 30. April, Seite 7, erschienen und setzt den ersten Teil des geschichtlichen Überblicks fort (SbZ Online vom 18. April 2022).
Die Siebenbürgische Kantorei zu Gast in der ...
Die Siebenbürgische Kantorei zu Gast in der Tartlauer Kirchenburg. Foto: Georg Hutter

Das Hilfskomitee angesichts einer veränderten sozialpolitischen Lage

Am 8. November 1981 wurde Pfarrer Wieland Graef zum neuen Vorsitzenden und mit ihm ein neuer Vorstand gewählt. Der bisherige langjährige Vorsitzende, Oberstudienrat Hans Philippi, hatte sich nicht wieder zur Wahl gestellt. Die prominenten Vertreter des Hilfskomitees, die am bisherigen Kurs festgehalten und sich für ein Bleiben in Siebenbürgen eingesetzt hatten, bekamen keine Stimmenmehrheit mehr und schieden aus. Gemeinsam mit gleichgesinnten, in Deutschland lebenden Landsleuten sowie mit Freunden Siebenbürgens schlossen sie sich zum Evangelischen Freundeskreis Siebenbürgen e.V. mit eigener Satzung und Zielsetzung zusammen. Die Wahl von Wieland Graef war eine günstige Voraussetzung für die Normalisierung des Verhältnisses des Hilfskomitees zur Landsmannschaft, da er bisher bei ihr stellvertretender Bundesvorsitzender war.

Inzwischen hatte sich die sozialpolitische Lage für uns, Siebenbürger, verändert. Die durch die Kriegs- und Nachkriegsereignisse bedingte Familienzusammenführung war im Wesentlichen abgeschlossen. Doch infolge des Abkommens zwischen dem damaligen Bundeskanzler H. Schmidt und dem Ceausescu-Regime kamen ab 1978 Aussiedler in immer größerer Zahl nach Deutschland. Angesichts dessen betrachtete es der neue Vorstand als seine vorrangige Aufgabe, sich der Aussiedler anzunehmen und sie bei ihrer Eingliederung in die bundesdeutsche Gesellschaft und Evangelische Kirche mit Rat und Tat seelsorgerlich und diakonisch zu begleiten und zu unterstützen. Rüstzeiten für alle Altersgruppen sollten die Aussiedler auf einen Neuanfang in ganz anderen sozialen, politischen und kirchlichen Verhältnissen vorbereiten und ermutigen. Es wurde ihnen Beratung in wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Fragen durch fachkundige Referenten angeboten. Daneben setzte das Hilfskomitee seine Tätigkeit in der bekannten und bewährten Weise wie bisher fort. Um diesen neuen Herausforderungen besser gerecht zu werden, wurde das Hilfskomitee ein Eingeschriebener Verein (e.V.). Gab es bis dahin eine lose Zugehörigkeit jedes Siebenbürger Sachsen und evangelischen Banater Schwaben, so ermöglichte diese Umwandlung eine ordentliche Mitgliedschaft und eine dadurch legitimierte Zugehörigkeit. Unverändert blieben aber Auftrag und Ziel in seiner Arbeit, auch wenn sich die Schwerpunkte angesichts der neuen Situation verlagerten.

Die Haltung der Kirchenleitungen

Das Hilfskomitee unter Leitung von OStR Hans Philippi und die Leitung der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) waren sich in ihrer Ablehnung der Auswanderung und besonders der Pfarrer einig gewesen. Der bisherige Vorstand besaß das ganze Vertrauen der kirchenleitenden Gremien der EKD wie auch der EKR. Das war der Grund, dass die Wahl des neuen Vorstandes und dessen neuen Vorsitzenden zunächst weder von der EKD noch von Bischof Albert Klein anerkannt wurde. Erst eine Reise von Wieland Graef nach Siebenbürgen und ein Gespräch mit dem Bischof führten zu einer bedingten Anerkennung der Wahl. Unverändert blieb aber die strikt ablehnende Haltung des Bischofs in der Frage der Anstellung ausgewanderter Pfarrer in den Dienst der EKD. Das hatte für die betreffenden Pfarrer und ihre Familien schwerwiegende existenzielle Folgen. Unsere in Siebenbürgen wirkenden Pfarrer nahmen nicht nur die geistlichen Belange unserer Gemeinden wahr, sondern setzten sich auch für die Erhaltung und Pflege unsrer sozialen und kulturellen Überlieferungen ein und wirkten leitend. Aus diesem Grund ließ das nationalkommunistische Regime in Rumänien bevorzugt gerade Pfarrer ausreisen, um dadurch Kirche und Volk bewusst zu schwächen. Dessen war sich die Kirchenleitung nur zu gut bewusst.

Um die Pfarrer vom Auswandern abzuhalten, trat schon Bischof D. Dr. Friedrich Müller (1945 – 1969) dafür ein, dass die Gliedkirchen der EKD keine ausgewanderten Pfarrer in ihren Dienst übernehmen sollten; das wäre unvereinbar mit ihrer Berufung und Funktion. Diese rigide Haltung nahmen später auch Bischof D. Albert Klein (1969 – 1990) und das Landeskonsistorium ein. Bischof A. Klein war sich zudem nicht zu schade, aus diesem Grund in Gesprächen mit Vertretern der EKD die Pfarrerausbildung an unserem Theologischen Institut in Hermannstadt abzuwerten: sie sei nicht zu vergleichen mit der Ausbildung in Deutschland. Diese Ansicht vertrat auch der Heidelberger Prof. Dr. Paul Philippi als ein entschiedener Gegner der Auswanderung. Das führte dazu, dass unsere gute Ausbildung etwa in der Württembergischen Landeskirche nur als ein „etwas besserer Konfirmandenunterricht“ bezeichnet wurde, die nicht einmal mit der dortigen Diakonenausbildung vergleichbar sei. Das alles hat die Pfarrer aber nicht davon abgehalten, auszuwandern. Nachdem Wieland Graef 1983 in den Seelsorgedienst der Bundeswehr wechselte, übernahm der ehemalige Bistritzer Stadtpfarrer und Dechant und damalige Pfarrer in Drabenderhöhe, Kurt E. Franchy, kommissarisch den Vorsitz; nach zwei Jahren wurde er regulär zum neuen Vorsitzenden gewählt.

Die Siebenbürgische Kantorei

Bald darauf wurde Wieland Graef die Leitung des neu gegründeten württembergischen Landespfarramtes für Aussiedlerseelsorge übertragen. In dieser Funktion und zugleich als Stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Hilfskomitees lud er im November 1987 gezielt Sängerinnen und Sänger zu einer Rüstzeit mit Aussiedlern aus Siebenbürgen ein. Es sollten größere Werke siebenbürgischer Komponisten für den 22. Siebenbürgisch-sächsischen Kirchentag vom 2.-4. September 1988 in Heilbronn einstudiert werden. Dank seines persönlichen Engagements in der Folgezeit sowie der Unterstützung durch das Hilfskomitee wurde die Siebenbürgische Kantorei zu einer festen Institution. Maßgeblichen Anteil daran hatten auch sein erster Dirigent, Diether Barthmes, und seine Nachfolgerin, die bekannte Kirchenmusikerin Ilse Maria Reich, sowie die engagierten Sängerinnen und Sänger. Seit Pfingsten 2014 hat Andrea Kulin, ausgebildete Kirchenmusikerin, die Leitung des Chores inne. Erklärtes Ziel der Siebenbürgischen Kantorei ist es, vor allem ältere und zeitgenössische siebenbürgische Musik und im Besonderen Kirchenmusik zu pflegen, lebendig zu erhalten und bei verschiedenen Auftritten, Konzerten, Konzertreisen im In- und Ausland sowie durch CD-Einspielungen bekanntzumachen.

Bemühungen um Anerkennung und Förderung

Der neugewählte Vorsitzende, Kurt E. Franchy, setzte sich im Besonderen für die Anerkennung des Hilfskomitees durch die kirchlichen und diakonischen Gremien ein. Erst dank der Vermittlung durch den damaligen Aussiedlerpfarrer und späteren Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland, Siegfried Springer, kamen überhaupt klärende Gespräche mit Persönlichkeiten im Kirchenamt der EKD zustande. Eine entscheidende Wende setzte aber erst ein, als Dr. Karl-Heinz Neukamm Präsident des Diakonischen Werkes und auch Mitglied des Rates der EKD wurde. In ihm fand das Hilfskomitee einen verständnisvollen und beherzten Förderer seiner Arbeit. Er trat für eine differenzierte Beurteilung der Lage der Siebenbürger ein, begleitete und unterstützte die Arbeit des Hilfskomitees, predigte an Kirchentagen und Großveranstaltungen und setzte sich für die Bereitstellung von Hilfsmitteln, besonders für Medikamente und medizinische Betreuung, ein. Das Hilfskomitee weiß sich ihm zu bleibendem, großen Dank verpflichtet. Die Verbindung zur Heimatkirche zu intensivieren war ein weiteres wichtiges Anliegen von Kurt Franchy. Zu diesem Zweck besuchte er wiederholt Siebenbürgen und führte Gespräche mit Bischof A. Klein betreffend die Lage der Kirche und der Gemeindeglieder. K. Franchy resümiert: „Auch wenn die Gespräche nicht spannungsfrei verliefen, so habe ich nicht daran gezweifelt, dass sie trotz der Gegensätze vom Geist christlicher Verantwortung geprägt waren.“ (Im Sonderdruck „60 Jahre Hilfskomitee“ hrsg. 2007 von Kurt Franchy, 19f.) In der Frage der Übernahme der ausgewanderten Pfarrer in den Dienst der EKD blieb Bischof Klein aber unnachgiebig. Daher setzte sich Kurt Franchy bei den Gliedkirchen der EKD umso intensiver für die Übernahme der betroffenen Pfarrer persönlich durch wiederholte schriftliche Eingaben, Befürwortungen und direkte Gespräche ein. In einzelnen Fällen führte das zum Erfolg. Eine Neuregelung sollte aber erst nach der Wende 1989/1990 erfolgen.

Gemeinschaft evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer aus Siebenbürgen in Deutschland

Unabhängig vom Hilfskomitee und noch vor den Neuwahlen hatte sich 1981 die „Gemeinschaft evangelischer Pfarrer aus Siebenbürgen“ – so der ursprüngliche Name - gegründet, ein Zusammenschluss zur Vertretung und Wahrung der Interessen der ausgesiedelten Pfarrer. Der Vorstand setzte sich dafür ein, den Betroffenen zu einer Übernahme in den Dienst einer Landeskirche zu verhelfen und ihnen und ihren Familien in der schweren Zeit der Ungewissheit, was ihre Zukunft betraf, beizustehen. Auch diese Gemeinschaft musste hart darum kämpfen, um von den Landeskirchlichen überhaupt als Gesprächspartner anerkannt zu werden. Die Zielsetzung dieser Pfarrgemeinschaft änderte sich, nachdem nach der „Wende“ die ausgesiedelten Pfarrer in einem geregelten Verfahren in den Dienst der EKD übernommen werden konnten. In Begegnungen, Gesprächen und regelmäßigen Rüstzeiten begleitet sie die Pfarrer und ihre Familien geistlich und seelsorgerlich. Auch steht sie in Verbindung mit den in der Heimatkirche tätigen Pfarrerinnen und Pfarrern. Sie ist mit dem Hilfskomitee eng verbunden; ihr Vorsitzender, seit 1997 Dekan Hans-Gerhard Gross, seit kurzem i.R., ist stimmberechtigtes Mitglied im Vorstand.

Prof. Dr. Berthold Köber, Vorstandsvorsitzender

(Beilage "Kirche und Heimat", Siebenbürgische Zeitung, Folge 7 vom 30. April, Seite 7)

Schlagwörter: Hilfskomitee, Verband, Aussiedlung, Kirche und Heimat

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