16. April 2007

Plädoyer für mehr Familienfreundlichkeit: "Das ganze Land profitiert"

Bund, Länder und Kommunen wollen eine halbe Million neue Krippenplätze einrichten. Spätestens ab 2013 soll jedem dritten Kind unter drei Jahren ein Platz in einer Krippe oder bei einer Tagesmutter zur Verfügung stehen. Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen verständigte sich mit ihren Kollegen aus den Ländern beim „Krippengipfel“ in Berlin am 2. April auf den Ausbau des Angebotes auf 750 000 Plätze. Vorausgegangen war ein heftiger Parteienstreit, dem eine Gesellschaftsdebatte über die Kinderbetreuung in Kindergärten und -krippen nachfolgte. Ministerin von der Leyen hielt unbeirrt an ihrem Ziel fest, die Zahl der Krippenplätze bis 2013 zu verdreifachen. Zu diesem aktuellen Problemkomplex äußert sich im Folgenden die Bundesfrauenreferentin der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V., Anna Janesch.
Junge Eltern und solche, die es werden wollen, wünschen sich beides, Familie und Beruf. Allerdings müssen sie sich mit dem Problem der Kinderbetreuung auseinandersetzen. Auf Grund der demographischen Entwicklung in Deutschland erkennt die Politik zusehends die Wichtigkeit in der Anhebung der Geburtenraten in Deutschland, sie gehört mit zu den niedrigsten in Europa. Nach einer Statistik des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kommen in Frankreich 1,9 Babys, in Finnland 1,8, in Österreich 1,4, in Deutschland 1,3 und in Polen 1,2 pro Frau zur Welt. Der Mangel an Betreuungsplätzen in Deutschland wird als eine der Ursachen für die niedrige Geburtenrate, besonders bei Akademikerinnen angesehen. Für Eltern und gerade für Mütter, die ihren Beruf nicht länger durch Erziehungspausen unterbrechen können oder wollen, gilt die Möglichkeit der Kinderbetreuung daher als wichtiger Aspekt der Familienplanung. Bundesministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat nun eine kontroverse, emotionale Debatte angestoßen, indem sie fordert, dass bis 2010 mindestens 500 000 zusätzliche Betreuungsplätze für Kleinkinder geschaffen werden müssen.

Während die Betreuung durch Erzieherinnen im Kindergarten ab dem dritten Lebensjahr in Deutschland allgemein akzeptiert wird, gibt es über die Vor- und Nachteile der Fremdbetreuung von Kleinkindern unter drei Jahren auseinandergehende, zum Teil polemische Diskussionen. Kritiker der Fremdbetreuung argumentieren, dass nur die leiblichen Eltern die emotionale, geistige und soziale Entwicklung des Kleinkindes fördern können. Die Befürworter stellen bei auswärtiger Betreuung Entwicklungsvorsprünge im sprachlichen und sozialen Verhalten gegenüber Gleichaltrigen fest, vor allem wenn keine Geschwister vorhanden sind und nur wenig Kontakt zu anderen Kindern besteht. Besondere Probleme kommen auf Alleinerziehende und auf die Familien zu, in denen beide Elternteile aus wirtschaftlichen Gründen arbeiten müssen.

Mit den vorhandenen 250 000 Plätzen steht heute im Bundesdurchschnitt nur für jedes zehnte Kind unter drei Jahren ein Betreuungsplatz zur Verfügung. Mit dem ehrgeizigen Ziel, bis 2013 flächendeckend für mindestens ein Drittel aller Kinder dieser Altersgruppe einen Betreuungsplatz zu schaffen, will sich Deutschland dem Vorbild erfolgreicher europäischer Länder wie Frankreich und den skandinavischen Ländern anschließen. Allerdings sind Qualität der Betreuung und die Schaffung von genügend Betreuungsplätzen von entscheidender Bedeutung.

Die Eltern brauchen die Gewissheit, dass ihre Kinder gut aufgehoben sind. Immer wieder wird propagiert, dass Eltern eine Wahlfreiheit zwischen Familienarbeiten und Erwerbstätigkeit haben müssten. Solange aber Bildungs- und Betreuungseinrichtungen bestenfalls Halbtagseinrichtungen sind und dazu die ständige Unsicherheit besteht, ob bestehende Einrichtungen geschlossen werden oder das Angebot verringert wird, gibt es die Wahlfreiheit nicht. Starre Öffnungszeiten sind ein weiteres großes Problem. Menschen mit Familienaufgaben, zumeist Frauen, sind deshalb auf Teilzeitarbeit angewiesen. Daher fordert die Bundesvereinigung „Deutsche Frauenrat e.V.“, in der auch die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen als Mitglied vertreten ist: „Mit Kindern leben darf nicht automatisch bedeuten, dass ein Elternteil auf Erwerbsarbeit verzichtet oder bestenfalls Teilzeit arbeitet, wenn er es nicht selbst will. Mit Kindern leben, kann nicht bedeuten, dass allein darauf gezielt wird, die Öffnungszeiten der Bildungs- und Betreuungseinrichtungen an Arbeitszeiten anzupassen; auch umgekehrt besteht ein Anpassungsbedarf. Sinnvoll wäre, dass alle Beteiligten in einem Aushandlungsprozess ihre Interessen einbringen und einen Kompromiss finden: die erwerbstätigen Eltern und ihre Arbeitgeber und die Beschäftigten der Einrichtungen und die Träger.“

Die Situation in siebenbürgisch-sächsischen Familien

Wie sieht es nun in unseren siebenbürgisch-sächsischen Familien aus? Gilt hier nach wie vor die bekannte Rollenverteilung: „Vater verdient das Geld, die Mutter erzieht die Kinder?“ Die jungen siebenbürgischen Familien haben bestimmt die gleichen Probleme und müssen die gleichen Überlegungen anstellen, wie alle anderen jungen Paare, die sich Kinder wünschen. Die zusammenlebende Großfamilie gibt es nur noch in den seltensten Fällen. Gleichwohl gibt es Großeltern, und ich kenne eine ganze Reihe aus der Nachbarschaft und aus dem Bekanntenkreis, die ihre Enkel regelmäßig betreuen, oft einspringen und sogar einige Kilometer fahren, um auf die Enkelkinder aufzupassen. Das ist auch gut so, es ist ein Gewinn für die jungen und auch für die älteren Familienmitglieder. Meiner Meinung nach schadet es keinem Kind, wenn die Betreuung sorgfältig, qualifiziert und zu seinem Wohle ausgeführt wird, ganz gleich ob eine Eltern- oder Fremdbetreuung vorliegt. Wichtig für Kinder sind vertraute Bezugspersonen.

Die Entscheidung für Familie und für Kinder und ihre Betreuung ist immer individuell und privat. Der Staat kann jungen Eltern nicht vorschreiben, wie sie die Betreuung organisieren. Laut Bundesfamilienministerium „sind heute rund 90 Prozent aller Frauen in dem Alter, in dem sie typischerweise in Deutschland ihr erstes Kind bekommen, berufstätig. Aus diesem Grund steht der Staat in der Pflicht, Bedingungen zu schaffen, die jungen Paaren helfen, in einer modernen Welt noch ihre Familienwünsche zu verwirklichen, ohne dabei in Zwiespalt zu geraten.“ So ist auch die deutsche Wirtschaft aufgefordert, in den Unternehmen eine familienbewusste Arbeitswelt zu schaffen, denn von der Familienfreundlichkeit und von einer guten Infrastruktur in der Kinderbetreuung profitieren nicht nur Eltern und Kinder, sondern die ganze Gesellschaft, das ganze Land.

Enni Janesch


Anregung zur Diskussion

Dieser Beitrag der Bundesfrauenreferentin Anna Janesch versteht sich auch als Anregung für weitere Diskussionsbeiträge im Vorfeld des Verbandtages der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen (am 3. bis 4. November 2007 in Bad Kissingen). Unsere Mitglieder werden hiermit eingeladen, ihre Meinung zu diesem und anderen Themen zu äußern.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 6 vom 15. April 2007)

Schlagwörter: Verbandstag, Frauen, Landsmannschaft

Bewerten:

2 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.