15. März 2002

Voller Anmut und Beschwingtheit

Zum 90. Geburtstag der Bildhauerin Annemarie Suckow von Heydendorff
Der Weg, den Annemarie Suckow von Heydendorff in ihrem Leben zurückgelegt hat vom siebenbürgischen Mediasch, wo sie am 21. März 1912 geboren wurde, bis nach Bonn, wo sie heute lebt, ist nicht geradlinig verlaufen wie die stilistische Entwicklung dieser Bildhauerin. Ihr Vater Karl Conrad von Heydendorff, der 1928 mit seiner Familie nach Bukarest übersiedelte und dort ein Unternehmen für Organisationsfragen und Mechanisierung gründete, hätte es gern gesehen, wenn seine Tochter ihm dereinst in der Firmenwerbung zur Seite gestanden hätte. Sie besuchte nicht nur die humanistischen Gymnasien in Mediasch, Hermannstadt und Bukarest, sondern belegte auch Kurse in der Hermannstädter Handelsschule und studierte dann an der berühmten Reimanschule (Malen, Zeichen, Gebrauchsgrafik, Mode etc.) in Berlin. Hier entdeckte einer der Lehrer ihre Begabung für plastisches Gestalten und riet ihr, die Laufbahn als freie Bildhauerin einzuschlagen.
Blick ins Atelier der Bildhauerin Annemarie Suckow von Heydendorff.
Blick ins Atelier der Bildhauerin Annemarie Suckow von Heydendorff.

So kehrte sie nach Bukarest zurück und schrieb sich an der dortigen Kunstakademie (Bildhauerklasse Professor Oscar Han) ein. In handwerklicher Hinsicht erhielt sie hier eine gediegene Ausbildung, ließ sich aber vom klassizistischen Stil ihres Professors nicht beeinflussen. 1935 erwarb sie das Diplom als akademische Bildhauerin. Im selben Jahr heiratete sie den Rechtsanwalt Dr. Hermann Suckow und folgte ihm in dessen Heimatstadt Allenstein in Ostpreußen. Die folgenden glücklichen Jahre gehörten der Familie, gesellschaftlichen Vepflichtungen und ihrem künstlerischen Schaffen. Es entstanden Porträts und figurale Gruppen, eine Madonna für die Kapelle des katholischen Fürsorgevereins in Königsberg und ein preisgekrönter Entwurf für den Märchenbrunnen am Fischmarkt in Allenstein.
1945 erfolgte die Flucht mit ihren drei Töchtern vor den heranrückenden sowjetischen Truppen in den Westen, ihr Ehemann war zu jener Zeit im Kriegseinsatz. Die Flucht ging von Pillau über das Meer nach Swinemünde, nach Greifswald, nach Finkhaushallig Koog und schließlich nach Neumünster. Drei entsagungsreiche Jahre! Doch auch an jenen Orten, wo der Aufenthalt länger dauerte, griff die Künstlerin zu Ton und Werkzeug und setzte ihre bildhauerische Arbeit fort.
1947 wurde Hermann Suckow aus der englischen Kriegsgefangenschaft entlassen. In Neumünster fand die Familienzusammenführung statt, im folgenden Jahr die Übersiedlung nach Bonn und die Gründung einer Rechtsanwaltskanzlei.
Annemarie Suckow von Heydendorff: Frauen aus Siebenbürgen. 1972.
Annemarie Suckow von Heydendorff: Frauen aus Siebenbürgen. 1972.

Da sich die rheinische Universitätsstadt als provisorische Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland zum Zentrum der deutschen Politik entwickelte und ein Magnet für Wirtschaft und Kultur wurde, bot sich hier der Bildhauerin eine Plattform für ihre künstlerische Tätigkeit, verbunden mit Aufträgen für Porträts und Plastiken im öffentlichen Raum bis hin zum Ehrenmal für die Gefallenen der 16. Panzerdivision im Hürtgenwald. In ihrer siebenbürgischen Heimat wäre eine solche Laufbahn nicht möglich gewesen, da ihre Landsleute der bildenden Kunst, insbesondere der Bildhauerei, reserviert gegenüberstanden.
Im Bonner Atelier von Annemarie Suckow von Heydendorff entstanden ungezählte Porträts in verschiedenen Materialien von bekannten Persönlichkeiten sowie deren Angehörigen, Kindern und Jugendlichen. Genannt seien Bundesministerin Dr. Elisabeth Schwarzhaupt, Staatsminister Dr. Ottomar Schreiber, der Bonner Oberbürgermeister Dr. Wilhelm Daniels, die Professoren Dr. Fritz Prinzhorn, Dr. Karl August Reiser, Dr. Hans Dahs, der Godesberger Maler Gerhard Neumann aus Oppeln, die Bildhauerin Erika Lenzner und andere. Einer anderen Motivgruppe gehören die Kleinplastiken und Figuren im öffentlichen Raum an: stehende, sitzende, schreitende Mädchen, Jünglinge und junge Frauen voller Anmut und Beschwingtheit, Akte und Musizierende und das „Sich kämmende Mädchen“. Man geht nicht fehl, wenn man meint, die Künstlerin aus Siebenbürgen habe ihre eigene Gestalt zum Vorbild genommen, so wie sich ihre ostpreußische Kollegin Käthe Kollwitz in den Müttern und trauernden Frauen in Bronze und Zeichnung oder Grafik gespiegelt hat.
Annemarie Suckow von Heydendorff ist ihren eigenen künstlerischen Weg gegangen, hat sich weder von ihrem Bukarester Lehrer noch von den deutschen expressionistischen Avantgardisten beeinflussen lassen, geschweige denn vom Nazi-Stil eines Arno Breker. Wollte man ihre Werke in die Nähe bekannter Namen rücken, so kämen etwa der Franzose Auguste Rodin und der Berliner Georg Kolbe aus Sachsen und Renée Sintenis aus Schlesien in Frage. Auch die Bonner Siebenbürgerin steigert die Lebendigkeit ihrer anmutigen Figuren durch eine impressionistische Oberflächenbehandlung der Bronze.
Eine weitere Themengruppe ist ebenfalls aus dem Erlebnis der Künstlerin geboren, aus den Jahren von Krieg, Flucht und Not. Hier nur einige titelgebende Worte: Wartende, Trauernde, Flüchtlinge, Gefallene. Es sind Werke voller Menschlichkeit, die humanistische Weltanschauung der Künstlerin wiedergebend, Werke der Versöhnung und Trauer, bar jeder aggressiven oder revanchistischen Regung. Sie fordern zur Besinnung auf, es sind „Denkmale“ im wahrsten Sinn des Wortes.
Wenn die Bildhauerin an ihrem 90. Geburtstag zurückblickt, kann sie auf ihr OEuvre von beachtlicher künstlerischer Qualität und ihre Erfolge stolz sein. In der vom Südostdeutschen Kulturwerk München 1978 herausgegebenen Monographie sind die zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen von 1943 bis 1978 verzeichnet. Zu ihrem 85. Geburtstag veranstaltete das Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf eine Retrospektive, die sie selbst als ihre schönste Ausstellung pries. Anerkennung erhielt sie auch von den zahlreichen privaten und öffentlichen Auftraggebern (Gestaltung der Kopernikus-Plakette als Ehrengabe der Städtegemeinschaft Allenstein–Gelsenkirchen, der Goethe-Büste für die Stadtbücherei Neumünster und der „Ausgewiesenen“ als Ehrengabe der Stadt Frankfurt am Main zum Jahr der Menschenrechte). Ihre Plastiken befinden sich in Museen und öffentlichen Gebäuden: Bundesministerium für Wohnungsbau und Innenministerium in Bonn, nordrhein-westfälisches Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Düsseldorf, Max-Reger-Institut in Bonn, Siebenbürgisches Seniorenheim in Drabenderhöhe usw. 1973 überreichte ihr Joachim Freiherr von Braun in Köln den Kulturpreis der Landsmannschaft Ostpreußen. Einige Jahre danach, 1976, erhielt sie auch den Kulturpreis der Siebenbürger Sachsen auf deren Heimattag in Dinkelsbühl.

Günther Ott (KK)


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 4 vom 15. März 2002, Seite 5)

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