30. Juli 2010

Gottfried Lutsch: leidenschaftlicher Dokumentator des siebenbürgisch-sächsischen Volkslebens

Sicher erinnern sich die älteren Siebenbürger an den etwas unbequemen Filmer, der bei fast allen siebenbürgischen Großereignissen und Festen mit seiner Kamera zugegen war. Am 11. August jährt sich der Todestag von Gottfried Lutsch (1908-1990) zum zwanzigsten Mal. Wer war Gottfried Lutsch? Vorliegende Lebensdaten gründen im Wesentlichen auf dem Typoskript „Mein Bekenntnis: Die Wahrheit“, einer Autobiografie von Gottfried Lutsch, die Konrad Klein (Gauting) der Autorin dieses Artikels, Helga Lutsch, dankenswerterweise zur Verfügung stellte. Das „Bekenntnis“ hatte ihm Anfang der 1990er Jahre Peter Ongyerth, der Ehemann von Lutschs Nichte Ursula, geborene Hager, zugesandt.
Gottfried Lutsch wurde am 6. Mai 1908 als sechstes Kind des Agnethler Kaufmanns und Großgrundbesitzers Michael Lutsch und seiner Ehefrau Mathilde, geborene Breckner, in Agnetheln geboren. Als er vier Jahre alt war, erkrankte die Mutter schwer und starb. Sie hinterließ sieben Kinder im Alter von zwei bis dreizehn Jahren. Der Verlust der Mutter im zarten Kindesalter und die oft fragwürdige Betreuung durch wechselnde Erzieherinnen traumatisierte alle sieben Geschwister bis ins hohe Alter. Lutsch besuchte die Höhere Handelsschule in Kronstadt. Und arbeitete zunächst in der Gewerbebank seiner Heimatstadt Agnetheln, später wechselte er zum Schweizer Elektrizitätsunternehmen SETA, das ganz Siebenbürgen mit elektrischem Strom versorgte. Danach war er Buchhalter in der Seidenfabrik Gromen in Heltau.

Eines Tages kam Besuch aus Deutschland, wahrscheinlich der Vertreter einer Automobilfirma. Er hatte Schmalfilme dabei und erklärte dem interessierten Publikum anhand der Filme das Autofahren. Für Gottfried Lutsch war dies ein Schlüsselerlebnis. Er wollte auch filmen und bat um Zusendung der nötigen Geräte und Filme aus Deutschland. „Die UFA Berlin und die AGFA unterstützten mich, sie gaben mir mehr Filme als ich brauchte, Apparate etc. etc., ich sei der beste Schmalfilmer vom ganzen Balkan“, schrieb er in seiner Autobiografie. Wo immer es ein Fest gab, war „Tit“, wie er von der Familie und von Freunden genannt wurde, anwesend und filmte wie besessen, überzeugt davon, dass einst seine Filme für die Siebenbürger Sachsen einen großen kulturhistorischen Wert haben würden. In den dreißiger und zu Beginn der vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts entstanden Filme über Sitten und Bräuche sowie über die Bauernburgen der Siebenbürger Sachsen.
Nicht ohne seine Kamera: Gottfried Lutsch während ...
Nicht ohne seine Kamera: Gottfried Lutsch während einer Verschnaufpause beim Heimattag in Dinkelsbühl 1982. Foto: Konrad Klein
Den Zweiten Weltkrieg überstand Lutsch wegen eines Stimmbänderrisses als Buchhalter bei Gromen. Er wurde aber im Januar 1945 nach Russland, nach Neproderjinsk (Dnjeproderschinsk) in der Nähe von Dnjepropetrowsk zur Zwangsarbeit verschleppt. Aus dem russischen Zwangsarbeitslager wurde er wie viele andere in die „Ostzone“ Deutschlands, nach Frankfurt/ Oder entlassen. Hier fühlten sich die Siebenbürger Landsleute teilweise noch schlechter behandelt als in Russland, sie sahen sich dem Hass und Neid der Einheimischen, die unter dem Krieg auch schwer gelitten hatten, ausgesetzt. Sie wollten deshalb möglichst schnell nach Siebenbürgen zurückkehren. Schließlich fand sich ein Ortskundiger, der das Grüppchen über das Erzgebirge bis nach Prag brachte. Von dort ging es per Bahn, teils auch zu Fuß weiter. In Agnetheln wurde Lutsch von dem rumänischen Geheimdienst, der „Securitate“, in Empfang genommen und verhört. „Dich haben die Deutschen hergeschickt, damit du für sie Spionage machst. Aus dieser Situation kannst du nur herauskommen, wenn du für uns Spionage machst“, soll der „anchetator“ gesagt haben. „Ich lehnte es kategorisch ab. Da wurde ich im Keller eingesperrt, wo ich zweieinhalb Jahre verbrachte. Alle die wir nicht Kommunisten werden wollten, wurden in das Donaudelta verschleppt zum Umbringen.“ Lutsch überlebte, geriet aber im Zuge der in den endfünfziger Jahre erneut einsetzenden Verhaftungswelle wieder in Gefahr. Ihm wurden homosexuelle Neigungen nachgesagt, die er durchaus auch hatte, die er aber in seinem „Bekenntnis: Die Wahrheit“ dementiert. Nach damals geltendem Recht war Homosexualität ein Straftatbestand. Um einer neuen Verhaftung zu entgehen, ließ er sich in die psychiatrische Klinik in Hermannstadt, das „Dreier Spital“ (Spitalul nr. 3) internieren. Der Leiter dieses Krankenhauses, Dr. Egon Gunthart, ebenfalls homosexuell, war ein Freund Lutschs und wusste um die Gefahr. Am 17. Februar 1952 wurden bei einer Nacht- und Nebelaktion viele der Homosexuellen Hermannstadts verhaftet, darunter auch Dr. Gunthart. In Heltau war es Gottfried Lutsch, der im Beisein seiner Nichte Heinke abgeführt wurde. Nach der Entlassung musste er seine Villa in Heltau verlassen und im Keller eines fremden Wohnhauses wohnen. Die unhaltbaren Zustände bewogen ihn, einen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik Deutschland zu stellen, der genehmigt wurde, nachdem er die üblichen Schikanen, u.a. die Entlassung von seiner Arbeitsstelle, erduldet hatte.

Nach der Ausreise am 15. Januar 1968 wurde er in Geretsried ansässig. Dort ist er nie heimisch geworden. Trotz seiner großen Familie – er hatte sechs Geschwister, von denen einige sehr kinderreich waren – fühlte er sich einsam und allein gelassen. Er wechselte häufig seine Wohnung, war unzufrieden und unglücklich. „So bin ich nun zum Schluss, jetzt Oktober 1989, zum neununddreißigsten Mal umgezogen, nun zum vierzigsten Mal nur noch auf den Friedhof“, schreibt er in seinem „Bekenntnis“.

Nach eigenen Angaben wurde Tit von „München“ (es ist anzunehmen, von einem Vertreter der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen) gebeten, das Filmen in Deutschland fortzusetzen. Er war bis zu seinem Tod unermüdlich tätig. Es entstanden über achthundert Super-8-Filme. Bei allen Festen, von denen er erfuhr, war er dabei. Bei Stadt-, Schützenfesten, Sommer-, Feuerwehr-, Einweihungsfesten und nicht zuletzt beim Oktoberfest in München. Vor allem filmte er bei den Siebenbürgern in Geretsried: den Sommerfesten, Kathrein-Bällen, Nikolausfeiern, Faschingsfeiern. Auch die Heimattage in Dinkelsbühl filmte er.

Bis zuletzt war es schmerzlich für Tit, dass seine Filme, die er in den dreißiger Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg gemacht hatte, weiterhin für ihn unzugänglich blieben. Bei allen Anträgen, die er an das Kultusministerium in Bukarest stellte, wurde er auf später vertröstet. Angeblich befanden sich die Filme bis zuletzt auf dem Dachboden der Polizei (Miliz) in Heltau. Er erhielt jedoch die Drehgenehmigung bei siebenbürgischen und rumänischen Volksfesten. Davon machte er Gebrauch und filmte Hochzeiten, Taufen, die sächsischen Bauernburgen, Trachtengruppen, Volkstänze, Osterbräuche und das Urzellaufen in Agnetheln.

Allmählich blieb auch die Anerkennung nicht aus. „Gottfried Lutsch, einst vom rumänischen Staatssicherheitsdienst verfolgt und verhaftet, der jetzt in Geretsried in Oberbayern lebt und westdeutscher Bürger ist, wird bei seinen häufigen Reisen nach Siebenbürgen von rumänischen Regierungsstellen mit Lob und Dank überschüttet. Er hielt nämlich bei diesen Fahrten in Filmen die Kultur- und Kunstdenkmäler des Landes fest, schöne Dorf- und Stadtansichten, Burgen, Trachten und volkskulturelle Veranstaltungen.“ So eine Notiz in den Südostdeutschen Vierteljahresblättern (1974). Nach einem Unfall mit Oberschenkelhalsbruch erholte Gottried Lutsch sich nicht mehr. Er starb am 11. August 1990 in Geretsried und wurde dort auch begraben.

Ein kleiner Teil des Filmnachlasses von Gottfried Lutsch befindet sich im Siebenbürgen-Institut an der Universität Heidelberg in Gundelsheim. Leider ist nicht nur das Verschwinden der alten Filme, sondern auch einer großen Anzahl neuer Filme zu beklagen. Die genaue Bestandsaufnahme im Siebenbürgen-Institut ergab eine traurige Bilanz. Das Institut ist im Besitz von nur 65 Lutsch-Filmen, Die Stadt Geretsried besitzt 17, es fehlen also über 700 Streifen. Trauriger noch: Es fehlen ausgerechnet die Filme, die für Siebenbürgen kulturhistorisch besonders relevant sind. Möglicherweise befinden sich einige Kopien in privatem Besitz. Jeder, der Filme von Lutsch besitzt, ist deswegen aufgerufen, sich beim Siebenbürgen-Institut an der Universität Heidelberg, Schloss Horneck, in 74831 Gundelsheim zu melden. Wichtig ist es auch zu erfahren, ob es vielleicht noch andere Stellen gibt, wo Lutsch-Filme archiviert wurden. Sicher gibt es heute Material, das qualitativ besser ist als die alten Super-8-Streifen. Die alten Filme sind jedoch eine sehr wertvolle Quelle für die Erforschung unserer siebenbürgischen Lebenswelt.

Helga Lutsch

Schlagwörter: Dokumentationen, Film

Bewerten:

15 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.