16. März 2023
Richard Wagner – ein hervorragender Dichter, Schriftsteller und unbeugsamer Intellektueller ist von uns gegangen
Am 14. März 2023 verstarb Richard Wagner in einem Seniorenpflegeheim in Berlin. Die Optimistischen und Gläubigen unter uns werden sagen: „Der Himmel hat ihn aufgenommen oder möge ihn aufnehmen“, die Vorsichtigeren werden denken, er ist auf dem langen Weg „ins Jenseits des Nichts“. Denn wer so viele kluge Gedanken und eindrucksvolle Zeilen, so viele gewichtige literarische und essayistische Werke hinterlassen hat wie er, verschwindet nicht so rasch, sondern bleibt sicherlich noch lange unter uns, in unserer Gedankenwelt, in unseren Erinnerungen, in den Bibliotheken der ganzen Welt.

Im April des Jahres 1952, noch vor Stalins Tod, wie er einmal bemerkte, geboren, wuchs Richard Wagner in Perjamosch, im Banat, in der Nähe der Marosch auf. In der Nähe eines schicksalhaften, schwermütigen Flusses im Banat, der in seinem literarischem Werk immer wieder vorkommt. Er besuchte zwischen 1967 und 1971 das deutschsprachige Lyzeum von Großsanktnikolaus, wo er bereits auf einige seiner späteren Freunde und Weggefährten der „Aktionsgruppe Banat“ traf. Hier lernten auch wir uns kennen und auf dieses Kleinstädtchen bezieht sich der Text „Gott im Banat“, den Richard Wagner für eine Festschrift zu meinem 60. Geburtstag schrieb, und der folgendermaßen beginnt: „Ich stehe vor der Kirche. Vor der Kirche ist die Bushaltestelle. Es ist die katholische Kirche. Sie liegt an der zentralen Kreuzung, in der Ortsmitte, die sie schon lange nicht mehr beherrscht. Die Leute gehen jetzt in andere Kirchen. Es sind andere Leute. (…) Ich lehne am Geländer der Kirchentreppe. Eine junge Frau geht vorbei und grüßt. Ich grüße zurück, wie aus alter Gewohnheit. Wie aus einer verschütteten Gewohnheit, die man als jemand, der auf dem Land aufgewachsen ist, zwar ablegen kann, aber nie verlernt.“
Richard Wagner studierte anschließend, zwischen 1971 und 1975, Germanistik und Rumänistik an der Universität Temeswar. Im Frühjahr 1972 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der später bekannt gewordenen Autorengruppe „Aktionsgruppe Banat“, als deren maßgeblicher Ideengeber und wichtigster Vertreter er angesehen wurde. Sowohl auf literarischem Gebiet wie auch in weltanschaulichen und politischen Fragen gab Wagner oft den Ton und die Richtung an, waren seine Meinung und Kritik maßgeblich. Und zwar nicht nur im Kreis seiner Freunde, sondern bald auch in weiteren Umfeld der rumäniendeutschen Literatur und des deutschen Kultur- und Geisteslebens in Rumänien, insbesondere im Wirkungskreis der auf literarische Neuerungen ausgerichteten Schriftsteller und Intellektuellen.


Von dieser Wert- und Grundposition, zu der er sich nicht leichtfertig bekannte, sondern die er sich intellektuell gründlich und redlich – teilweise auch gegen gewisse Irrtümer seines eigenen Denkens, seiner eigenen ehemaligen Überzeugungen – erarbeitete, erfolgten argumentativ gut begründete, geistreiche und schonungslose ideologiekritische Auseinandersetzungen mit linken Intellektuellen, fragwürdigen Weltanschauungen und problematischen Verirrungen des Zeitgeistes. Apokalyptische Weltuntergangsstimmungen und Heilslehren, die von zu „Grünen“ gewandelten Linken immer wieder demagogisch und weltfremd in die öffentlichen Diskussionen eingebracht und nicht zuletzt politisch geschickt instrumentalisiert werden, bedrohten unseren Wohlstand bereits substanziell, befand Richard Wagner. Dies verband sich für ihn mit Ideologien des Multikulturalismus und Postkolonialismus, die die westliche Kultur, den abendländischen Rationalismus und selbst die Freiheit der Wissenschaften, des Denkens und der Sprache in Gefahr bringen würden. Ebenso kritisierte Wagner den Gestus der moralischen Selbstbezichtigung vieler Deutschen und insbesondere ihrer linken Intellektuellen, die unter Hinweis auf die unauslöschliche historische Schuld dieses Volkes, ihr unrealistisches, weltfremdes, hypermoralisches politisches Weltveränderungsprogramm betrieben und dies zugleich zu ihrer eigenen moralischen Sonderstellung und Selbstüberhöhung nutzten. Ähnlich entschieden kritisierte er das Lagerdenken der „Linken“, das sie den Verbrechen der kommunistischen Diktaturen gegenüber weitgehend blind machte, aber zugleich Hassgefühle und Feinbilder in unsere Gesellschaft hineintragen ließ. Die Verharmlosung und die fehlende intellektuelle Auseinandersetzungsbereitschaft mit den diktatorischen Zügen und Verbrechen der kommunistischen Herrschaft, wie auch der dabei erkennbar gewordene politische und gesellschaftliche Realitätsverlust wurden von ihm besonders eindringlich und entschieden hinterfragt. Wie Recht hatte er mit alldem doch angesichts der ohnehin eher halbherzigen „Zeitwende“, des „Desillusionierungsrealismus“, den wir gegenwärtig, nach dem schrecklichen Überfall der Ukraine durch Russland, erleben, kann man nur feststellen und mahnend in Erinnerung bewahren.
Richard Wagner kannte die „Lebenswelten“ und das „geistige Universum“ der östlichen und südosteuropäischen Welt seiner Banater Herkunft gründlich und ebenso die westliche, abendländische Kultur und soziale Wirklichkeit der fortgeschrittenen Moderne. Dies waren die Ausgangspunkte und das intellektuelle Kapital, die es ihm ermöglichten, sich von diesen Voraussetzungen zugleich weitgehend zu lösen und ihnen ebenso unvoreingenommen wie kritisch gegenüberzutreten. Mit einem eigenen, eigenwilligen, unabhängigen und unbestechlichen Blick, wobei natürlich auch das besondere intellektuelle Verhältnis und die Sensibilität des Schriftstellers, des Künstlers, zur Welt für solche geistige Unabhängigkeit grundlegend erscheint. Er war von allem Anfang an Dichter, Schriftsteller und Intellektueller zugleich, mit allen Faszinationen, Erwartungen, Leistungen, Risiken und Gefahren, die die Verbindung dieser Rollen – vor allem in autoritären Herrschaftssystemen – erwarten ließ. Aber auch in Deutschland, in der freien westlichen Gesellschaft, zählte er ohne Zweifel zu jenen, eher seltenen deutschen Gegenwartsschriftstellern, die sich regelmäßig neben ihrer literarischen Arbeit nahezu mit gleicher Vernehmbarkeit und ähnlichem Gewicht auch als Intellektuelle artikulierten. Dabei waren seine Äußerungen stets durch aufmerksame, eindringliche und unbestechliche Beobachtungen, auch wissenschaftlich kaum anfechtbare Sachkenntnis, umsichtige und bohrende Kritik und ein unverwechselbares, scharfsinniges eigenes und eigenständiges Urteil gekennzeichnet. Seine vielfach ungewöhnlichen und eigenwilligen Betrachtungsweisen und Bewertungen, verstanden sich nicht nur kritisch, sondern standen nicht selten auch im spannungsreichen Dissens zu öffentlich gängigen Meinungen, zum vorherrschenden „Zeitgeist“, und waren gerade deshalb besonders relevant und wertvoll.
Seine zeitbegleitenden „Einwürfe“ eines kritischen „Mitteleuropäers“, die wegen seiner fortschreitenden Krankheit leider schon in den letzten Jahren immer seltener wurden, werden uns sicherlich zukünftig sehr fehlen. Aber er hinterlässt uns immerhin ein umfangreiches und wertvolles literarisches und essayistisches Werk, aus dem wir noch viel lernen können und das uns durch seine hohe künstlerische Ausdruckskraft und sprachliche Faszination noch lange erbaulich ansprechen wird. So wird er bei uns bleiben, aus dem „Jenseits des Nichts“, in unserer vertrauten Erinnerung und mit unserer freundschaftlichen Wertschätzung und Zuneigung.
Anton Sterbling
Lesen Sie auch:„In meinem Kopf ist Berlin, die Stadt, in der ich heute lebe, und das Banat, aus dem ich stamme“. Zum Ableben des rumänisch-deutschen Lyrikers, Schriftstellers und Essayisten Richard Wagner, Von: Dr. Dan Cărămidariu, Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien vom 16. März 2023
Schlagwörter: Kultur, Nachruf, Richard Wagner, Literatur, Lyrik, Banat, Temeswar
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