16. Oktober 2021

„Mit Liebe und viel Zeit“: Kochen und backen mit Rainer Klutsch und Irina Georgescu

Gleich zwei Kochbücher, die die siebenbürgische bzw. rumänische Küche zum Thema haben, sind in letzter Zeit im Cadolzburger Verlag ars vivendi erschienen: „Am Herd meiner Oma – Familienrezepte aus Siebenbürgen“ von Rainer Klutsch und „Carpatia. Eine kulinarische Reise durch Rumänien“ von Irina Georgescu. Klutsch entstammt einer siebenbürgisch-sächsischen Familie aus Weidenbach und lebt in der Nähe von Stuttgart, Georgescu wurde in Bukarest geboren, hat aber vor vielen Jahren ihren Lebensmittelpunkt nach Großbritannien verlegt. Beide eint die Liebe zu tradierten Familienrezepten aus ihrer ursprünglichen Heimat, die sie in ihren Büchern mit großer Leidenschaft präsentieren und mit vielen Genussmenschen teilen möchten. Die Gestaltung der Bücher trägt das Ihre dazu bei: Großformatige Fotos der Speisen und atmosphärische Landschaftsaufnahmen machen Lust darauf, die Rezepte auszuprobieren, der Verzicht auf Hochglanzpapier sorgt für eine angenehme Haptik und nimmt einem die Angst vor eventuellen Fettspritzern, weil die Bücher neben dem Herd liegen und wirklich benutzt werden, statt bloße Anschauungsobjekte zu sein.
Rainer Klutsch. Foto: ©Stephanie Trenz ...
Rainer Klutsch. Foto: ©Stephanie Trenz
Rainer Klutsch ist durch seine regelmäßigen Auftritte in den TV-Sendungen „Kaffee oder Tee“ im SWR und dem „ARD-Buffet“ sowie seine Teilnahme an der Kochsendung „The Taste“ bei SAT.1 einem breiten Publikum bekannt. In Stuttgart hat er bis vor kurzem das „Klutsch“, eine Eventlocation mit Kochschule und Catering, betrieben. „Am Herd meiner Oma“ ist sein erstes Kochbuch, mit dem er die Herzen der genussfreudigen Siebenbürger Sachsen bestimmt erobern wird, denn er stellt nicht nur bekannte und beliebte Klassiker der siebenbürgischen Küche vor, sondern erzählt auch in kurzen Kapiteln zwischen den Rezepten seine Familiengeschichte und besonders die seiner Großmutter Edith, deren Erbe er mit diesem Buch weitergeben möchte, wie im Vorwort zu lesen ist. „Alles, was ich heute bin und wofür ich als Koch stehe, weiß ich von meiner Oma Edith, deren Familie ursprünglich aus der Gegend um Trier stammte, aber seit Generationen in Siebenbürgen heimisch war. Ihre Wertschätzung für das Kleine, das Einfache prägt heute meinen Kochstil. (…) Oma Edith, die 2019 mit 97 Jahren gestorben ist, kochte mit Liebe und viel Zeit – es hätte sie sicher gefreut, wenn sie ihre Grundsätze mit diesem Kochbuch verewigt gesehen hätte.“
Bröselnudeln mit Puderzucker aus Rainer Klutschs ...
Bröselnudeln mit Puderzucker aus Rainer Klutschs Buch „Am Herd meiner Oma“ (S. 65); dazu gibt es bei der Rezensentin selbstgemachtes Pflaumenkompott mit Walnüssen und obenauf gehackte Mandeln. Foto: G. Roth
„Saisonal und regional“ habe seine Großmutter gekocht – folgerichtig ist Rainer Klutschs Rezeptsammlung nach den vier Jahreszeiten geordnet. Im Frühling „konnte man kulinarisch noch nicht aus dem Vollen der Natur schöpfen. Oma verarbeitete dann die Reste der Vorratshaltung aus dem Winter mit den wenigen frischen Zutaten, die sie in ihrem Schrebergarten bereits ernten konnte.“ Die Rezepte für Lauchcremesuppe, Brennnesselspinat mit Spiegelei und Salzkartoffeln, Dill-Kohlrabi-Fleisch mit Reis, Topfenschmarrn mit Zwetschgenröster und Baumstriezel, auf leeren Getränkedosen im Backofen gebacken, hat Klutsch für diese Jahreszeit unter anderem ausgewählt. „Im Sommer pflegte Oma ihre Obst- und Gemüsebeete und wartete geduldig, bis die Früchte reif waren, um sie entweder frisch zuzubereiten oder für den Winter einzumachen.“ In diesen warmen Monaten werden Vinete, Salatsuppe mit Speckomelett, Ciorbă de perișoare, Gefüllte Paprika, Mici, Vogelmilch mit Eiweißnocken oder Hanklich serviert; ein Grundrezept für Früchtekompott darf nicht fehlen. Im Herbst „nach den letzten Erntetagen im Spätsommer begann das Verwerten der Erträge. Oma kochte, legte Obst und Gemüse ein und pökelte Schweinefleisch zur Haltbarmachung.“ Auf dem Speiseplan stehen Kümmelsuppe, Krautflecken mit Schmand, Schweinebauch mit Serviettenknödeln, Klausenburger Kraut, Apfel im Schlafrock oder Palukes mit Milch. Am Ende des Jahres schließlich „wurde das Essen schwerer und gehaltvoller als im Sommer, um die oft bitterkalten Wintermonate gut zu überstehen. Wir Kinder backten mit Oma (…) tonnenweise Plätzchen und bekamen regelmäßig Bauchweh vom Naschen.“ Und was wird gegessen? Grießknödelsuppe, Blumenkohlauflauf mit Hackfleisch, Krautwickel (Sarmale), Szegediner Gulasch, Selbstgemachte Bratwurst mit Brotauflauf, Dampfnudeln und Buchteln.

Was für eine Fülle an Köstlichkeiten! Charmantes Detail: Zu jeder Speise erzählt Rainer Klutsch eine kleine Anekdote. Lebhaft kann man sich zum Beispiel vorstellen, wie er und seine zwei Brüder einen Berg Klettiten verputzten. „Wenn es ein Gericht gab, bei dem Gier, Hast und Konkurrenzdenken am familiären Esstisch vorherrschten, dann waren es die Klettiten. Es gab jedes Mal unter uns Brüdern ein Wettessen, wer am meisten schaffte – was natürlich weit über unseren Hunger hinausging.“ Ähnlich ging es zu, wenn Zwetschgenknödel serviert wurden: „Wer am meisten Zwetschgenkerne auf dem Teller liegen hatte, hatte zwar gewonnen, aber auch Bauchweh.“ Einziger Haken: das ganz und gar ungewöhnliche Ischler-Rezept. Zwei mit Johannisbeermarmelade gefüllte, mit Puderzucker bestäubte Plätzchen aus Mürbteig, davon eines mit Loch – diese Ischler-Variante ist in keinem der Rezensentin bekannten siebenbürgischen Kochbuch zu finden, aber man lernt ja nie aus. Schön zu erfahren ist, dass diese Ischler „die absoluten Lieblingsplätzchen“ von Rainer Klutschs Sohn Karl sind. Die nächste Koch- und Genussgeneration steht also schon in den Startlöchern.

Irina Georgescu. Foto: ©Irina Georgescu ...
Irina Georgescu. Foto: ©Irina Georgescu
Irina Georgescus Kochbuch „Carpatia“ nimmt nicht nur Siebenbürgen, sondern ganz Rumänien in den Blick. Es folgt der klassischen Einteilung in Kapitel zu den verschiedenen Rezeptarten Vorspeisen, Brot, Suppen, Hauptgerichte, Süßes, Eingelegtes, bietet eine kleine Warenkunde zu den wichtigsten rumänischen Nahrungsmitteln sowie kurze Texte zu den Jahreszeiten und Traditionen, dem kulinarischen Erbe und den kulturellen Werten Rumäniens. Die emotionale und die soziale Komponente spielen auch bei ihr eine wichtige Rolle. „Gibt es eine bessere Methode zum Kennenlernen von Menschen, als sich mit deren Küche vertraut zu machen? Ich glaube kaum. Eine persönliche Lebensgeschichte ist immer untrennbar mit bestimmten Speisen verbunden. Essen kann eine Brücke bauen, die uns über Grenzen, über sprachliche und kulturelle Unterschiede hinweg miteinander verbindet. (…) Essen bedeutet für mich und für viele andere Menschen, die wie ich fern ihrer Heimat leben, sich an die eigenen Wurzeln zu erinnern. Essen kann tröstlich sein und uns ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln“, schreibt die Autorin in ihrem Vorwort. Die in Großbritannien lebende und dort Kochkurse gebende Irina Georgescu hat die von ihr ausgewählten Rezepte an den (west-)europäischen Gaumen angepasst und verfeinert, was das Verständnis der ursprünglich englischen Leserschaft für die „authentische Küche“ Rumäniens, die „griechische, türkische und slawische Einflüsse im Süden und Osten mit österreichischen, ungarischen und siebenbürgisch-sächsischen im Norden und Osten vereinigt“, gefördert haben mag.
Prăjitura cu caise (Aprikosen-Joghurt ...
Prăjitura cu caise (Aprikosen-Joghurt-Kuchen) aus Irina Georgescus Buch „Carpatia“ (S. 170), gebacken von der Rezensentin. Tipp: Unbedingt frische, sehr reife Aprikosen verwenden; Früchte aus der Dose oder dem Glas eignen sich nur, wenn sie gezuckert sind. Foto: G. Roth
So serviert sie zum Beispiel ihre Vinete (Salată de vinete) mit Fenchelsamen und den Brennnesselspinat (Urzici cu usturoi) mit gerösteten Kürbiskernen und geriebenem Käse, zur Pochierten Ochsenzunge (Limbă cu măsline) gibt es Olivensalsa und zu den Gefüllten Paprika (Ardei umpluți) ein Petersilienpesto. Manche Eigenheit mag der Übersetzung geschuldet sein (so werden Papanași zu Frischkäse-Donuts), gut und tatsächlich authentisch ist es auf jeden Fall, dass alle Gerichte mit ihren rumänischen Namen angeführt sind (leider findet man sie unter diesen aber nicht im Register, das auf Deutsch und nach Hauptzutaten geordnet ist).

Rumänische Klassiker wie Käspalukes (Mămăligă cu brânză și smântână), Salatsuppe (Ciorbă de salată), das „Nationalgericht“ Kohlrouladen (Sarmale), Mici, Knoblauchsoße (Mujdei) und Kirschlikör (Vișinată), die auch aus dem siebenbürgischen Kochkosmos nicht wegzudenken sind, laden zu Vergleichen ein, und der Baumstriezel (Kurtos kalacs), eigentlich ungarischen Ursprungs, wird auch bei Georgescu auf leeren Getränkedosen im Backofen gebacken. Die Dobos-Torte, ebenfalls aus Ungarn, fehlt in beiden hier vorgestellten Büchern ebenso wenig wie Cremeschnitten, die von Rainer Klutsch als „typisch rumänisch“ bezeichnet werden – aber sind sie das wirklich? Typisch rumänisch sind aber tatsächlich Panierter Käse (Cașcaval pané), Plăcintă (Blätterteigpastete) und Dulceață (Konfitüre) in verschiedenen Varianten sowie Cozonac, ein üppig mit Walnüssen gefüllter Hefezopf, der in Rumänien zu Ostern und Weihnachten gebacken wird.

Man kann schwelgen in diesen Kochbüchern, man kann und sollte aber auch einfach aus ihnen kochen, denn weder Irina Georgescu noch Rainer Klutsch geht es um Haute Cousine, sondern um die Verarbeitung von guten Produkten zu traditionellen, schmackhaften Speisen, die eine Verbindung zu ihren Wurzeln schaffen und über die Zubereitung und den Geschmack Erinnerungen wachrufen. Zugehörigkeit und Trost, Lebensfreude und Geselligkeit, Werte und Traditionen werden über Essen, über gemeinsame Mahlzeiten transportiert, und all das spürt man in den vorliegenden Büchern sehr deutlich.

Doris Roth


Rainer Klutsch: „Am Herd meiner Oma – Familienrezepte aus Siebenbürgen“. Verlag ars vivendi, Cadolzburg, 2021, 220 Seiten, 24 Euro, ISBN 978-3-7472-0247-0.

Irina Georgescu: „Carpatia“. Eine kulinarische Reise durch Rumänien. Verlag ars vivendi, Cadolzburg, 2020, 224 Seiten, 26 Euro, ISBN 978-3-7472-0207-4.

Schlagwörter: Kochen, Kochbuch, Rezept, Rezepte, Kulinarik, Siebenbürgen, Rumänien

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