3. Februar 2017

Reinhold Kraus: "Die Berge sind mein Sportplatz, der schönste dieser Welt"

Die Begeisterung für die Berge und den Bergsport, die Jagd nach eigenen Gefühlen und Grenzerfahrungen, das Interesse für fremde Kulturen und die Menschen dieser Welt, das Bedürfnis, den Menschen etwas von dem eigenen Glück zurückzugeben, und vieles mehr sind Triebfedern, die Reinhold Kraus, Vorsitzender der Sektion Karpaten des Deutschen Alpenvereins (DAV) und der Alpingruppe Adonis, auch heute im Leben anspornen. Anlässlich seines 60. Geburtstages am 27. Dezember führte Heidrun Negura folgendes Gespräch.
Reini, du bist als Sechzigjähriger immer noch im Bergsport und vielen Ehrenämtern sehr aktiv. Welche Ehrenämter hast du in deinem Leben bekleidet und wie sieht deine ehrenamtliche Tätigkeit heute aus?
Schon mit 15 Jahren bekleidete ich in Hermannstadt in der Firma UPAS mein erstes ­Sportamt. In Mediasch gründete ich 1985 die Alpingruppe Adonis, die spätere Orientierungslaufgruppe. Benannt wurde sie nach den seltenen Adonisröschen in der Mediascher Gegend. Die Gruppe nahm an vielen Sportwettbewerben, Markierungsaktionen teil und vergab den Adonis-Pokal für eigene Wettbewerbe. 1985-1990 unterstützte ich die Gründung weiterer sechs Bergsteigervereine in Mediasch. Seit 1990 ist die Alpingruppe Adonis in Deutschland unter meiner Leitung wieder aktiv. 1997-2009 bekleidete ich verschiedene Ämter in der Sektion Karpaten des DAV, seit 2010 bin ich deren Vorsitzender. Hier bin ich auch als ehrenamtlicher Trainer und Tourenleiter in verschiedenen Bergdisziplinen tätig. Seit achtzehn Jahren spiele ich in der Theatergruppe Geretsried mit, seit zwei Jahren tanze ich siebenbürgischen Volkstanz ebenfalls in Geretsried.

Reinhold Kraus auf dem Pirchkogel in Kühtai, ...
Reinhold Kraus auf dem Pirchkogel in Kühtai, Januar 2017. Foto: Janik Agnieska
Wie bekommst du alle deine Aktivitäten unter einen Hut?
Indem ich all mein Tun mit Begeisterung, Ernsthaftigkeit, Disziplin und Nachhaltigkeit angehe. Trotz vieler Arbeit und manchmal auch nervenaufreibenden Angelegenheiten, machen mir all diese Aktivitäten Spaß. Zu meinem wöchentlichen Training gehören Turnen, Joggen und am Wochenende die anstehende Sportaktivität. Ich bin an ca. 30 Wochenenden im Jahr sportlich unterwegs. Ich praktiziere alle Bergdisziplinen wie Skitouren, Skihochtouren, Hochtouren, Höhenbergsteigen, Eisklettern, Klettern, Klettersteige, Mountainbike sowie Laufsport wie Marathon und Orientierungsläufe. Wichtig ist mir, die richtige Balance zwischen Vereinsleben, Partnerschaft, Familie, Beruf und dem eigenen Ich zu halten.

Welches waren deine größten Ziele in der Alpingruppe Adonis und Sektion Karpaten?
Die Einführung aller Bergdisziplinen sowie die Pflege des Gemeinschaftssinns. Zurzeit bietet die Sektion Karpaten 17 Bergdisziplinen an. Das habe ich nicht alleine geschafft, sondern mit vielen Bergsteigern, die heute Tourenleiter der Sektion sind. Ohne sie wäre der Verein nicht das, was er jetzt ist, und ich nicht das, was ich heute bin.

Die Sektion Karpaten des DAV wächst und hat kürzlich die 500-Mitglieder-Grenze überschritten. Was ist das Geheimnis?
Die größte Herausforderung, ist es Mitglieder für die Vereinsarbeit zu motivieren und zu begeistern und die Vorzüge der ehrenamtlichen Tätigkeiten aufzuzeigen, wie z.B. sich selbst weiter zu entwickeln oder anderen Freude zu bereiten. Wir verschenken viel Freizeit, lernen aber dabei und bekommen viel zurück. Wichtig ist es in einem Verein, das „Alte“, das geschichtlich Gewachsene aufzugreifen und offen für das „Neue“ zu sein.

Woher kommt deine Liebe zu den Bergen und was gibt dir der Bergsport?
Die Liebe zu den Bergen und der Natur und die Neugierde für die große weite Welt wurde mir in der Mediascher Schulzeit vermittelt, ein gewisses sportliches Talent wurde mir in die Wiege gelegt. Nach Leichtathletik, Fußball und zwölf Jahren Handball folgte dann der Bergsport, den ich mit 30 Jahren begann und mittlerweile seit 30 Jahren praktiziere. Ich habe das getan, was ich am besten konnte, und habe im Bergsteigen die Quelle meines Glücks gefunden. Die Berge sind mein Sportplatz, der schönste dieser Welt. Hier kann ich mich messen, meine physischen und psychischen Qualitäten unter Beweis stellen. Bergsteigen schenkt mir Selbstbewusstsein, Vertrauen in eigene Kräfte, Emotionen, Gefühle der Freude, des Leidens, der Bewunderung für die Schönheiten der Natur. Reisen durch die Welt erweitern mein kulturelles Verständnis.

Du hast auf vielen Expeditionen Gipfel in der ganzen Welt erklommen, die oft über 6000 m hoch sind. Das ist eine unglaubliche Leistung, vor allem weil die Touren mit steigenden Jahren nicht abnehmen. Welches ist die Triebfeder dazu?
Ich habe klein angefangen mit den Gipfeln der Karpaten, dann mit jenen der Alpen und weil ich meine Grenzen noch nicht erreicht hatte, machte ich weiter. Es folgten die höchsten Berge von Europa, Afrika, Süd- und Nordamerika und der sechsthöchste Berg der Welt, der Cho Oyu, wo ich 7900 m erreichte. Das Geheimnis liegt darin, sich konkrete Ziele zu setzen und die Disziplin aufzubringen sich physisch und mental auf diese Ziel vorzubereiten. Ich wollte einer von „ihnen“ sein, den Bergsteigern, die an die Grenzen gehen. Triebfeder für neue Unternehmungen waren Anerkennung und Zuspruch der Freunde, der siebenbürgischen Gemeinschaft, der Vereinskameraden und auch des Ehrenvorsitzenden der Sektion Karpaten, Hans Bergel. Hier eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten internationalen Expeditionen: 2002 – Trecking im Mount-Everest-Gebiet Nepal; 2003 – Elbrus (5642 m) in Russland; 2004 – Mount Kenia (5199 m) und Kilimanjaro (5895 m) in Afrika; 2005 – Aconcagua (6962 m) in Chile; 2006 – Cho Oyu (8201 m) in Tibet – ich erreichte 7900 m; 2009 – Mount McKinley, heute Denali (6190 m), Alaska; 2011 – Ampato (6288) in Peru; 2013 – Trekking im Karakorum und Besteigung des Pastore Peak (6209 m), Pakistan; 2015 – Chimborazo (6267 m) und Iliniza Sur (5248 m), Ecuador.

Welches waren deine anspruchsvollsten Touren?
Der Cho Oyu (8201 m) in Tibet. Der Aufenthalt in der Todeszone war ein einschneidendes Erlebnis und forderte meine gesamte geistige und körperliche Kraft. Nach jedem Schritt benötigte ich mehrere Sekunden Pause. Unvergessliche Momente: auf 7500 m Höhe, 5 Uhr morgens bei minus 25° Grad vor dem gelben Band, einer 30 Meter Steilstufe. Höhenbedingt floss mein Blut spürbar dick und langsam durch die Adern und brachte keine Wärme in meine eisig gefrorenen Hände und Füße. So durchgefroren half mir nur noch der Gedanke: „Wenn man nicht mehr weiter kann, dann erst recht.“ Nur der eiserne Wille peitschte mich in der Dunkelheit der Nacht, die senkrechte Wand nach oben. Ich erreichte 7900 m. Der Mount Mc Kinley (6190 m) in Alaska, der kälteste Berg der Welt, bot härteste bergsteigerische Herausforderungen. Er forderte von mir beste physische Kondition, weil ich 50 kg Ausrüstung über 4000 Höhenmeter selbst tragen musste, psychische Stärke für extremste Wetterverhältnisse und totale Schwindelfreiheit für ausgesetzte Gratwanderungen. Die Eiskletterei der Route Gläserne Madonna in Österreich, ist eine Herausforderung, wenn der 180 m lange Wasserfall gefroren ist und überwiegend senkrecht hoch geht. Hier konnte ich die Finger wegen Verkrampfung und Kälte kaum noch von den Eisgeräten lösen.

Gab es abenteuerliche und auch gefährliche Erlebnisse?
Bei der Besteigung des Mount Kenia (5199 m) in Afrika klettert man die letzten 300 Höhenmeter im vierten Schwierigkeitsgrad. Wir kletterten zu zweit ohne Bergführer und verstiegen uns bei minus 8 Grad Celsius im brüchigen Fels. Glücklicherweise fanden wir die Route wieder. Gefährlich war die Besteigung des Ampato (6288 m) in Peru. Drei Meter vor mir riss eine Lawine unseren Bergführer in die Tiefe. Er überlebte wie durch ein Wunder. Zu dritt retteten wir uns mit einem gebastelten „Seil“ aus unseren Stöcken und Kleidern. Im Karakorum in Pakistan standen wir am Aussichtspunkt, als einige Kilometer von uns entfernt von uns, nahe des Basislagers Nanga Parbat (4050 m), elf Bergsteiger in einem Gemeinschaftszelt von Taliban tragisch erschossen wurden. Man braucht eben auch viel Glück im Leben.

„Wenn eure Wünsche euch nicht erschrecken, dann sind sie nicht groß genug (Ellen Johnson Sirleaf).“ Was bedeutet das Motto auf deiner Webseite für dich?
Ich habe mir einfach vorgestellt, dass ich bestimmte Sachen machen werde, auch wenn dies für den jeweiligen Moment vielleicht utopisch und erschreckend aussah. Man darf nicht nur darüber nachdenken, welches die Hindernisse sein können, weil man sonst zurückschreckt. Man muss sich einfach das Endziel vorstellen und sich mit Mut und Optimismus aus der Sicherheitszone heraustrauen. So habe ich meine großen Wünsche verwirklicht.

„Glück ist erreicht, wenn das, was du denkst, was du sagst und was du tust, in Harmonie sind“ (Mahatma Gandhi). Was sagt dieses Motto deiner Webseite über dich aus?
Einen hohen Gipfel zu erklimmen, der viel körperliche Anstrengung und Konzentration benötigt, bedeutet, dass man ganz mit sich im Einklang sein muss. Nur so kann sich der Körper auf so große Leistungen konzentrieren. Das gilt auch für mein tägliches Leben. Ich verwirkliche meine Träume oder Ideen, weil ich das, was ich denke, auch lebe und mir treu bleibe. Je schwerer die Tour, desto erhabenere Glücksgefühle bei der Rückkehr. Es sind Momente der Erlösung, Befreiung, der Genugtuung, Stolz und Zufriedenheit mit sich selbst.

Du hast auch sehr viele Hobbys. Davon ist ein ganz Großes das Fotografieren, Berichterstatten, Multimediavorträge halten über deine Reisen. Kannst du davon erzählen?
Fotografieren ist meine Leidenschaft. Schon in den jungen Jahren war der Fotoapparat mein ständiger Begleiter und auch in den schwierigsten Positionen am Berg drückte ich auf den Auslöser. Es ist mir wichtig, Freude zu teilen und Menschen zu vermitteln, dass vieles möglich ist, wenn man Entscheidungen trifft und sich dafür begeistern kann. Ich gebe das Erlebte in Multimediavorträgen, Berichten, Bildern, Fotoausstellungen weiter. In Vorträgen vermittle ich Reise- und Bergsteigertipps, zeige Möglichkeiten der Selbstentwicklung auf. Auf meiner Website www.kraus-reinhold.de ist vieles nachzulesen und zu sehen. Bisher hielt ich über 100 Vorträge und schrieb viele Berichte für den „Berggeist“, die „Jahrbücher“ der Sektion Karpaten und für das „Mediascher Infoblatt“. Die Einnahmen meiner Vorträge spende ich oft für Unterstützung von Projekten im jeweiligen Land.

Wie kannst du neuen Mitglieder und älteren Mitgliedern in der Sektion Karpaten Mut machen?
Bergsteigen ist alterslos, man kann immer neue Bergdisziplinen dazulernen. Meistens haben die Menschen Angst vor der Angst. Mut erwirbt man mit der Entscheidung, etwas zu tun. Dann baut man dies mit Training, durch Studium, Vorbereitungen, mit Erfahrungen aus. In der Sektion Karpaten kann man all das lernen und erfahren und wird dabei unterstützt.

Wie sieht der Bergsport für dich ab 60 aus?
Ich werde weiter wie bisher alle Bergdisziplinen ausüben, darunter auch meine Lieblingsdisziplin Klettern am Fels und im Eis. Eines hat sich zu früher geändert: Ich muss mir nichts mehr beweisen, das habe ich bereits getan. Wichtig ist mir, meine Erfahrungen an Jung und Alt weiterzugeben. Ich wünsche mir, dass meine Liebe zu Mensch und Natur weiterhin mein Leben begleitet und bereichert. Für die Zukunft wünsche ich mir sehr viele gemeinsame Touren und Reisen mit meiner Lebenspartnerin in die ganze Welt.

Im Namen der Sektion Karpaten und der Siebenbürgischen Zeitung danke ich dir für deine großartigen Leistungen und deinen unermüdlichen ehrenamtlichen Einsatz für den siebenbürgischen Bergsport. Wir wünschen dir alles Gute zum 60. Gesundheit und weiterhin viel Energie für all deine Zukunftspläne!

Steckbrief: Reinhold Kraus

Geboren: 27. Dezember 1956 in Mediasch
Lebenspartnerin: Dagmar Götz, Tochter: Heike, 36 Jahre
Beruf: Qualitätsbeauftragter und Sicherheitsfachkraft, Firma L‘Orange
Wohnt seit 26 Jahren in Geretsried
Hobbys: Bergsteigen, Orientierungslauf, Laufen, Gitarrenspiel, Volkstanz, Theaterspiel, Metzgern
Lieblingsmotto: für andere da zu sein, sich nicht zu ernst nehmen und positiv denken
Eindruck: dynamisch, immer begeistert im Einsatz, optimistisch, gut gelaunt

Schlagwörter: Sport, Sektion Karpaten des DAV, Bergsteigen

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  • 05.02.2017, 06:07 Uhr von kokel: Ich verfolge den Werdegang dieses außergewöhnlichen Menschen schon seit vielen Jahren und muss ... [weiter]

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