8. Mai 2010

Barbara Stamm – seit 20 Jahren Rumänienbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung

Seit 20 Jahren ist Barbara Stamm Rumänienbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung. Für die Menschen in Siebenbürgen und ganz Rumänien hat sich die Landtagspräsidentin mit einer Intensität und Konstanz eingesetzt wie kein zweiter Politiker in Deutschland. Für die Siebenbürger Sachsen ist sie eine „Freundin unter Freunden“, wie sie erst kürzlich beim Großen Siebenbürgerball in München bekräftigte. Über ihre vielseitigen Tätigkeitsbereiche und Partner, zu denen auch das Sozialwerk der Siebenbürger Sachsen gehört, sprach mit ihr Siegbert B r u s s.
Im Dezember 1989 gingen Bilder um die Welt, die den Sturz Ceaușescus und die menschenunwürdigen Zustände dokumentierten. „Ich habe mein Herz in Rumänien verloren, und dabei wird es bleiben“, erklärten Sie bei einem Sponsorentreffen vor zehn Jahren in München. Wie entstand Ihr soziales Engagement in Rumänien?

Im Juli 1990 erhielt ich, damals Staatssekretärin im Bayerischen Sozialministerium, durch Beschluss des Bayerischen Landtags den Auftrag, ein Hilfswerk für Rumänien aufzubauen. Bei den ersten Reisen durch Rumänien wurde ich mit Notlagen konfrontiert, die unvorstellbar waren. Ich erinnere an Bilder von Behinderten­zentren, in denen Kinder und Jugendliche unter absolut menschenunwürdigen Bedingungen leb­ten. Oft teilten sich drei oder vier Kinder ein Lager, das die Bezeichnung „Bett“ nicht verdiente. Halb verhungert, von Geschwüren gezeichnet, stumm vor sich hinschaukelnd wie Tiere, die in zu engen Käfigen gehalten werden. Ich erinnere mich an die Bahnhofskinder von Bukarest, die ihre Nächte in den Kanalisationsschächten der Hauptstadt fristeten, die ihren Lebensunterhalt durch Bettelei und Prostitution sicherstellten und aus Plastiktüten Lösungsmittel schnüffelten, um wenigstens für einige Stunden das traurige Leben ohne Perspektive vergessen zu können. Diese erschütternden Erfahrungen der ersten Tage nach der Wende haben mich tief bewegt. Es sind Eindrücke, die ich nie vergessen werde. Beeindruckt haben mich auch die Menschen im Lande mit ihrem Lebens- und Einsatzwillen. Gastfreundschaft und menschliche Wärme waren trotz bitterster Armut immer selbstverständ­lich. Diese Menschen hatten dringend Hilfe nötig. Unsere Hilfe, eine Hilfe zur Selbsthilfe, wur­- de von den Betroffenen mit großer Dankbarkeit angenommen.

Die Rumänienhilfe des Freistaates Bayern ist schon von Anfang an in allen Teilen Rumäniens aktiv. In der Moldau betreuen Sie ein Heim für schwerstbehinderte Kinder und Jugendliche, im Banat ein Projekt für an Hämophilie und Diabetes erkrankte Kinder und Jugendliche. In Hermannstadt haben Sie eine Fachschule für Heilerziehungspflege und einen Studiengang für Sozialmanagement ins Leben gerufen. Auch das Carl-Wolff-Alten- und Pflegeheim sowie das dort vor kurzem errichtete Hospiz erfuhren Ihre Unterstützung. Welche weiteren Schwerpunkte hat die Bayerische Rumänienhilfe im Land?

Im „Carl-Wolff-Altenheim“ und in dem angeschlossenen Hospiz wird viel Gutes für die Menschen in ganz Siebenbürgen geleistet. Besonders im Hospiz besteht erhöhter Bedarf, der auch technische Ausstattung erfordert. Die notwendige Aufstockung dieser Ausstattung wollen wir unterstützen. Deswegen werden wir – gemeinsam mit Ihrem Verband und den beim Großen Siebenbürgerball über das Sozialwerk gesammelten Spenden – den Bestand an Sauerstoffanreicherungsgeräten im Hospiz aufstocken.

In Jassy ist in enger Zusammenarbeit mit dem Rathaus ein Mutter-Kind-Schutzzentrum entstan­den, das im November 2008 eingeweiht wurde. Hier werden Kinder und ihre Mütter intensiv betreut, die in akuten sozialen Notlagen sind und denen Obdachlosigkeit oder Gewalt droht oder die keinen festen Wohnsitz mehr haben. Sie können bis zu eineinhalb Jahren in der Einrichtung bleiben und werden je nach Bedarf pädagogisch und psychologisch begleitet. Ziel ist die Vorbereitung auf die Eigenständigkeit. Hierzu zählen etwa innere Stabilität, Eingliederung in einen Schul-, Studenten- oder Arbeitsalltag, Bewältigung der häuslichen Pflichten und vor allem ein gesunder Umgang mit den Kindern. Im Kinderschutzhaus sollen alle erst einmal Sicherheit, Ru­he und sich selbst finden. Unterstützung erhält auch das Katholische Krankenhaus in Barticești, Kreis Neamț. Mehrere Projekte wurden gemeinsam mit der Saxonia-Stiftung in Kronstadt durchgeführt. Beispielhaft nennen möchte ich die Einrichtung einer Fahrradreparaturwerkstatt in Rosenau und diverse Hilfstransporte, vor allem mit Pflegebetten und Medikamenten.
Bayerns Landtagspräsidentin Barbara Stamm und ...
Bayerns Landtagspräsidentin Barbara Stamm und Bürgermeister Klaus Johannis besuchen das von der Stiftung Bavaria-Romania unterstützte Nachtasyl für obdachlose Jugendliche in Hermannstadt. Foto: Fabritius
Der Menschen in Siebenbürgen und im Banat haben Sie sich bei Ihren über 70 Arbeitsbesuchen in Rumänien besonders angenommen. Die von Ihnen gemeinsam mit Dr. Bernd Fabritius, dem Bundesvorsitzenden des Verbandes der Siebenbürger Sachsen, im Jahr 2001 gegründete und geleitete „Stiftung Bavaria-Romania für Soziale Assistenz in Rumänien“ hat ihren Sitz in Hermannstadt. Welche weiteren humanitären Projekte betreut Ihre Stiftung?

Hermannstadt ist der Schwerpunkt unserer Projekte in Siebenbürgen und daher auch der Sitz unserer Stiftung. Diese wurde als Projektträger nach rumänischem Recht gegründet, um in Rumänien eine rechtlich arbeitsfähige Plattform zu haben. Die Stiftung ist der Träger aller Projekte, so auch der im Jahr 2000 in Hermannstadt eröffneten Fachschule „Friedrich Müller“ für Alten- und Heilerziehungspflege. Gefördert wird sie vom Freistaat Bayern, der Diakonie Neuendettelsau und vielen Spendern. Es ist die erste Schule dieser Art in Rumänien.

Wir haben bei unserer Arbeit in Rumänien schnell erkannt, dass vor allem im Bereich der Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen und der Betreuung von Senioren qualifiziertes Fachpersonal fehlt. Deswegen haben wir zuerst die Schaffung und Anerkennung der entsprechenden Berufsbilder vorangetrieben. Dieses war ein besonders steiniger Weg durch die in Rumänien nach wie vor recht unvorhersehbare Bürokratie, zumal die entsprechenden Berufe vorher in Rumänien nicht bekannt waren. Nach Anerkennung der von uns erarbeiteten Rahmenlehrpläne, die sich an die bayerischen Lehrpläne anlehnen, und der Berufe konnten inzwischen an unserer Schule mehrere Jahrgänge verabschiedet werden. Seit Eröffnung der Fachschule wurden rund 400 Fachkräfte in der Fachrichtung Heilerziehungspflege und 140 Fachkräfte in der Fachrichtung Altenpflege/häusliche Altenpflege ausgebildet. Im Zentrum für Fort- und Weiterbildung der Stiftung wurden über 200 Mitarbeiter aus Sozialeinrichtungen fortgebildet.

Bezeichnend war, dass Rumänien 2006 im Bericht der Regierung zum EU-Beitritt in der Leitlinie zur nationalen Strategie für die Betreuung von Menschen mit Behinderungen gerade die von uns geschaffenen Berufe an unserer Fachschule und deren Anerkennung im Berufsgruppenkatalog Rumäniens als einen Hauptvorteil der nationalen Strategie genannt hatte. Bei der Förderung dieser auch auf Bitten der rumänischen Regierung geschaffenen Ausbildungsgänge war Rumänien dann weniger entschlossen. Die Finanzierungslast haben wir bisher alleine mit unseren Partnern in Deutschland getragen.

Mit Unterstützung der Robert Bosch-Stiftung aus Stuttgart und weiteren Unterstützern aus Bayern konnten wir unsere Angebote ausbauen. So wurde im Oktober 2003 der achtsemestrige Studiengang „Sozialmanagement“ für Führungskräfte in der Verwaltung von Sozialeinrichtungen in Kooperation mit der Rumänisch-Deutschen Universität in Hermannstadt eingerichtet. Zwei Jahre später, im November 2005, wurde die Fachschule für Heilerziehungspflege „Olga Sturdza“ in Jassy als Filiale von Hermannstadt eröffnet. Im Oktober 2009 folgte die Eröffnung des deutschsprachigen Studienganges „Theologie und soziale Assistenz“ am Departement für Protestantische Theologie der Universität Lucian Blaga in Hermannstadt mit dem Ziel, sozialpädagogisches Fachpersonal heranzubilden. Im Januar 2010 wurde ein einjähriges Qualifizierungsprogramm für Roma-Frauen in der Fachrichtung „Häusliche Pflege“ eröffnet, das 20 Teilnehmerinnen zählt.

Als besonders wichtig erachte ich die Vernetzungsarbeit humanitärer Projekte in Rumänien. In Kooperation mit der Robert Bosch-Stiftung haben wir bereits zwei Vernetzungskonferenzen mit über 30 teilnehmenden Organisationen aus Rumänien in Hermannstadt durchgeführt, eine weitere steht unmittelbar bevor. Auch waren wir bei der daraus resultierenden Gründung eines Dachverbandes für diese Organisationen federführend tätig. Der Dachverband ist dem Sitz unserer Stiftung angegliedert. Ein weiterer Tätigkeitsbereich der Stiftung in Hermannstadt ist die Verteilung von Hilfsgütern aus Deutschland. So konnten in den letzten acht Jahren ca. 40 verschiedene Sozialorganisationen mit Kleidung, Medikamenten, Heilhilfsmitteln, Lebensmitteln und Mobiliar versorgt werden.

1990, unmittelbar nach der Wende in Rumänien, haben Sie das Amt der Rumänienbeauftragten der bayerischen Staatsregierung übernommen und seither die humanitären Hilfen in Rumänien mit großem Engagement mit Leben erfüllt. Wie sieht Ihre Bilanz nach 20 Jahren aus?

Wir konnten in den letzten Jahren in Rumänien viel bewegen. Wir haben im wahrsten Sinne des Wortes Leben gerettet. Zahlreichen Menschen konnten wir in direkten Notlagen helfen, und konnten wichtige Weichen und Anstöße in der Sozialarbeit setzen. Es ist nun aber die Zeit, dass Rumänien, das seit über drei Jahren Mitglied der Europäischen Union ist, auch in seiner sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung für die schwächsten Glieder der Gesellschaft – das sind Kinder, Menschen mit Behinderungen und Senioren – eine Eigeninitiative zeigt, die europäischen Maßstäben genügt. Wir werden diesen Prozess gerne weiter begleiten.

In Ihrer Festrede beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen 2006 in Dinkelsbühl plädierten Sie für eine baldige Aufnahme Rumäniens in die Europäische Union, um die Hoffnungen der Menschen nicht zu enttäuschen. Seit 2007 ist das Land EU-Mitglied. Dennoch gibt es auch heute noch Nachholbedarf. Was müssten Regierung und Behörden in Rumänien tun, damit die Rumänienhilfe des Freistaates Bayern noch effektiver wird?

Ich war von Anfang an für einen EU-Beitritt Rumäniens, weil ich die Menschen in Rumänien kennenlernen durfte. Diese Menschen waren beitrittswillig und verbanden mit dem Beitritt ihre Hoffnungen auf Verbesserungen in ihrem täglichen Leben. Es passiert einiges, aber viel zu wenig. Ich erwarte weiterhin von den entscheidenden Stellen in Bukarest vor allem im sozialen Bereich ein viel größeres Engagement.

Zwanzig Jahre nach der Wende nach ebenso langer humanitärer Arbeit in Rumänien erwarte ich von den verantwortlichen Stellen in Bukarest über die deklaratorische Anerkennung der von uns geleisteten Arbeit hinaus auch eine finanzielle Beteilung an den laufenden Kosten unserer Projekte zur Ausbildung und Weiterbildung in den sozialen Berufen. Nach wie vor erfolgt die Finanzierung ausschließlich durch Spenden und Zuschüsse aus ganz Deutschland und aus dem bayerischen Staatshaushalt.

Die sozialen Berufe werden in der Gesellschaft kaum anerkannt. Hier ist die Politik gefragt, durch Kampagnen in der Öffentlichkeit und entsprechende Gesetze für die notwendige Anerkennung dieser Arbeit zu sorgen. Ich wünsche Rumänien und seinen Bürgern verantwortungsbewusste Persönlichkeiten in den entscheidenden Stellen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Entscheidende Verbesserungen können nur aus dem Land selbst erfolgen.

Schlagwörter: Interview, Politik, Rumänienhilfe, Bayern

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