12. Juli 2001

Adrian Nastase zu Besuch in Deutschland

Eine Wende zum Positiven in den deutsch-rumänischen Beziehungen hat offenbar der Besuch des rumänischen Ministerpräsidenten Adrian Nastase vom 3. bis 5. Juli in Deutschland eingeleitet. Bundeskanzler Schröder stellte die Aufhebung der Visumspflicht bis Jahresende in Aussicht. Verträge in Milliardenhöhe wurden abgeschlossen. Klaus Mangold, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, spricht vom Beginn einer „strategischen Wirtschaftspartnerschaft“ zwischen beiden Ländern.
Regierung und Parlament in Bukarest werden im Unterschied zu früheren Jahren deutscherseits nunmehr als verlässliche Partner wahrgenommen, die politische Stabilität des Landes habe zugenommen, berichtete Emil Hurezeanu, Direktor der rumänischen Redaktion der Deutschen Welle in Köln, der die hochrangige Delegation zusammen mit 30 weiteren Journalisten aus Rumänien während des ganzen Besuches begleitet hatte. Rumänien setzt verstärkt auf die „deutsche Karte“ und erhofft sich dadurch einen rascheren Beitritt zur NATO und Europäischen Union.
Premier Adrian Nastase vor der Presse in München. Foto: Petra Reiner
Premier Adrian Nastase vor der Presse in München. Foto: Petra Reiner

Bundeskanzler Gerhard Schröder stellte in Aussicht, die Visumspflicht für Rumänen bei der Einreise in die EU könne bis Ende des Jahres aufgehoben werden. Nach dem Treffen mit dem rumänischen Ministerpräsidenten am 4. Juli in Berlin sagte Schröder, Rumänien habe deutliche Fortschritte bei der Steuerung von Migranten gemacht, so dass beide Regierungschefs davon ausgingen, dass der EU-Ministerrat Ende des Jahres „dieses Problem lösen wird“. Schröder sicherte Rumänien auch Unterstützung bei seinem Wunsch nach Aufnahme in die EU und die NATO zu, nannte aber keine Termine. Er sagte, Rumänien habe zwar merkliche Fortschritte gemacht, es seien aber auch noch große Anstrengungen nötig, um diese Schritte bewältigen zu können.
Nastase konferierte zudem mit Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, Bundesaußenminister Joschka Fischer, Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul und Wirtschaftsminister Werner Müller. Im deutsch-rumänischen Kooperationsrat, der erstmals seit sechs Jahren tagte, wurden anlässlich des Besuches insgesamt acht Verträge in einem Volumen von mehr als einer Milliarde Mark unterzeichnet. Darüber hinaus wurde Nastase eine Projektliste übergeben, in der mehr als 30 deutsche Unternehmen Interesse an einer Beteiligung an Investitionsvorhaben in Rumänien vor allem in den Bereichen Maschinen- und Fahrzeugbau, Energiewirtschaft sowie Bau- und Agrarwirtschaft bekundeten. In den High-Tech-Bereichen Telekommunikation und Informationstechnologie gibt es bereits eine enge Kooperation.
Klaus Mangold, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, sprach von einer „neuen Dynamik in den deutsch-rumänischen Wirtschaftsbeziehungen“, die sich nach dem Regierungswechsel in Bukarest im letzten Jahr und der „beachtlichen makroökonomischen Stabilisierung des Landes“ anbahne. Inzwischen könne man vom Beginn einer „strategischen Wirtschaftspartnerschaft“ zwischen beiden Ländern sprechen, betonte Mangold.
Zu den abgeschlossenen Verträgen gehören die Lizenzfertigung und Lieferung von 300 Regionalzügen unter Beteiligung von Siemens Transportation Systems an die rumänische Staatsbahn sowie zahlreiche Lieferungen und Anlagenerneuerungen der Energieversorgung durch Strom, Gas und Fernwärme. Von deutscher Seite sind unter anderem ABB, EnBW, Ruhrgas, Alstom, PRS Rohrsanierung, KSB und die DG Bank daran beteiligt. Der Elektronikkonzern Siemens hat einen Auftrag der rumänischen Staatsbahn über rund 250 Millionen Euro erhalten. Der Siemens-Bereich Verkehrstechnik soll 120 Fahrzeuge des Regionalzugmodells "Desiro" liefern. Asea Brown Boveri (ABB) AG, Mannheim, wird den rumänischen Energieversorger Transelectrica mit Schaltanlagen im Wert von mehreren Millionen Euro beliefern.
In Oranienburg im neuen Bundesland Brandenburg besuchte Nastase einen früheren Volkseigenen Betrieb, um sich ein Bild darüber zu machen, wie sozialistische Strukturen in das westliche Wirtschaftssystem überführt werden. In Düsseldorf sprach Nastase mit Ministerpräsident Wolfgang Clement über die wirtschaftliche Kooperation zwischen den beiden Staaten. Die Essener Ruhrgas AG zum Beispiel wird als erster internationaler Investor in die rumänische Gaswirtschaft einsteigen. Das Essener Unternehmen kauft 26,8 Prozent Anteile am rumänischen Versorger Congaz in Konstanza. Die Übernahme kostet rund zwölf Millionen Mark.
In München kam Nastase mit Ministerpräsident Edmund Stoiber zusammen, der dem rumänischen Premier eine Reihe von Vertretern bayerischer Institutionen und Verbände, darunter Bernd Fabritius, Vorsitzender der Landesgruppe Bayern der Landsmannschaft, vorstellte.
Der Besuch war von rumänischer Seite genauestens vorbereitet worden. Nach dem Besuch einer deutschen Wirtschaftsdelegation unter Klaus Mangold vor eineinhalb Monaten in Bukarest führte Rumänien konsequenterweise ein Paket von Maßnahmen durch, welche die erfolgreichen Geschäftsabschlüsse in Milliardenhöhe ermöglichten. Zudem wurde ein staatliches Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unterzeichnet, bilaterale Gespräche auf Ebene der Außen-, Innen- und Verteidigungsministern führten zu einer weiteren Annäherung.
So konnte Nastase zum Abschluss seines Besuches in Deutschland am 5. Juli in München zu Recht verkünden, das die „kommunikative Blockade zwischen Deutschland und Rumänien“ nunmehr aufgehoben sei. Vor bayerischen Unternehmern in München warb er für sein Land, das in touristischer und wirtschaftlicher Hinsicht lohnend sei. Ausländische Investoren seien im Karpatenland willkommen, der politische und rechtliche Rahmen stabil. Soziale Unruhen seien kaum zu befürchten, da mehr als die Hälfte der Bevölkerung laut jüngsten Umfragen die Privatisierung befürworte und selbst die Gewerkschaften weiser geworden seien. Die große Mehrheit der Rumänen wünsche den EU- und NATO-Beitritt ihres Landes. Nastase hofft, dass Rumänien beim NATO-Gipfel 2002 in Prag als Mitglied aufgenommen wird. Ebenfalls im nächsten Jahr wolle Rumänien alle Kapitel der EU-Beitrittsverhandlungen eröffnen und bis Mitte oder Ende 2004 abgeschlossen haben. Dafür wurden entsprechende Strukturen in der Regierung geschaffen, die von Hildegard Puwak, der Ministerin für Europäische Angelegenheiten, geleitet werden. Neben Außenminister Mircea Geoana, Finanzminister Mihai Tanasescu, Industrieminister Dan Ioan Popescu und Transportminister Miron Mitrea und dem Hermannstädter Oberbürgermeister Klaus Johannis gehörte sie zur rumänischen Besuchsdelegation.
Die Chancen für eine Makrostabilisierung stehen nach Ansicht von Nastase gut, im kommenden September hoffe Rumänien ein Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds unterzeichnen zu können. Für Anfang 2002 sei eine Steuerreform geplant. Erste Anreize für Investoren habe die Regierung gleich nach ihrem Antritt durch die Einführung des KMU-Gesetzes und die Gründung eines Ministeriums gesetzt, das für kleine- und mittelständische Unternehmen zuständig sei. Die bürokratischen Hindernisse, die Korruption in Verwaltung und Justiz sind Adrian Nastase bekannt, und er versuchte erst gar nicht, die Probleme schönzureden. Er hoffe, die Probleme mittelfristig in den Griff zu bekommen, etwa durch einen beschleunigten Privatisierungsprozess, der den Nährboden der Korruption beseitige und mehr Transparenz schaffe. In den Staatsbetrieben sei, so Nastase weiter, ein „System parasitärer Interessen“ entstanden, das ein effizientes Management verhinderte.
Ehrgeizige Privatisierungen habe die Regierung auch in der Landwirtschaft und dem Tourismus noch für dieses Jahr geplant, ebenso wolle sie den maroden Stahlriesen „Sidex“ Galatz in private Hand überführen. Differenzen gerade bezüglich der Privatisierung hat Nastase offensichtlich mit alten Kadern wie Staatspräsident Iliescu. In einem Gespräch mit der Tageszeitung Die Welt hatte er noch im Vorfeld seines Deutschland-Besuches eingeräumt: „Iliescu setzt mehr auf die Staatsangestellten in der PSD. Ich finde, wir sollten uns mehr für die in der Privatwirtschaft Beschäftigten öffnen“.
Ein "Gesetz für Direktinvestitionen" hatte Nastase schon im letzten Monat dem Parlament vorgelegt und damit eine Vertrauensfrage verbunden. Das Investitionsschutzgesetz soll Vorteile für direkte Investitionen von mindestes einer Million US-Dollar gewähren. Neben Besitzgarantien und Steuererleichterungen sieht es die Möglichkeit des vollständigen Gewinntransfers ins Ausland vor. Mit dem Gesetz werden nun alle Investitionsformen abgedeckt. Investitionen unter einer Million US-Dollar werden durch das KMU-Gesetz geregelt, für Investitionen über zehn Millionen US-Dollar werden Bedingungen und Vergünstigungen im Einzelnen ausgehandelt und durch jeweils separate Gesetze festgeschrieben.

Siegbert Bruss


(Siebenbürgische Zeitung, Folge 11 vom 15. Juli 2001, Seite 4)

Link: Schwierige Aufgaben für Regierung Adrian Nastase

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