15. August 2015

China trifft auf Siebenbürgen in München

Eine siebenbürgische Familie öffnet einem chinesischen Gastschüler für zehn Monate ihre Türen. Ganz selbstverständlich und natürlich erlebt dieser das aktive siebenbürgische Leben der Familie, angefangen von siebenbürgischen Speisen (Wurst in Gech) über Bräuche (Kathreinenball) und Gepflogenheiten (Kränzchen). Zu der in München lebenden Familie des Ehepaares Elke und Heinz Fleps gehören zwei Kinder, Beate und Matthias, die etwa gleichaltrig mit Zhepei sind. Unter der umsichtigen Anleitung der Familie verfolgte der siebzehnjährige Chinese beharrlich sein Ziel, die deutsche Sprache zu erlernen, und bestand an der Volkshochschule die B1-Prüfung für Deutsch. Mit Elke und Zhepei sprach Karin Scheiner darüber, wie die Vertreter zweier so verschiedener Kulturen aufeinander zugegangen und sich nähergekommen sind.
Wie kam es zur Aufnahme von Zhepei in eine deutsche Gastfamilie?

Elke Fleps: Der Zufall schickte uns den Gastschüler aus China ins Haus, denn in unserem Antrag wünschten wir uns einen Jugendlichen aus Skandinavien. Nachdem die alle untergebracht waren, dachten wir, „wenn schon, denn schon“, und nahmen Zhepei mit Neugierde auf. Unser Interesse, etwas über die chinesische Kultur zu erfahren, war geweckt worden.
Zhepei: Ich habe diese Austauschmöglichkeit von einer Organisation, YFU (Youth For Understanding). Deutschland ist ein schönes Land, die Wissenschaft und Technik sind fortgeschritten. Ich möchte wissen, warum ist das so. Ich habe vorher kein Deutsch gelernt. Und das ist meine Absicht, Deutsch zu lernen. Ich konnte schon Englisch.


Welche Möglichkeiten hatte Zhepei, um sein Ziel zu erreichen? Wie konnte er seine Sprachkenntnisse außerhalb der Familie erweitern?

Elke Fleps: Zhepei konnte gar kein Deutsch. Ziemlich schnell habe ich erkannt, dass es eines Intensivkurses bedarf. Die sprachliche Barriere hat das normale Miteinander sehr beeinflusst. Mit Zhepeis Einverständnis habe ich ihn zu einem ­Intensivkurs Deutsch bei der Volkshochschule (VHS) mit knapp 18 Wochenstunden eingeschrieben. Nichtdestotrotz war die Haupt-Kommunikationssprache bis Weihnachten Englisch, wenn es darum ging, Abläufe zu klären, Tätigkeiten zu definieren und Schulangelegenheiten zu organisieren. Erst nach Weihnachten war eine Verständigung auf Deutsch möglich. Nach dem Intensivkurs war ich sehr darauf bedacht, dass er auch weiterhin die Kurse an der VHS München besucht. Im April hat Zhepei die B1-Prüfung (international anerkannt) bestanden!


Kannst du dich an ein Vorkommnis erinnern, bei dem dir bewusst wurde, dass Sprachbarrieren die Kommunikation erschweren? Oder dass Asiaten anders denken?

Elke Fleps: Ja, Missverständnisse gab es anfangs sehr oft. Zhepei antwortete „Ja, ja“ und vermittelte uns den Eindruck, er habe verstanden. Aber aufgrund der ausbleibenden Handlung stellten wir fest, dass dem nicht so war. Er bejahte aus Höflichkeit. Aus dem gleichen Grund, und weil es bei ihm zu Hause nicht üblich war, äußerte er seine Gedanken und Gefühle nie. Allmählich lernte er auch das. Wir forderten ihn dazu auf und er merkte, dass in unserer Familie große Offenheit herrscht.


Zhepei, du bist ein Einzelkind und besuchst in deiner Heimat ein Internat. Du hattest nun plötzlich zwei „Halbgeschwister“. Was war ein großes Problem im Alltag?

Zhepei: Ich glaube, dass es mir schwer fiel, mich anzupassen wegen meinem Charakter, ich bin ein bisschen introvertiert. Außerdem hatte ich Angst vor der neuen Umgebung. Ohne Freunde und Verwandte. Ich konnte mich nicht verständigen. Matthias und Beate haben mir sehr geholfen. Mit Matthias habe ich das gleiche Hobby, Basketball. Er hat mich sofort zu seiner Mannschaft gebracht. Beate ist sehr nett und gutmütig. Sie haben mir immer bei den Hausaufgaben geholfen.

Elke Fleps: Es bedurfte vieler Gespräche mit Zhepei, bis er sich am Familienleben beteiligte. Dass sich die Familie im Wohnzimmer trifft, war ihm unbekannt. Er wurde in Abläufe, die in unserer Familie üblich sind, eingebunden, z.B. den Tisch decken. Er zeigte bald eine gewisse Lockerheit, die aber verloren ging, als sich sein Abreisetermin näherte.

Bald verlässt du deine Gastfamilie, Zhepei. Was war dir hier besonders fremd? Was hat bei dir einen unvergesslichen Eindruck hinterlassen?

Zhepei: Ich kann die Zeit um Weihnachten nicht vergessen und meine Geburtstagsfeier. Ich werde zeigen, wie gut ich Deutsch gelernt habe, und habe Freunde gefunden. Die meisten Unterschiede zwischen den beiden Ländern sind die Leute. Die deutschen Leute sind freundlich, aber man braucht Zeit, um mit ihnen Freund zu werden. Das Essen war mir fremd. In China isst man nie rohes Essen.

Was bewegt dich, liebe Elke, wenn du an die gemeinsame Zeit mit eurem Gastschüler denkst?

Elke: Ich bin überwältigt, wie schnell die Zeit vergangen ist. Erinnerungen an meine vor 27 Jahren zurückliegende Erfahrung als Gastschülerin in den USA wurden immer wieder geweckt. Übrigens war dieser sehr gelungene Aufenthalt der Auslöser für die Idee, selber einen Gastschüler aufzunehmen. Auf diesem Wege wollte ich meine Dankbarkeit zeigen und etwas von dem Glück zurückgeben, das ich damals in meiner Gastfamilie erfahren hatte. Es erfüllt mich mit Stolz, auf diese Art und Weise meinen Beitrag zur Völkerverständigung geleistet zu haben. Diese Idee wird von Matthias weitergeführt. Er ist in Deutschland geboren und wird demnächst als Gastschüler für ein Jahr nach Târgu Mureș / Siebenbürgen fahren, wo er bei einer rumänischen Familie leben wird. Man könnte fast behaupten: Der Kreis schließt sich. Und um es mit dem Slogan der Organisation zu sagen: „In der Welt zu Hause“.


Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute!

Schlagwörter: Jugendaustausch, Jugend, München, Interview

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