28. Juni 2025

Kirchenburg Deutsch-Weißkirch im Fokus der Denkmalpfleger

Die Kirchenburgen und Wehrkirchen prägen noch heute die siebenbürgische Kulturlandschaft. Zwar gibt es Kirchenburgen auch in anderen ­Gebieten Europas, doch nirgendwo haben sie sich in so einer Vielzahl auf engstem Raum erhalten wie hier. Sie entstammen einer Phase besonderer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, wurden aber auch unter dem Druck feindlicher Angriffe notwendig. Seit 1999 führt die UNESCO das Dorf Deutsch-Weißkirch (rumänisch Viscri) und die Kirchenburg wegen ihrer ­Authentizität als Welterbe und verzeichnet jährlich eine hohe Besucherzahl. Dank der Mihai Eminescu Stiftung und des unermüdlichen Einsatzes Caroline Fernolends wurden die traditionelle Dorfstruktur und der gesamte Baubestand saniert.
2019 machten Studierende und Professoren aus der Bamberger Otto-Friedrich-Universität Bamberg und Coburg, dem Institut für Archäologie, Denkmalkunde und Kunstgeschichte eine gemeinsam mit der Stiftung Kirchenburgen vorbereitete Exkursion zu mehreren siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen im Harbachtal und Repser Land. Das Ziel der Reise war unter anderem, ein Forschungsthema für Studenten ausfindig machen können. Sie wurden von Dr. Ing. Dipl.-Holzwirt Thomas Eißing (Universität Bamberg), Prof. Dr. Olaf Huth (Hochschule für angewandte Wissenschaften Coburg) und Sebastian Bethge von der Stiftung Kirchenburgen betreut. An der Dokumentationsreise nahm auch Marius Liviu Moldovan, ein aus Temeswar stammender Student des Masterstudiengangs Denkmalpflege in Bamberg, teil. Beim Besuch der Kirchenburg Deutsch-Weißkirch wurde die Gruppe von Dietmar Gross, Kirchenvorstand der evangelischen Kirchengemeinde, empfangen und tatkräftig unterstützt. Der Student Moldovan und sein deutscher Studienkollege Cedric Angel Siffermann entschieden sich, ihre Masterarbeit über die evangelische Kirche in Deutsch-Weißkirch speziell über ihr Dachwerk zu verfassen. Im Jahr darauf begannen sie ihre Forschungsarbeit mit einer Vermessung der Kirche, um verformungsgerechte Pläne zu erstellen. Die Vermessungen mit dem Tachymeter ergaben ein genaues verformungsgerechtes Aufmaß des Objektes. Ergebnis waren sechs Querschnitte des Langhauses und des Chors samt Dachwerk sowie ein Längsschnitt und vier Grundrisse des gesamten Kirchenbaus samt Westturm im Maßstab 1:50. Im Rahmen der Bauaufnahme wurde ein 3D-Modell des Innenraumes und der Außenwände des Langhauses und des Chores angefertigt. Das Modell weist eine Ungenauigkeit von unter 1 cm auf. Eine aus einem festgelegten Abstand angefertigte Bildserie wurde digital nach Prinzipien der Fotogrammmetrie in ein 3D Modell des Kircheninnenraums sowie der Süd-, der Nordfassade und des Chores umgewandelt. Die Recherchearbeit wurde mit der Erstellung eines Befundkatalogs weitergeführt. Dabei wurde die gesamte Kirche in Augenschein genommen, um eine wissenschaftliche Dokumentation zu erarbeiten. Durch genaue Beobachtung und zeichnerische Aufnahme aller scheinbar noch so bedeutungslosen Einzelheiten des Bauwerkes wurden die baukonstruktiven und bautechnischen Eigenheiten untersucht und festgehalten. Nach mehreren Monaten konnte eine umfangreiche Bestandsdokumentation erarbeitet werden, die Basis für die Erforschung des Denkmals.

Die untersuchten und identifizierten Befunde halfen später, eine relative Chronologie der Baumaßnahmen aufzustellen. Allen konstruktiven Eigenschaften des Dachwerks galt eine besondere Aufmerksamkeit, um die baugeschichtlichen Informationen zu eruieren. Die Ergebnisse der Dachwerksdokumentation konnten dann in Bezug zu den in der Literatur ermittelten Bauphasen gesetzt werden.

Es war ihnen möglich, die Abbundzeichen der Zimmerleute, die den Dachstuhl aufrichteten, zu katalogisieren. Sie konnten drei verschiedene Zeichensysteme finden: Buchstaben, dreieckige Aussparungen und römische Ziffern. Nicht immer stimmt jedoch die Reihenfolge, so dass sich einige offene Fragen ergaben. Deshalb wollten sie ihre Untersuchungen und die von ihnen aufgestellte relative Chronologie der Bauphasen mit dendrochronologischen Verfahren untermauern. Die Ergebnisse der dendrochronologischen Untersuchung wurden von Boglárka Tóth und István Botár vom „Anno Domini Dendrolab“ aus Miercurea Ciuc gegengeprüft. Mittels der dendrochronologischer Proben konnte ein genaues Alter der beim Bau des Daches verwendeten Holzteile ermittelt wurden. Desgleichen wurde eine komplette Schadensaufnahme des Dachwerkes erstellt.

Die Forschungsergebnisse der Arbeit von Marius Moldovan und Cedric Stiffermann wurden nun in einer Masterarbeit zusammengefasst, die von der Universität angenommen wurde. Da es sich um neue Methoden der Investigationen an Baudenkmälern in Siebenbürgen handelte, wurde ins Auge gefasst, die Ergebnisse einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit sollten nicht nur als Abschlussarbeit der Studierenden dienen, sondern auch eine geeignete Grundlage für anstehende Sanierungsarbeiten sein und boten eine Grundlage für die Erstellung eines statischen Gutachtens.

Die Publikation „Bauforschung und Gefügeanalyse am Dachtragwerk der Kirchenburg in Deutsch-Weißkirch/ Viscri“ erschein im Verlag Honterus und enthält auch den Befundkatalog, den dendrochronologischen Bericht und die erarbeiteten Pläne, die in voller Größe auch online einzusehen sind.

Die Forscher stellten anhand der entdeckten Befunde, der dendrochronologischen Untersuchung und von Archivstudien elf Bau- und Reparaturphasen an der Kirche fest. Durch die dendrochronologische Untersuchung der Studenten konnte gezeigt werden, dass das in mehreren Phasen reparierte Dachwerk der Kirche 1643 in einer einheitlichen Bauphase entstanden war. Ferner konnten Mythen zum Verhältnis zwischen Kirche und Turm gebrochen werden. Die These, dass der Kirchturm, der sich 4,20 m von der Westwand der romanischen Kapelle befindet, vor der Verlängerung des Langhauses nach Westen zu seiner heutigen Länge von ca. 14 m errichtet wurde, konnte durch die Entdeckung des Abdrucks einer ehemaligen Dachhaut an der Ostwand des Turms zum Dachboden hin widerlegt werden. Der bisher in seiner Entstehung entweder im 13. oder 15. Jahrhundert vermutete Kirchturm konnte durch Dr. Thomas Eißing dendrochronologisch ins Jahr 1473 datiert werden. Ferner konnte durch die entdeckten Befunde die Datierung der Kassettendecke über dem Langhaus richtiggestellt werden.

Diese Masterarbeit liefert eine Dokumentation des Ist-Zustands mittels Tachymetrie, Spezialverfahren (SfM-Verfahren) und einen bauforscherischen Befund- sowie eine Schadensaufnahme auch Grundlagen für ­künftige Restaurierungsarbeiten. Rekonstruktionen älterer Bauphasen und des Aufstellungsprozesses des Dachwerks werden vorgeschlagen. Zweitverwendungsspuren im Chordachwerk sowie das Problem des fehlenden Chorwehrgeschosses und des abgegangenen Gewölbes werden gedeutet. Der Band enthält die Dokumentation mit Bestandsplänen, Risskartierungen, Zeichnungen und Fotos sowie den dendrochronologischen Bericht. Die Pläne sind unter https://masterarbeit.biserica-fortificata-viscri.ro abzurufen. Die Masterarbeit ist kostenlos im Hermannstädter Forum und in der Kirchenburg Deutsch-Weißkirch erhältlich.

Somit wird ein wichtiger Beitrag zur bauforscherischen Aufarbeitung des Kirchendachwerks und insbesondere zur Baugeschichte der Kirche erbracht, zu welcher neue Erkenntnisse gewonnen werden konnten. Deutsch-Weißkirch ist damit die erste Kirchenburg in Siebenbürgen die durch den Einsatz moderner Forschungsmethoden erforscht wurde. Wünschenswert wäre es, auch andere Kirchenburgen zu untersuchen. Da diese Grundlagen nun vorliegen, kann, nach Ausweitung der Forschungen auf das ganze Ensemble, eine sachgemäße Maßnahme, Planung und Ausführung der Generalsanierung der Kirche erfolgen.

Martin Rill

Schlagwörter: Deutsch-Weißkirch, Kirchenburg, Reise, Mihai Eminescu Stiftung

Bewerten:

20 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.