18. Juli 2015

Gedenkstunde am 20. Juni beim Sommerfest der Kreisgruppe Köln

In Köln verbinden die Siebenbürger Sachsen ihr diesjähriges Sommerfest mit einer Gedenkfeier zum nationalen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung. Heraus kommt eine würdige Veranstaltung, die Erinnerung und Mahnung, aber auch Freude am Leben verknüpft.
70 Jahre nach Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten sowie aus Mittel- und Südosteuropa wurde am 20. Juni in ganz Deutschland zum ersten Mal der nationale Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung begangen. Dieser Tag erinnert an Leid und Leidenswege unter jenen Deutschen, die nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft selbst zu Opfern von ethnischen Säuberungen, Vertreibungen, Entrechtung und Enteignung sowie Unterdrückung durch kommunistische Systeme in Osteuropa nach 1945 wurden. Von den mehr als 18 Millionen Deutschen im Osten verloren bis zu 15 Millionen ihre Heimat, weit über zwei Millionen haben Flucht und Vertreibung nicht überlebt. Das war, ist und bleibt Unrecht – gedenkwürdiges Unrecht!

Die Gedenkfeier im Vereinshaus der Siebenbürger Sachsen, die in Kooperation mit dem Kreisverband Köln des Bundes der Vertriebenen (BdV) durchgeführt wurde, erweiterte den Blick und rückte zusätzlich die heutigen Spätaussiedler in den Fokus der historischen Betrachtung. „Wir Siebenbürger Sachsen oder Banater Schwaben, aber auch viele andere deutsche Volksgruppen in Ost- und Südosteuropa haben darunter gelitten, dass wir als deutsche Minderheiten unter rumänischer oder, wie z. B. die Deutschen aus Russland, sowjetischer Diktatur leben mussten“, so Hanna Jung-Boldan, Kreisgruppenvorsitzende der Siebenbürger Sachsen in Köln.

Ähnlich äußerte sich
Stephan Krüger, Vorsitzender des BdV in Köln, bei ...
Stephan Krüger, Vorsitzender des BdV in Köln, bei seiner Ansprache. Foto: Aspazia Schuster
Stephan Krüger, Vorsitzender des BdV in Köln: „Der Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung ist für uns nicht bloß ein rückwärtsgewandter Blick und ein Totengedenken. Wir haben uns im BdV Köln bewusst entschieden, die Lebendigkeit der ostdeutschen Kultur mit unserem Programm hervorzuheben. Wir wollen fortführen und lebendig halten. Denn sonst bestehen Schlesien, Oberschlesien und Ostpreußen, das Sudetenland, die siebenbürgische oder russlanddeutsche Kultur bald nur noch im Museum. Deshalb fühlen wir uns auch verpflichtet, als Partner der heimatverbliebenen Deutschen zu arbeiten und unseren Beitrag zum Erhalt der heute noch in Europa bestehenden deutschen Kultur und Sprache in den alten Siedlungsgebieten zu leisten.“

Menschen brauchen Erinnerungspunkte, das wurde in jedem Wortbeitrag deutlich.
Werner Jostmeier, Beauftragter der CDU ...
Werner Jostmeier, Beauftragter der CDU-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen für Vertriebene, Aussiedler und deutsche Minderheiten. Foto: Aspazia Schuster
Sie sehnen sich nach Würdigung und Anerkennung, die an ihre Geschichte erinnert, aber auch an ihren Neuanfang in der Bundesrepublik. Dieser Gedanke stand bei dem Festvortrag im Vordergrund, den der Landtagsabgeordnete Werner Jostmeier vor über 100 Gästen hielt. Werner Jostmeier ist Beauftragter der CDU-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen für Vertriebene, Aussiedler und deutsche Minderheiten. Seine Ausführungen wurden immer wieder durch spontanen Applaus unterbrochen, es war offensichtlich, dass er den Nerv der Zuhörer getroffen hatte. Seine Ermunterung an die Adresse der zahlreichen Vertriebenen und Spätaussiedler, das Recht auf eine fundierte wissenschaftliche Aufarbeitung ihrer Schicksale einzufordern, war Balsam auf der Seele. Denn bis heute fühlen sich viele Vertriebene, aber auch viele von uns Spätaussiedlern von der Geschichte vergessen oder verleugnet. Es waren Jostmeiers Worte, die auch den Siebenbürger Sachsen unter den Zuhörern klarmachten, dass ihr Schicksal kein gottgegebenes war, sondern schlicht Folge des willkürlichen Vorgehens der neuen politischen Machthaber in Rumänien. Umso mehr galt die Botschaft den vielen Deutschen aus Russland, die zur Veranstaltung gekommen waren, denn sie wurden bereits 1941 von der Wolga in die sibirischen Steppen verschleppt.

Zum festlichen Charakter dieser Gedenkfeier trug in hohem Maße bei, dass sie von geistlichen Worten gerahmt wurde: Zu Beginn betete der aus Siebenbürgen stammende evangelische Pfarrer Georg Türk (Kreisgruppe Köln) und bat um den Segen für die Gedenkstunde, zum Abschluss sprach Pfarrer Rainer Hoverath, Diözesanbeauftragter für Vertriebene und Aussiedler des Erzbistums Köln ein katholisches Wort. Mit Andreas Wolter (GRÜNE) war einer der Bürgermeister der Stadt Köln zu Gast. In seinem Grußwort schlug er unter anderem den Bogen zwischen den Vertriebenen von vor 70 Jahren und den Flüchtlingen von heute, die täglich an den Rändern Europas ankommen.

Unter die Haut ging die Lesung der Autorin Monika Dahlhoff aus Hamm,
Autorenlesung der Zeitzeugin Monika Dahlhoff. ...
Autorenlesung der Zeitzeugin Monika Dahlhoff. Foto: Aspazia Schuster
die Passagen aus ihrem Buch „Eine Handvoll Leben – Meine Kindheit im GULag“ vortrug. Monika Dahlhoff wurde 1940 im ostpreußischen Königsberg geboren und 1944 als kleines Mädchen von russischen Soldaten verschleppt. Zusammen mit anderen Kindern wurde sie dann in einem abgelegenen Gulag völlig sich selbst überlassen. Durch ständigen Hunger, beißende Kälte und fehlende Fürsorge verwahrloste sie immer mehr – und leidet noch heute unter den traumatischen Erlebnissen aus der Kindheit. Ihre Geschichte, aus erster Hand erzählt, machte betroffen, wühlte die Zuhörer auf und führte dazu, dass im Anschluss zahlreiche Gäste das persönliche Gespräch mit der Autorin suchten.

Als weitere kulturelle Programmpunkte boten die Organisatoren den Russlanddeutschen Chor aus Köln auf, der unter der Leitung von Frau Prinz mit einem abwechslungsreichen Repertoire beeindruckte. Auch die Präsentation ungarndeutscher Trachten, fachmännisch vorgestellt von Gabor von Hegyj und seiner Frau Aniko, fand großen Anklang. Der Auftritt der siebenbürgischen Tanzgruppe Köln war dann ein Heimspiel. Die Tänzer zeigten insgesamt sechs Tänze und lockerten das Festprogramm mit feschen Auftritten angenehm auf.
Schwungvoller Auftritt beim Sommerfest: die ...
Schwungvoller Auftritt beim Sommerfest: die Siebenbürgische Tanzgruppe Köln. Foto: Clarissa Rill
Als Fazit der gesamten Veranstaltung lässt sich festhalten: Die Verbindung des traditionellen Sommerfestes der Kreisgruppe mit dem Festakt zum nationalen Gedenktag am 20. Juni ist gelungen. Dass die Vertriebenen von vor 70 Jahren und die in den Jahrzehnten danach nach Deutschland gekommenen Spätaussiedler zeitgeschichtlich betrachtet ein ähnliches Schicksal haben, dessen Ursprung in den großen Kriegen des 20. Jahrhunderts zu suchen ist, wurde während des Festaktes deutlich. Der von der Bundesregierung ausgerufene Gedenktag ist demnach auch für uns Spätaussiedler von Bedeutung und ergänzt in seiner öffentlichkeitswirksamen Strahlkraft den seit 65 Jahren stattfindenden Tag der Heimat des BdV im September.

Roland Zillmann

Schlagwörter: Sommerfest, Köln, BdV, Gedenken, Flucht und Vertreibung

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