4. Juli 2010

Erinnerung an eine verschwundene Welt: Werner Schmitz veröffentlicht Biographie

Ihr Leben lang schon wohnt Sara Dootz in einem abgelegenen Dörflein am Rande des Repser Ländchens. 73 Jahre sind es mittlerweile, in denen die sächsische Bäuerin geschichtliche Wirren mitmachte, persönliches Leid durchlebte und späte Genugtuung erfuhr. Seit diesem Jahr findet sich die lebensfrohe alte Frau in zwei Büchern verewigt: In „Mit der Sonne steh’ ich auf“ erzählt sie aus ihrem Leben, als Oma Disi taucht sie in dem Krimi „Das Karpaten-Projekt“ auf. Hinter beiden Büchern steht der Journalist und Buchautor Werner Schmitz.
Die Recherchen für seinen jüngsten Krimi „Das Karpaten-Projekt“ führten Werner Schmitz nach Siebenbürgen. Zum zweiten Mal, denn bereits zur Jahrtausendwende hatte es ihn wegen eines Buches nach Rumänien verschlagen. Seitdem hat ihn das Land nicht mehr losgelassen, ein ganzer Krimi sollte im Karpatenbogen spielen, so Schmitz’ Idee. Ganze sechs Jahre dauerte die Suche nach Informationen. Eine lange Zeit, in der der frühere Stern-Journalist auch nach Deutsch-Weißkirch kam, wo er auf Sara Dootz traf. Lange Gespräche führten beide, irgendwann war für ihn klar, dass Dootz nicht nur eine Nebenfigur sein kann.

Entstanden ist aus diesen Gesprächen das Buch „Mit der Sonne steh’ ich auf“, in dem Schmitz die sächsische Bäuerin aus ihrem Leben erzählen lässt, ohne ihre Sprache zu glätten, zu verfälschen. Dootz beginnt ihre Erinnerungen in den Kindheitstagen, die sie im Haus ihrer Tante verbrachte – dorthin hatte die Mutter sie gegeben, nachdem der Vater im Krieg gefallen war. Sie spricht von längst vergangenen sächsischen Traditionen, die Richttage der vier Nachbarschaften werden erwähnt, der Weißkircher Fasching, die winterlichen Spinnstuben oder das weihnachtliche gemeinsame Plätzchen­backen auf dem Pfarrhof. Sie räumt mit manchem gern gepflegten Mythos auf. Eingeprägt haben sich der jungen Sara die Missgunst und Ablehnung, die ihrer Familie zu Zeiten der Enteignung durch die sächsischen Nachbarn entgegen schlugen. „Wir behielten unseren Hof“, sagt sie, deportiert worden sei auch niemand aus ihrer Familie, denn der Vater hatte in der rumänischen Armee gedient. „Was der Sachs zuviel hat, ist Neid und Hass“, kommentiert sie lakonisch. Unvermutet stolpert der Leser immer wie­der über solche Weisheiten, die man in der sonst ehrlich, sympathisch naiv erzählten Lebensgeschichte so nicht vermuten würde.

Eigentlich hätte dieses Buch eine Geschichte von Trauer und Trostlosigkeit werden können, angesichts des Todes des Vaters, eines Kindes, zweier Ehemänner, der Erfahrung des Unterganges der eigenen Kultur und des Wegzuges von Freunden und Nachbarn ... Aber nein, diese Sara Dootz hat sich trotz aller Schicksalsschläge ihren Lebensmut bewahrt und sogar einen nicht unbedeutenden Anteil an der Wiederbelebung ihres Heimatdorfes Deutsch-Weißkirch.
Prinz Charles und Sara Dootz (mit Kopftuch) ...
Prinz Charles und Sara Dootz (mit Kopftuch) während eines Besuches der Kirchenburg in Deutsch-Weißkirch im Jahr 2002. Neben Char­les Caroline Fernolend, die Tochter von Sara Dootz. Foto: Bildarchiv Konrad Klein
Seit vielen Jahren sitzt sie jeden Tag vor der Kirchenburg und erklärt den Gästen in vier Sprachen die Geschichte der Sachsen, ihres Dorfes, ihrer Kirche. Einer dieser Gäste war der britische Thronfolger Prinz Charles, der bereits mehrmals in Deutsch-Weißkirch zu Gast war. Die Begegnungen mit Ihrer Hoheit beschreibt die Bäuerin Dootz mit einer so entwaffnend ehrlichen Art, dass der Leser zugleich schmunzeln muss und gerührt ist. Gibt es eine schönere Belohnung am Ende eines Lebens als den Kuss eines Prinzen?

Kein Prinz, dafür ein undurchsichtiger Bärenflüsterer kreuzt den Weg des Journalisten Hannes Schreiber in „Das Karpaten-Projekt“. Schmitz taucht mit seinem Krimi tief in die siebenbürgische Geschichte ein, er baut die vielschichtige Wirklichkeit nach, vor allem die sächsische Vergangenheit hat es ihm angetan. Das Graben in der Geschichtskiste deckt auch postkommunistische Traumata auf. Ein solcher Konflikt bringt Schreiber schließlich auf die Spur des Mörders. In der Zwischenzeit kommentiert er die Geschehnisse in einer saloppen, manchmal anzüglichen Art, mit der er nicht nur Katharinas Herz, sondern auch das ihrer Großmutter Disi erobert.

Wer beide Bücher liest, entdeckt zahlreiche Parallelen – es ist klar, dass sich Schmitz auf einen großen Teil der Erzählungen von Sara Dootz stützt. Mit seinem Krimi hat Schmitz ein unterhaltsames Buch geschrieben, das detailreich und gründlich recherchiert und flott geschrieben ist. Sein Blick auf Siebenbürgen ist ein deutscher, viele Erklärungen sind für deutsche Leser gedacht, auf deren geistiger Landkarte Siebenbürgen ein weißer Fleck ist, dennoch ist das Buch auch für Kenner des Landes eine kurzweilige Lektüre.

Ein zeitloses und authentisches Dokument ist die Lebensbeichte „Mit der Sonne steh’ ich auf“. „So wie es einmal bei uns war, muss es eben aufgeschrieben werden, sonst verliert es sich“, heißt es im Vorwort. Ein einzelnes Schicksal, ein einzelnes Leben, stellvertretend für die immer kleiner werdende Zahl von Siebenbürger Sachsen, die noch die Erinnerung an eine mittlerweile verschwundene Welt bewahren. Ein interessantes Buch für jeden, der einen unverhüllten Blick auf diese früher völlig abgeschottete Gemeinschaft werfen möchte.

Holger Wermke

Werner Schmitz, Sara Dootz: „Mit der Sonne steh’ ich auf. Eine Bäuerin erzählt aus ihrem Leben“, Landwirtschaftsverlag Münster-Hiltrup, 2010, 158 Seiten, 14,95 Euro, ISBN: 978-3784350813.
Mit der Sonne steh' ich auf
Werner Schmitz, Sara Dootz
Mit der Sonne steh' ich auf



120 Seiten
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Schlagwörter: Rezension, Biographie, Deutsch-Weißkirch

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