4. September 2014

„Waram sellen mer net Soksesch rieden?“

Kerstin Kramar, seit 2003 in Neuseeland und dort einziges Mitglied des Verbandes der Siebenbürger Sachsen, ist im vergangenen Sommer neuseeländische Staatsbürgerin geworden (SbZ Online vom 5. Juli 2013) und lebt mit Tochter Anna (18 Monate), Sohn Lauri (12) und Ehemann Sergius in der Hauptstadt Wellington. Warum die 1979 in Mediasch geborene und in Meschen aufgewachsene Psychologin mit ihren Kindern siebenbürgisch-sächsische Mundart spricht und ihr das Thema „mehrsprachige Kindererziehung“ so am Herzen liegt, erklärt sie in einem Interview mit Doris Roth.
Kerstin, über 18000 Kilometer liegen zwischen deiner neuen Heimat Neuseeland und Deutschland. Warum bist du ausgerechnet dorthin ausgewandert?
Das war keine bewusste Entscheidung und weitere Wanderungen sind durchaus nicht ausgeschlossen. Ich hatte 2001 geplant, mein Psychologiestudium durch einen einjährigen Aufenthalt in Australien zu erweitern. Allerdings gab es durch die Geburt unseres Sohnes Lauri 2002 ein paar Umleitungen. Mein Mann Sergius und Lauri haben mich dann 2003 zum Studium nach Wellington begleitet. Dort habe ich mit Hilfe deutscher und neuseeländischer Stipendien an der Victoria University interkulturelle und klinische Psychologie studiert und Ende 2006 den Masterstudiengang und die Ausbildung zum Psychotherapeuten absolviert. Das Leben mit Kind und Studium lief hier sehr gut und 2007 begann mein Mann sein Studium, was in Deutschland ohne Hochschulreife nicht möglich war. So führte ein Schritt nach dem anderen zu diesem Neuseelandabenteuer, das immer noch andauert. Wir fühlen uns hier sehr wohl. Die Neuseeländer sind kulturell sehr aufgeschlossen und begegnen Einwanderern mit viel Interesse und Zuversicht. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich hier offener als in Deutschland eine Siebenbürger Sächsin sein kann. Ich habe mich hier nie davor gescheut, in der Öffentlichkeit Soksesch mit meinen Kindern zu sprechen. Die Neuseeländer verstehen, dass ich aus Transsilvanien komme, was anscheinend sehr exotisch ist.

Deine Kinder wachsen mehrsprachig auf. Wie funktioniert das ganz praktisch? Wer spricht mit wem wann welche Sprache?
Das klingt wahrscheinlich für andere beim ersten Zuhören wie ein kunterbuntes, multikulturelles Durcheinander oder Gewetsch, besonders wenn Sergius mit seiner Verwandtschaft beim Skypen oder Telefonieren noch ein bisschen Estnisch und Russisch beimischt. Allerdings haben wir bei genauerem Hinhören ein gutes System. Im Prinzip haben unsere Kinder eine „Mamasprache“ (Soksesch), eine „Papasprache“ (Deutsch), eine „Im-Haus-Sprache“ (mein Mann und ich sprechen meistens Deutsch, wobei er auch ziemlich gut Soksesch spricht) und eine „Außer-Haus-Sprache“ (Englisch). Seit Lauri in die englischsprachige Grundschule geht, ist er mit dem Soksesch sprechen aus der Übung gekommen, wobei er alles versteht. Seit Anna da ist, spricht er aber immer mehr Soksesch mit ihr, weil er merkt, dass sie das zurzeit am besten versteht. Anna geht Teilzeit in eine Kita, in der hauptsächlich Maori und teilweise Englisch gesprochen wird, dadurch sind unsere Maorikenntnisse gefordert. Sie spricht im Moment hauptsächlich Soksesch, dann Maori, dann Deutsch. Unsere Familie lebt in einem sehr dynamischen Sprachen- und Kulturumfeld; und nein – keiner von uns ist verwirrt, die Kinder haben keine Sprachverzögerung und Lauris Schulleistungen sind sehr gut. In unserer Familie gibt es keinen Druck, wer welche Sprache mit wem, wann, wo sprechen muss. Und wir erwarten auch nicht, dass die Kinder das auf Anhieb fehlerfrei machen oder immer in der gleichen Sprache antworten. Das ergibt sich ganz natürlich, wenn man konsequent bleibt und Spaß damit hat.

Kerstin Kramar ...
Kerstin Kramar
Warum ist dir die mehrsprachige Erziehung so wichtig?
Ich bin Siebenbürger Sächsin und meine Kinder sind es zur Hälfte. Das ist ein sehr großer Teil unserer kulturellen Identität. Lauri weiß, dass er von Papas Seite halb Wolgadeutscher und halb Ukrainer ist, was wir gleichermaßen schätzen. Er findet es ziemlich toll, so viele europäische Wurzeln und eine so vielfältige kulturelle Identität zu besitzen, und andere beneiden ihn um diese Bereicherung. Und schließlich ist es sein Geburtsrecht und etwas, das er weder verlieren kann noch erwerben muss. Von den Maori habe ich gelernt, dass eine starke kulturelle Identität ausschlaggebend ist, um ein gutes Selbstbewusstsein zu haben und psychisch ausgeglichen zu sein. Ich habe darüber vor kurzem einen Artikel für die neuseeländische Elternzeitschrift „Kiwiparent“ geschrieben und mich mit der Forschung diesbezüglich befasst, die zeigt, dass Mehrsprachigkeit für die Entwicklung von Kindern sehr viele Vorteile hat, besonders, wenn sie die Sprachen von klein auf als Muttersprache lernen. Das Gehirn von mehrsprachigen Menschen weist andere neurologische Strukturen auf. Sie sind in den Bereichen Problemlöseverhalten, Kreativität, Multitasking, Gedächtnis, Konflikttoleranz und soziale Kompetenz einsprachigen Menschen überlegen. Das alles sind Kompetenzen, die vielen Arbeitgebern sehr wichtig sind, was dazu führt, dass Mehrsprachige generell besser bezahlt werden und eher angestellt werden. Außerdem erlernen Kinder, die mehr als eine Sprache sprechen, weitere Sprachen viel leichter. Mehrsprachigkeit ist eine Art natürliches Gehirntraining, neueste Studien zeigen, dass mehrsprachige Menschen ein geringeres Risiko haben, an Alzheimer zu erkranken, oder sie erkranken im Schnitt über vier Jahre später. Mehrsprachigkeit hat also positive Auswirkungen auf das Gesundheitssystem.

Ist Siebenbürgisch denn überhaupt eine Sprache oder doch eher ein Dialekt?
Wenn ich mit anderen darüber spreche, höre ich oft: „Det Soksesch äs jo nor an Dialekt“ oder „Siebenbürgisch ist ja nur eine Mundart“. Darüber lässt sich streiten. Unbestreitbar allerdings ist, dass Mehrsprachigkeit die genannten Vorteile hat, unabhängig davon, welche Sprachen man spricht. Sicherlich sind manche Sprachen in der Wirtschaft nützlicher, zum Beispiel Chinesisch; allerdings bildet sich die vorteilhafte Gehirnstruktur auch, wenn man Soksesch und Maori gleichzeitig lernt. Ausschlaggebend ist, dass man die Sprachen von klein auf, bevor man drei Jahre alt ist, als Muttersprache lernt. Es ist natürlich nie zu spät eine Sprache zu lernen, aber es wird schwieriger, je älter man ist. Für uns als Familie hat die Mehrsprachigkeit nur Vorteile und geht einher mit dem Bewusstsein von unterschiedlichen Kulturen, was Toleranz fördert. Viele Bedenken, die Eltern davon abhalten, ihre Kinder mehrsprachig zu erziehen, sind unbegründet. Ich hoffe sehr, dass mehr siebenbürgische Eltern, die fließend Soksesch sprechen, den Wert darin entdecken, es mit ihren Kindern zu sprechen, oder die Großeltern mit den Enkelkindern. Die Kinder haben dabei nichts zu verlieren, aber sehr viel zu gewinnen, und wir mit ihnen.

Du hast 2006 in Tracht geheiratet und bist 2013 in Tracht zur Einbürgerungszeremonie gegangen, deine Wurzeln sind dir wichtig. Vermittelst du deinen Kindern – neben der Mundart – noch anderes Siebenbürgisches?
Die Liebe zu einer Sprache und Kultur geht auch und vor allem durch den Magen und „durch die Gewänder“. Meine Mutter ist eine siebenbürgische Köchin und mein Vater ein Schneider aus dem Kreis Hermannstadt, also sind wir als Familie gut ausgestattet, diese kulturelle Liebe weiterzugeben. Wir essen gern siebenbürgische und rumänische Gerichte wie Ciorbă, Paleuks, Klämpchen, Sakuska oder Hunklich. Wir sprechen oft darüber, wo Mama und Papa herkommen, welche Ereignisse uns über Zeit und Generationen dahin und von dort weg geführt haben – das ist eine Art ungezwungener Geschichts- und Gemeinschaftskundeunterricht. Lauri ist jetzt ein junger Mann, der stark in seiner kulturellen Identität verwurzelt ist und mehrere Sprachen fließend spricht, wodurch ihm die Welt zu Füßen liegt. Also, waram sellen mer net Soksesch rieden?

Schlagwörter: Neuseeland, Interview, Mundart, Sprache

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Neueste Kommentare

  • 24.09.2014, 12:43 Uhr von Kerstin Kramar: Ja und Ehemann Sergius kann auch Russisch und Estnisch noch dazu und spricht fliessend Soksesch. [weiter]

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