So saßen wir eines Tages im Kreis, sechs Kinder: Enkel und Nichten, malten und erzählten. Jeder hatte mal eine Frage und jedes Mal bekamen wir eine gute Antwort. Wir sprachen über Gott und die Welt, über Wünsche und Träume. "Eure Wünsche, sobald ihr sie ausgedacht habt, kommen zum lieben Gott in den Himmel. Jeder Wunsch wird überprüft, ob man ihn erfüllen kann oder nicht. Die Wünsche, welche Gott erfüllen kann, schickt er erfüllt an uns zurück". Sagte Tante Sini.

Der Kleine Ring in Hermannstadt im Winterlicht - auf einer alten Postkarte

Ich dachte mir sofort einen Wunsch aus. "Ich wünsche mir ein leckeres Eis". Gott musste also meinen Wunsch schon kennen. Doch nichts geschah. "Was geschieht mit den Wünschen, die nicht ankommen?" wollte ich wissen.

"Ein jeder Wunsch kommt an, ein jeder wird gehört. Doch manchmal wünscht man sich Dinge, die man sich gar nicht wünschen muss. Die man sich selber erfüllen kann. Und das weiß Gott und gibt dir hierauf keine Antwort. Dann gibt es Wünsche, welche man nicht erfüllen kann, so wenig wie man morsche Bäume zum Blühen bringen kann. Dann gibt es Wünsche, welche Gott dir sofort erfüllt. Es gibt aber auch Wünsche, für die ist es nur zu früh. Die können noch nicht erfüllt werden. Diese Wünsche schickt Gott zur Erde zurück. Wir sagen Schneeflocken dazu. Jedes Mal wenn es schneit, sind es Millionen Wünsche, die noch nicht erfüllt werden können. Manche Wünsche sind größer, manche kleiner, manche reiten stürmisch mit dem Wind und andere sind eisig kalt. Doch alle sind sehr zart. So zart wie die Hoffnung. Ihr müsst versuchen, eine Schneeflocke auf eurer Handfläche aufzufangen. Wenn ihr Glück habt und es ist ein Wunsch von euch, so müsst ihr ganz schnell den Wunsch wiederholen, bevor die Schneeflocke schmilzt. Und wenn ihr in den tausenden, Millionen Schneeflocken euren eigenen Wunsch gefunden habt, dann wird dieser Wunsch dieses Mal mit größter Sicherheit in Erfüllung gehen. Aber es muss der eigene Wunsch sein. Ist es nicht herrlich zu wissen, wie viele Wünsche die Menschen haben? Schaut euch die Flocken an. Ab und zu kann man auch erkennen, was so mancher Mensch sich wünscht. Doch meistens vergisst man die Wünsche so schnell, oder andere sind noch größer, bei diesen Wünschen wird die Flocke ganz schnell zergehen, so dass kein Mensch ihn noch erkennen wird."

Und als der Winter kam, versuchte ich jedes Mal, Flocken zu fangen. Ich versuchte mich an meine Wünsche zu erinnern und sie in den Schneeflocken zu finden, um sie mir neu zu wünschen. Wünsche, welche noch nicht in Erfüllung gegangen waren. Aber an die meisten erinnerte ich mich nicht mehr, nun ja, sie waren dann doch wohl nicht so wichtig gewesen.

Auch heute, obwohl ich erwachsen bin, fange ich jeden Winter Schneeflocken. Es ist wunderbar. Einmal fand ich eine, die war so klein und klebte hartnäckig an meinem Handschuh, sie schien zu glitzern. Da wusste ich, dass es ein besonderer Wunsch gewesen sein musste. Ich wünschte mir nur, dass dieser Wunsch für den in Erfüllung ginge, der ihn so dringend brauchte.

Und letztes Mal, als ich eine Flocke fing, vergaß ich, einen meiner alten Wünsche neu zu wünschen, doch etwas Herrliches war passiert. Ich fühlte, dass ich in meinem Herzen immer noch ein Kind war, welches an Wunder glaubte. Und ich denke, dieses war schon immer mein größter Wunsch, der sich jedes Jahr immer wieder erfüllte.

Und jedes Jahr werde ich aufs neue Flocken fangen.

Elke-Herta Back geb. Imbrich

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 15. Dezember 2002, Seite 13)