15. März 2005

"Siebenbürgen" gibt Rätsel auf

Für jeden leidenschaftlichen Heimatkundler gibt es kaum einen wirklichen Urlaub von seinem Studienobjekt - im altsächsischen Sinne von "sich verabschieden". So auch für Walter Schuller vor einigen Jahren bei einem einwöchigen Aufenthalt auf der ostfriesischen Insel Borkum. In der dortigen Kurhausbibliothek sprang ihm bei der Durchsicht einiger Heimatchroniken Ostfrieslands unvermutet eine Abbildung ins Auge: ein Schiff mit dem Schriftzug "Siebenbürgen"! Schuller berichtet.
Da die nordwestlichste Ecke Deutschlands für den Hobbyforscher bereits seit geraumer Zeit als „Verdachtsgebiet“ gilt, nicht zuletzt auch in Bezug auf die Herkunft und Bedeutung des Landschaftsnamens „Siebenbürgen“, war meine Neugier geweckt.

Die ersten Erkundungen gestalten sich schleppend. Beim Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven werde ich dann fündig. Außer den technischen Daten ist auch eine Art Kurzbiographie der Siebenbürgen dabei. Demnach wurde das Schiff 1957 auf der Martin Jansen Schiffswerft & Maschinenfabrik in Leer gebaut. Die Hintergründe der Namensgebung bleiben im Dunkeln. Alle Nachforschungen verlaufen zunächst im Sande. Erst nach einem erneuten Anlauf in diesem Jahr ließ sich das Rätsel aufklären. Zum Vorschein kommt eine typische Verschränkung von Zeitgeschichte und Lebensgeschichten in der Mitte des letzten Jahrhunderts.

Nach ihrem Schulabschluss in Mediasch 1938 geht die 18-jährige Ingrid Frank zum Studium nach Dresden. Sie hat eine wohlbehütete Kinder- und frohgemute Jugendzeit in der Kokelstadt verbracht. Ihr Vater Dr. Richard Frank, gebürtiger Hermannstädter, besitzt eine Praxis in der Hermannstädter-Straße und ist beliebter Schularzt.

Von der Ostfront kommt schwerverwundet der Wehrmachtsleutnant Kurt Jansen 1942 in ein Lazarett nach Leipzig. Im historischen Auerbach-Keller lernen sich der genesende Ostfriese und die Siebenbürgerin kennen. Die letzten Kriegsmonate ist der gelernte Maschinenbauer in Rumänien und Ungarn im Einsatz. Im Jahre 1946 wird er aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen. Das Ehepaar Jansen hat einen Sohn, Ingo. Die Jansens blicken auf eine alte Schiffsbautradition zurück, deren Wurzeln ins Dänische reichen - aus Jensen wurde schließlich Jansen. Martin „Max“ Jansen gründete 1926 in Westrhauderfehn die Schiffswerft, die 1950 nach Leer verlagert wurde. Nach seinem Tode 1953 übernimmt der älteste Sohn Kurt die Firma, die inzwischen auch eine eigene Reedereiabteilung besitzt und rund 500 Beschäftigte hat.

Es ist der 15. November 1957, ein Freitag, als von einer Helling der Werft das achte, baugleiche Schwesterschiff der „Holland-Serie“ vom Stapel gelassen werden soll. Es wird von Ingrid Jansen auf den Namen Siebenbürgen getauft. Nachdem eines der beiden eigenen Schiffe den Namen Stadt Leer trug, war es im Sinne der ehelichen Parität ein Kompliment des Reeders an seine Gattin bzw. deren alte Heimat. Tags darauf steht in der Ostfriesen-Zeitung zu lesen: „Und wir in Ostfriesland finden es wundervoll, dass gerade die deutschen Siedlungsgebiete im Osten Europas auf diese Weise in der Erinnerung wachgehalten werden.“

Das Schiff Siebenbürgen
Das Schiff Siebenbürgen

Der am 31. Dezember 1957 in Dienst gestellte Frachter hatte die Hauptabmessungen: Länge: 49,85 m; Breite auf Spanten: 8,34 m; Seitenhöhe: 3,62 m. Die Tragfähigkeit betrug 635 Tonnen bei einem Tiefgang von 3,25 m. Der durchgehende Laderaum fasste 31 000 cbf Schüttgut (Vermessungseinheit: 1 Bruttoregistertonne = 100 cbf). Als Antriebsaggregat diente ein 390 PS starker MaK-Dieselmotor, wobei das Schiff eine Geschwindigkeit von ca. 10 Seemeilen erreichte. Zur Ausrüstung gehörten neben der üblichen Funksprech- und Funkpeilanlage ein Echolot und eine automatische Selbststeuerung. An den beiden Masten war je ein Ladebaum montiert.

Die Siebenbürgen kam vorwiegend im Holztransport von Schweden und Finnland nach England zum Einsatz. Aufgrund des Schiffsnamens ist es, wie überliefert wird, nicht selten zu Artikulationsschwierigkeiten bei den englischen Geschäftspartnern gekommen. Ende der sechziger Jahre wurde das Schiff verkauft. Die letzte verfügbare Aufnahme aus dem Fotoarchiv des Deutschen Schifffahrtsmuseums stammt vom 6. Mai 1977 im Kieler Hafen. Später wurde dieser Schiffstyp durch die Containerschiffe abgelöst, so dass die Geschichte der Siebenbürgen entweder in einem Abwrackhafen geendet hat, oder aber tuckernd weitergeht, vielleicht durch die indonesische Javasee.

Walter Schuller

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 4 vom 15. März 2005, Seite 15)

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