16. Mai 2004

Paul Schuster: "ein Mensch mit seinem Widerspruch"

Als Paul Schusters Erzählung "Der Teufel und das Klosterfräulein" 1955 im Jugendverlag, Bukarest, erschien, stellte sich der kleinen Kulturenklave der Deutschen in Siebenbürgen einer der begabtesten Erzähler ihrer postbellischen Literatur vor. Der am 20. Februar 1930 in Hermannstadt geborene, am 5. Mai 2004 in Berlin verstorbene Erzähler, Kritiker, Publizist hatte eine epische Handlung gestaltet, deren Elan, Witz, Spannungs- und Kombinationsintelligenz jeden überzeugte, auch wenn die ideologische Sichtweise nicht wenige - darunter Erwin Wittstock (1899-1962) - verärgerte. Das war verstärkt der Fall, als 1961/1963 der - 1965 und 1967 überarbeitet auch in Graz und Berlin aufgelegte - Roman "Fünf Liter Zuika" veröffentlicht wurde.
Paul Schuster. Zeichnung von KATH Zipser, 1975.
Paul Schuster. Zeichnung von KATH Zipser, 1975.
Für einige war dieser erste Romanversuch einer Aufarbeitung der NS-Jahre in Siebenbürgen eine "kommunistische Schreibe" (Heinrich Zillich, 1898-1988), andere wieder rechneten Schuster die Offensivität seines zweibändigen Hinweises auf die nationalsozialistischen Verstrickungen der Siebenbürger Sachsen hoch an. Mit dem "Zuika"-Roman, dessen Fortsetzung nachzuliefern der Verfasser vierzig Jahre lang versprach, war der Beweis der Beherrschung der großen Erzählform erbracht. Dass der Aachener Rimbaud-Verlag im Jahr 2002 begann, den Roman in Serien noch einmal herauszubringen, war ein glückliches Vorhaben - wie, der erste Teil "Die Hochzeit" beweist -, das sich nun zerschlug. Freilich nicht erst am jähen Tod des Autors: Schuster beabsichtigte, Änderungen am Handlungsablauf in einem Maße vorzunehmen, die der Verlag nicht billigte, was zur Auseinandersetzung und Entzweiung führte.

Der Vorgang erscheint im Rückblick insofern symptomatisch für die Biographie Paul Schusters, als dieser Zeit seines Lebens in einer Weise zur temperamentvollen, nicht selten in sich widersprüchlichen, auch rechthaberischen Reaktion neigte, in der er sich immer wieder verstrickte und die ihn innerlich wie äußerlich in Situationen der Selbstblockade und der Zerwürfnisse führte.

Der Sohn eines Kleinfabrikanten hatte nach dem Abitur am Brukenthal-Gymnasium Siebenbürgen für immer verlassen und war in Bukarest bei der Tageszeitung Neuer Weg, später als Redakteur bei der Monatszeitschrift Neue Literatur tätig geworden, wo er auch eine Fülle kürzerer Prosatexte veröffentlichte. Er hatte - eigenem Zeugnis zufolge "dem Sozialismus zuneigend" - bald auch politisch im Sinne sowohl engagierten wie kritischen Mitspracherechts von sich reden gemacht, erschien später in leitender Funktion in Einrichtungen des Bukarester Regimes und war nicht selten in der Suite Ceausescus zu sehen. Seine relativ schmale, 13 Buchtitel umfassende Veröffentlichungsliste - seltsamer Gegensatz zur ungewöhnlichen Kommunikativität, die ihm eignete - hat in diesem lebenslangem Mitsprechen und Dreinredenwollen die Erklärung: Schuster mischte sich, im Sinne eines Diktums von Heinrich Böll, zeitaufwändig ein, wo immer es nur ging. Es war nicht nur zeitraubend, es brachte ihn bei seinen Landsleuten in Verruf, zwang aber Kenner der Szene fallweise zum Respekt. Hatte er schon 1957 bei einem Bukarester Schriftstellerkongress auf Seiten der gegen die staatsideologische Vorschrift aufbegehrenden deutschen Autoren gestanden, so wiederholte er seine Kritik 1968 und 1971 in Gegenwart des Staatschefs. Die Starthilfe, die er den späteren Autoren der so genannten Aktionsgruppe Banat - Herta Müller u.a. - gab, war gleichermaßen zeitaufwändig wie biographisch bezeichnend: Schuster überwarf sich später heillos mit der "Gruppe". Vergleichbares wiederholte sich mit anderen auch in Deutschland, wo er seit 1972 lebte, so dass er noch anderthalb Jahre vor seinem Tod über sich befand: "Ich stehe zwischen allen möglichen Stühlen. " Was durchaus nicht gegen ihn spricht. Zerrissen, wie manches in seinem Leben, war auch sein Verhältnis zum Sohn Gad Johannes aus erster Ehe: Gad starb als Journalist 1991 im kurdischen Teil des Irak.

Bei alldem bleibt Paul Schuster eine der interessantesten und zugleich schillerndsten literarischen Gestalten der südosteuropäischen Deutschen in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Dort, wo er sich auf die Kunst des Schreibens konzentrierte, glückten ihm meisterliche Texte wie die Erzählung "Heilige Cäcilie" (1986), vieles in den über 800 Seiten umfangreichen "Heidelberger Auslesen" I und II (2001) essayistisch lesenswert nicht weniger sein "Literatur- und Kulturzeitschriften"-Kapitel in Band 12 der "Sozialgeschichte der deutschen Literatur" (1992), die Texte seiner "Zeitschriftenschau" (1976-1984) u.a. In Berlin war er als Leiter einer „Sprachwerkstätte“ tätig und pflegte zeitweise einen Protestlebensstil - so lief er etwa bärtig in rumänischer Bauerntracht herum, dann als Apostel in härenem Gewand, engagierte sich gegen die Diskriminierung der Zigeuner oder stritt sich mit Wolf Biermann und Günter Grass. Dass er sich den "letzten Marxisten in Rumänien" nannte, gehört zu den Exotika seiner Selbstdarstellung.

Paul Schuster verfügte über eine ungewöhnliche Schaffenskraft - er arbeitete nach eigener Aussage in den letzten Jahren gleich an mehreren Romanen, führte üppige polemische Korrespondenzen und verfasste zahllose Texte für seine Werkstätte. In seinem Nachlass werden Suchkundige mit Sicherheit Prosatexte von unbestreitbarem Rang finden, um diesem ebenso rührigen wie umtriebigen Mann, der sich wenig um Publicity scherte, einen Dienst über den Tod hinaus zu erweisen. Conrad Ferdinand Meyers Vers: "Ich bin kein ausgeklügelt Buch, ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch", hätte von ihm suggeriert sein können.

Hans Bergel

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 8 vom 20. Mai 2004, Seite 9)

Artikel über Paul Schusters letzte Lesung in München, Siebenbürgische Zeitung Online, 28. März 2004

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