5. Juni 2009

Volker Petri: In Frieden Zukunft gestalten

Die Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in der Lindenallee der Alten Promenade in Dinkelsbühl ist den Opfern von Krieg, Verfolgung, Flucht und Vertreibung geweiht. „In berührender Weise mahnen uns die Gebeine unserer Ahnen an die Vergänglichkeit, an unsere vergangene Geschichte. Sie reichten uns die Lebensfackel und auch die Lebensweisheit von Jahrhunderten weiter.“, betonte Pfarrer Magister Volker Petri, Obmann des Bundesverbandes der Siebenbürger Sachsen in Österreich, Pfingstsonntagnacht in seiner Ansprache im Rahmen der Feierstunde an der Gedenkstätte. Die Rede wird im Folgenden ungekürzt wiedergegeben.
Liebe Landsleute, liebe Freunde und Gäste! Auch dieser Heimattag hat uns Siebenbürger Sachsen aus den verschiedensten Ecken der Welt wieder in Dinkelsbühl zusammengeführt. Für Augenblicke, Stunden und Tage glänzt unsere Welt, und ist heil. Aus der Zerstreuung und dem Minderheitendasein führt uns der Weg in die lebendige Festgemeinschaft, in den großen Reichtum unseres Brauchtums zu beglückenden Begegnungen. Wir, die sonst in verschwindender Minderheit leben, erleben uns tausendfältig, in nicht mehr enden wollenden Trachtenzügen, kulturellen Programmen und Mut machenden Ansprachen. Freunde sehen sich nach langen Jahren wieder, Heimatortsgemeinschaften treffen sich in bestimmten Lokalen und ein Hauch Siebenbürgen, siebenbürgisch-sächsischen Lebens wird für diese Tage sichtbar, hörbar und erfahrbar. Das mittelalterliche Dinkelsbühl, erfüllt mit siebenbürgisch-sächsischem Leben, wirkt heimatlich! Das Vertraute wärmt unsere Seelen, gewinnt Raum in unseren Herzen und bestärkt unser Selbstbewusstsein. Es gibt uns noch, wir sind da lebendig und stark!

Friede unser wertvollstes Kleinod

Hier halten wir ein in dieser Pfingstnacht, werden wieder nachdenklicher und besinnlich vor diesem Gedenkstein, Mahnstein und Meilenstein unserer Geschichte. Vor meinen Augen steht das Bild der langen Schatten, die wir im Scheine unserer Fackeln auf dem Weg hierher, auf die Häuserfronten der mittelalterlichen Gassen Dinkelsbühls warfen. Aus unseren Schatten treten auch lebendige Erinnerungen, verlassen den Raum des Vergessens und bewegen uns, rühren uns ganz persönlich an. Unsere Biographien und Schicksalswege werden uns bewusst. In unsere Geschichte verwoben ist immer auch die Jahrhunderte schwere und gereifte Geschichte unseres Volkes und unserer alten Heimat. Wenn wir die Augen schließen, stehen für viele die alten, vertrauten und auch verklärten Bilder, Landschaften unsere Heimatorte vor uns und bekommen im Rückblick einen verführerischen, fast paradiesischen Glanz. Sie beinhalten die unbeschwerten, heiteren Jahre der Kindheit und Jugend in der alten Heimat. Das Dunkel und die Fackeln dieser feierlichen Stunde machen uns unsere Wurzeln bewusst. Wir, die unsere Ahnen einst als „Gottes Nation der Siebenbürger Sachsen“ bezeichneten, gleichen in Einigem dem auserwählten und zerstreuten Volk Israel. Was der oft herausfordernde Alltag und die neue Heimat immer wieder zurückdrängen, durchbricht in solchen Stunden den Schleier des Vergessens. Wir fühlen unsere einzigartige Identität, die nicht besser, nicht großartiger als andere Identitäten ist, aber eben unverkennbar die unsere! In warmen Farben malt die Erinnerung das alte Elternhaus, die vertrauten Gassen unserer Heimatorte mit ihren Kirchen und Kirchenburgen, eingebettet im verträumten Tal, zwischen Hügeln und Bergen. Nostalgisch und wehmütig hallt in unseren Herzen und Ohren die Melodie und der Text unserer ungekrönten sächsischen Hymne „Af deser Ierd, do es en Lond“ und liefert das passende, unverwechselbare Bild zu jeder Strophe und bewegt die angerührte Seele mit jedem gesungenen Ton. Heimattage sensibilisieren, sind Tage der Rückbesinnung und durch die Gemeinschaft und Gottesdienste auch gesegnete, im besonderen Licht der Gnade stehende Tage.
Volker Petri bewegte mit seiner einfühlsamen Rede ...
Volker Petri bewegte mit seiner einfühlsamen Rede die zahlreichen Zuhörer an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl. Foto: Lukas Geddert
Die inneren Rückblenden treffen auch auf die Bilder der zurückgelassenen und verwaisten Gottesacker. Steinplatten versiegeln die Gräber, sichtbarer Verfall lässt sie der Ewigkeit entgegendämmern. In berührender Weise mahnen uns die Gebeine unserer Ahnen an die Vergänglichkeit, an unsere vergangene Geschichte. Sie reichten uns die Lebensfackel und auch die Lebensweisheit von Jahrhunderten weiter. Auch die in den Weiten Europas zerstreut liegenden Kriegsgefallenenfriedhöfe, mit den in Stein gemeißelten Namen unserer Verwandten treten aus dem Vergessen. Auch sie gehören zu unserem Leben, zu unserer Geschichte. Sie mahnen stimmlos, „dass alles Fleisch, wie Gras ist und alle Herrlichkeit des Lebens, wie des Grases Blume!“ Sie sind uns im Tod vorangegangen, erinnern uns an Schuld und Sühne, an Täterschaft und Opfer.

Tröstlich empfinde ich den Gedanken, dass ihr gewaltsamer Tod und jener der vielen Ziviltoten in den zerbombten Städten, auf der Flucht Umgekommenen und in den sowjetischen Gulags Verstorbenen nicht umsonst und nicht sinnlos war. Ihr Sterben machte uns den Frieden zum wertvollsten Kleinod!

Die unfassbaren Zerstörungen und der millionenfache Tod entfachte die Sehnsucht nach einem friedlichen Europa, das heute in der Europäischen Union Wirklichkeit wurde! So lässt die Erinnerung trotz allem Leid auch Dankbarkeit aufkommen. Unser christlicher Glaube hilft uns die Grenzen von Raum und Zeit überwinden und vereint uns Lebende mit unseren Toten. Er ruft uns zur Hoffnung, weist auf die zukünftige und ewige Heimat, die niemand mehr uns nehmen kann. Über unsere Geschichte, unsere Heimat und unsere Lieben zu sprechen ist nicht schwer.

Die Gegenwart heute zeigt an, wir haben es geschafft! In der Welt haben wir Siebenbürger Sachsen uns bewährt, sind anerkannt, werden geschätzt, dafür gebührt der Dank allen Landsleuten, die im Laufe der Zeit dafür wirkten. Wir bringen uns in die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Felder des öffentlichen Lebens ein. Die siebenbürgisch-sächsischen Trachten wurden inzwischen deutsches, österreichisches, kanadisches und amerikanisches Volkskulturgut. Die Gaben, die uns Siebenbürger Sachsen kennzeichnen, wie Fleiß, Pioniergeist, Initiativkraft, Gemeinschaftssinn und Tradition, aber auch die ehrliche Loyalität halfen uns, ein neues Zuhause zu finden und Heimat aufzubauen. Neue Freunde, Nachbarn, Landschaften und Geschichte und Kultur unserer neuen Heimaten wurden uns vertraut. Die siebenbürgisch-sächsische Diktion in unserem Deutsch wurde von der bayrisch, österreichisch, schwäbischen usw. Diktion überlagert. Wir haben es als großes Geschenk, mehr, Gnade erfahren, dass wir nach Trauer und Schwermut über den Verlust der alten Heimat Siebenbürgen, die wir zurückließen, neue Heimat in Deutschland, Österreich, Kanada und den USA finden durften. Unsere weltweite Föderation zeigt: Wir wissen, dass wir zusammengehören und viele gemeinsame und verbindende Werte besitzen und unsere alte Heimat und ihre Geschichte in uns lebendig ist. Die Freundschaften nach Siebenbürgen, die Begegnungen in und mit der alten Heimat und unzähligen Hilfsaktionen bereichern uns und festigen die Bande über die nur noch symbolischen Grenzen hinweg. In den Heimatortsgemeinschaften, die den heurigen Heimattag gestalten, lebt die Verantwortung und die Ortsgemeinschaft weiter. Ja, getrost und bewusst dürfen wir bekennen: Wir sind angekommen im Heute, angenommen in der neuen Heimat und dennoch, der alten verbunden!

Wille zur Gestaltung der Zukunft

Der Blick in die Zukunft verunsichert viele. Sie liegt offen vor uns und nur die Flügel der Hoffnung, Träume und Visionen tragen uns in ihre Gefilde. Die Mitgliedszahlen unserer Gemeinschaft wirken ernüchternd. Von über 200 000 sind es wohl etwas mehr als ein Fünftel, die sich riefen ließen und zu diesem Heimattag kamen. Etwas größer ist die Mitgliederzahl unserer Vereine, die überall mitwirken, das vertraute Erbe zu leben und weiterzugeben. Wir müssen erkennen, dass Wohlstand träge und egoistisch macht. Das Leben als Minderheit verlangt Zivilcourage, und mit der Zeit ist der Sog der Assimilation immer stärker. Wir stellen an unseren Kindern und Enkelkindern einen wesentlichen Wandel fest. Sie sind nicht mehr selbstverständlich Siebenbürger Sachsen, wie wir. Wir sind in zwei Heimaten zuhause, sind dafür dankbar und leben hoffentlich auch bewusster. Sie, unsere Nachkommen, sind „siebenbürgisch stämmig“! Sie sind „österreichische, deutsche, kanadische und amerikanische Siebenbürger Sachsen“, eben etwas Neues, mit einer anderen Identität. Sie haben, mehr oder weniger bewusst, siebenbürgisch-sächsische Wurzeln! Diese Tatsache bietet ihnen auch eine große Chance, durch die neue Perspektive, die ein gewandeltes Verständnis unserer Geschichte und Kultur ermöglicht. Sie sind zukunftsoffener und nicht so geschichtsbelastet, sie besitzen eine bewundernswerte Leichtigkeit des Seins, die unserer Schwermut hilfreich sein kann. Sie halfen uns in Österreich, nach 65 Jahren, dass es unsere Nachbarschaften und Vereine, wohl in kleinerer Zahl, aber noch immer gibt. Erfreut stellen wir fest, dass die neue Generation bereit ist, die Stafette zu übernehmen. Sie wuchsen über die Volkstanzgruppen, Nachbarschaftsfeste in unsere Gemeinschaft, fanden Interesse an unserer Geschichte und Kultur, aber auch an der Heimat ihrer Eltern und Großeltern!

Auch wir Ältere haben uns hoffentlich verändert. Aus eher provinziellen, hinter dem Eisernen Vorhang und in den ländlich-bürgerlichen Gemeinschaften lebenden Siebenbürger Sachsen wurden wir Teil größerer Völker und Kulturen, wurden Europäer, Weltenbürger, die man an allen Enden der Welt auch als Touristen antrifft. Unser Horizont hat sich geweitet, geht über den einst vertrauten Schatten unserer Kirchenburgen und Heimatorte hinweg. Wir erleben uns und unsere Geschichte und Kultur in einem neuen Kontext, rücken damit auch die Dimensionen zurecht und können unsere Tragik relativieren, unser Los annehmen und unsere verwandelte Identität leben. Vor Gott und der großen Welt wird auch unsere Geschichte und Existenz wohl in ihrer Einzigartigkeit sichtbar, bewahrt uns jedoch vor allem Hochmut und Selbstüberschätzung.



Pfingsten will Bahn brechen dem Geheimnis des lebendigen, christlichen Geistes, der verwandelt Neues schafft und auch uns verändert. Es ist jener Geist, der uns frei machen will vom versteinernden und verklärenden Rückblick, aber auch von dem platten Materialismus und Wohlstand. Er verleiht Mut für das Neue und öffnet den Blick für das Wesentliche. Es ist ein kreativer Geist, der, wenn man ihn zulässt, neue Wege auch für unsere Zukunft bahnt. Es ist der göttliche Geist, der uns die Augen öffnet und von Zwängen befreit, so dass wir getrost und zuversichtlich in die Zukunft gehen und unseren Kindern und Enkelkindern die Chance einräumen, unseren Weg fortzusetzen und in ihren Wegabschnitt mit unserer Geschichte weiterzuleiten. Es ist aber auch jener uns kennzeichnende Pfingstgeist der Nüchternheit, der das Sterben und Vergehen annimmt, weil er um das Neue Leben Bescheid weiß. Geschichte, auch unsere Geschichte, hing nie von Mehrheiten ab, sondern sie wurde von Einzelnen gestaltet, war stets Minderheitengeschichte. Nicht die großen Zahlen, sondern die richtigen Zeichen, Dialog und Gemeinschaftssinn brauchen wir! Menschen, in denen Vertrauen und der Wille zur Gestaltung der Zukunft wohnt. Wir haben Mitmenschen, die unser Vertrauen besitzen, sich der Liebe und Nächstenliebe verpflichtet wissen und von der Hoffnung beflügeln lassen. Menschen, die all das, was sich in unserer Geschichte und unserem Leben bewährte, als wertvollen Schatz in die Zukunft tragen und neue Zukunft gestalten. Wir dürfen getrost in die Zukunft blicken und sind gespannt, was sie unserer Gemeinschaft Neues schenken will.

Schlagwörter: Heimattag 2009

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