4. Juni 2022
Im Weinberg des Herrn: 150 Jahre seit der Geburt des Pfarrers und Liederdichters Carl Reich
Am 4. Juni sind es 150 Jahre seit der Geburt des Pfarrers und Liederdichters Carl Reich (4. Juni 1872 – 11. März 1953). Seine vielfache Begabung und sein umfassendes Wirken als Lehrer und Seelsorger, als Wirtschaftsmann und Heilkundiger und insbesondere als Liederkomponist wirken bis heute nach und lohnen, betrachtet zu werden. Manche seiner Lieder sind Volksgut geworden. So gehört sein Lied „Angderm Lirber såß ech ist“ zum Liederschatz der Siebenbürger Sachsen, aber kaum jemand weiß, wer der Schöpfer des Liedes war. Wer war dieser Carl Reich? Sein Urenkel Professor Heinz Acker hilft uns, den Lebensweg des Carl Reich zu erkunden.

Unter dem Einfluss Meyndts beginnt Reich nun selber Lieder im Volkston zu schreiben. Er hat mittlerweile den Lehrerberuf aufgegeben und ist Pfarrer in Kerz geworden. Hier im Pfarrhaus von Kerz, inmitten der Ruinen des ehrwürdigen Zisterzienserklosters, weht noch der Geist des hier wirkenden Viktor Kästner (1826-1857), des großen Mundartdichters, ein weiterer Anstoß, sich der Mundartdichtung zuzuwenden. Die Besinnung auf die Mundart ist Ausdruck des Zeitgeistes im Bestreben nach Selbstfindung und Selbstbehauptung der eigenen Volksgemeinschaft als Aufbegehren gegen die Magyarisierungstendenzen der ungarischen Regierung. Da entstehen nun seine Lieder, die sich bald verbreiten: „Wat schengst ta si gälden“, „Äm Ären“, „Det ängstlich Lewken“, „Es steht eine alte Eiche“, „Auf der Heide“, „Im Walde blüht ein Blümelein“ u.v.a.m. Sein „Angderm Līrber såß ech ist“ ist in Siebenbürgen nahezu so volkstümlich geworden wie das von ähnlicher Stimmung geprägte Kirchner’sche „Bäm Hontertstroch“, das einen so erstaunlichen Siegeszug um die Welt erlebte. Mit poetischem Feingefühl wählt er die Texte befreundeter Dichter, wie Otto Piringer, Josef Lehrer, Misch äm Rudt (Orend), Grete Lienert-Zultner u.v.a. Auch die ersten Interpreten hat er sich selber herangezogen. Es sind seine vier Kinder, die das erste Gesangsquartett der Familie bilden: die Töchter Jini (Regine Galter), Lenchen (Helene Georg) sowie die Söhne Karl und Otto Reich, die diese Tradition des familiären Musizierens fortführen werden, so dass sich der Familienchor von Generation zu Generation gewaltig vergrößern sollte.
Heute noch zeigt der Kerzer Pfarrer Misch Reger seinen Besuchern die Kerze im Fenster des Pfarrhauses, mit der die beiden Pfarrerstöchter Jini und Lenchen ein Stelldichein mit den beiden jungen Kerzer Lehrern signalisierten. Jini wurde die Frau des poetischen Schwärmers Kuno Galter, später Pfarrer in Großschenk, und Lenchen die Gattin des kämpferischen Wilhelm Georg, später Lehrer in Hermannstadt. Die Söhne aber setzten das Werk das Vaters fort: Otto Reich als Pfarrer, Dichter und Liederkomponist und Karl-Gustav als geschätzter Seminarlehrer und bekannter Mundartdichter.

Das einst der Mutter gegebene Versprechen, ein „Diener Gottes“ zu sein, war aber sein oberstes Gebot. So war es für ihn selbstverständlich, dass ein guter Hirte seine Herde nie verlassen wird. Als der Erste Weltkrieg ausbrach und sich ein Großteil der Gemeinde, darunter auch die eigene Familie, vor den herannahenden rumänischen Truppen auf die Flucht ins Ungewisse machte, da blieb er mit wenigen Standhaften im Dorf. In seinem „Kriegstagebuch“ verzeichnet er akribisch die Gräueltaten der durch das Dorf marodierenden Truppen, und zwar von „Freund und Feind“. Nahezu 100 Jahre später (2011) veröffentlichte Friedrich Schuster neben Reichs umfassender Ortschronik (1905-1930) auch dessen Aufzeichnungen „Wie der Krieg zu uns kam“ als wichtige Zeitdokumente. Reich setzt sich für die Ehrung der Gefallenen in den Schlachten rings um Kerz ein. Die Einweihung des von ihm initiierten Heldenfriedhofs im Inneren der Abteiruine am 30. September 1928 gestaltet sich zum Medienereignis (Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt vom 2. Oktober 1928).
Hohe Vertreter aus Militär-, Kirchen- und Zivilbehörden sind zugegen: seine Hochwürden, Bischof Friedrich Teutsch, der deutsche Konsul Lautz aus Kronstadt, Baron De La Roche aus München seitens der deutschen Kriegsgräberfürsorge sowie der Berliner Beauftragte für die Kriegsgräberfürsorge in Rumänien, Karl Stauss. Anwesend ist auch der Hermannstädter Bildhauer Rudolf Zelch, der Gestalter der imposanten Rolandsstatue, die ursprünglich für den Hammersdorfer Denkmalsturm bestimmt war (Mitteilung Konrad Klein).
Auch in der Folgezeit erweist er Standhaftigkeit. Nun ist er Pfarrer in Almen. Doch die Zeiten werden stürmisch, denn braunes Gedankengut macht sich auch in der beschaulichen Gemeinde breit und spaltet die Bewohner. Als Parteigänger der völkischen Bewegung ihm den Zutritt zur Kirche verweigern, weicht er einfach mit seinen Konfirmanden in den Nachbarort Schlatt aus. In seiner kritischen Haltung dem Nationalsozialismus gegenüber sieht er sich verbunden mit den „Michaelsbrüdern“ um den Kronstädter Stadtpfarrer Konrad Möckel, die eine kirchliche Erneuerungsbewegung anstrebten.
Im Pfarrhaus von Almen kommt es aber auch zu ergiebigen künstlerischen Begegnungen. Die junge Lehrerin Grete Lienert-Zultner, aus dem benachbarten Nimesch, ist häufig zu Gast im Pfarrhaus, wo sie in Carl Reich einen väterlichen Mentor findet. Ihrer Zusammenarbeit verdanken wir wunderbare Lieder, wie „Det ängstlich Lefken“, „Nor īst noch wīl ich dir begenen“, „Et wäll en klinzig Kängderhånd“ u.a.m.
Rüstig bis ins hohe Alter hat er noch Vertretungsdienste in etlichen Gemeinden (Freck Jakobsdorf, Honigberg und Rothbach) geleistet.
Carl Reich hat, seinen Namen „Reich“ als ein Omen verstanden und sich selber als einen zwar unwürdigen, und dennoch reich beschenkten „Diener Gottes“ gesehen, reich an mannigfaltigen Geistesgaben, an erwiesener Gottesgunst und an einer Nachkommenschaft, die den Segen seines Wirkens „bis ins siebte Glied“ – wie es die Bibel verheißt – fortzutragen versprach. Sein Lebens-Credo findet sich in der Schlusszeile des Lassel/Kästner-Liedes „Ich will, ich wär e Vijelchen“, wo es heißt: „…Dänn wat äs ädler af der Iërd, als diënen, dä as läw uch wiërt / mät Leif uch Liëwen nätzen“. (Denn was ist edler auf der Welt, als denen, die uns lieb‘ und wert, mit Leib und Leben nützen).
Das Lied wurde zur „Familienhymne“, die bei allen Treffen der riesig angewachsenen Lehrer- und Pfarrersippe Reich-Georg-Galter – so bei den „Reichs-Tagen“ 2008 – als Bekenntnis zu dem Credo des Stammvaters Reich erklingt.
Die Kohlezeichnung, die der Kronstädter Maler Waldemar Schachl 1947 von ihm anfertigte, zeigt die feinsinnigen Gesichtszüge, das Verschmitzte seiner blauen Augen, die hinter einer Nickelbrille so viel Güte auszustrahlen wussten. Das Ornat, mit den typischen Silberschnallen, verleiht ihm die Würde seines Amtes. Die feine, vor Anteilnahme leicht bebende Stimme, mit der er uns Geschichten erzählend zu faszinieren vermochte, klingt nur noch in meinem Ohr nach. Mein Geburtstagswunsch: Es sollte mir gelingen, die vielen Lieder, die größtenteils noch nie gedruckt wurden, zu bearbeiten und zu veröffentlichen.
Prof. Heinz Acker
Schlagwörter: Kultur, Mundart, Komponist, Pfarrer, Mediasch, Kerz
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