6. Oktober 2011

Neues zum Deutschen Orden im Burzenland: Landeskundeverein tagte in Kronstadt

Der 800. Jahrestag der Berufung des Deutschen Ordens in das Burzenland wird 2011 eingehend und auf verschiedenste Weise gewürdigt. Während der Fest- und Gedenkwoche Mitte September in Kronstadt, der „Krönung des Burzenländer Jubiläumsjahres“, war der Jahrestag Anlass einer großen wissenschaftlichen Tagung. Der Einladung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL) folgten vom 15. bis zum 18. September über 170 Tagungsteilnehmer in das Tagungszentrum Redoute in der Hirschergasse. Das von Hon-Prof. Dr. Konrad Gündisch ausgearbeitete Programm der 46. AKSL-Tagung ordnete 14 Vorträge in fünf Themenblöcken an. Referenten aus Deutschland, Ungarn und Rumänien legten den Forschungsstand dar und stellten neue Forschungsansätze und Quellenfunde ihrer Disziplinen vor – jeweils in rumänisch-deutscher Simultanübersetzung.
Der erste Themenblock widmete sich dem historischen Umfeld der Berufung, den auch in den einzelnen nationalen Historiographien unterschiedlichen Blickwinkeln und Interpretationsmodellen über die Anwesenheit des Deutschen Ordens im Burzenland. „Der Deutsche Orden als Wille und Vorstellung. Selbst- und Fremdkonstruktionen einer geistlich-weltlichen Korporation zwischen Ideologie und Politik“ überschrieb der Osteuropa-Historikers Prof. Dr. Thomas Wünsch aus Passau seine Ausführungen zum Deutschen Orden. Nach dem Burzenländer Engagement hatte er als einziger Ritterorden einen großen Staat aufgebaut. Der Rechtfertigungskonflikt zwischen Landesherrschaft und Stiftungszweck wurde insbesondere anhand der Diskussionen auf dem Konstanzer Konzil verdeutlicht. Er blieb eine Konstante unterschiedlicher Bewertungen des Deutschen Ordens bis in die Moderne. Prof. Dr. Șerban Papacostea aus Bukarest, Nestor der rumänischen Mediävistik, zeigte den Kontext des katholisch-orthodoxen Konfessionskonflikts auf, der durch die Eroberung Konstantinopels 1204 räumlich erheblich näher gerückt war: ,,Papsttum und Kreuzzug im östlichen Europa. Das Lateinische Kaiserreich am Bosporus und der Deutsche Orden an der Unteren Donau“. Nachdem die Kumanen 1205 gegen das Lateinische Kaiserreich gekämpft hatten, lässt sich ein größeres Interesse der Kurie feststellen. Gut positioniert war der Deutsche Orden, gerade nach der Niederlage der Kumanen gegen die Mongolen 1223; jedoch wurde er durch die Vertreibung 1225 von den sich in diesem Raum bietenden, breit dargelegten Optionen ausgeschlossen. Frau Prof. Dr. Márta Font aus Fünfkirchen stellte „Ungarn und Osteuropa zur Zeit König Andreas II.“ in einer konzisen Gesamtschau vor, unter eingehenderer Darlegung der meist weniger beachteten Ostpolitik in Halitsch und Wladimir. Prof. Dr. Victor Spinei aus Jassy beleuchtete als vierten Aspekt Beziehungen und Interpretationen zur Moldau und zu den Kumanen.
Blick in den Tagungssaal. Am Rednerpult: Prof. ...
Blick in den Tagungssaal. Am Rednerpult: Prof. Dr. Harald Zimmermann, neben ihm Dr. Konrad Gündisch, Prof. Dr. Márta Font und Timo Hagen. Im Hintergrund die Zeichnung „König Andreas verleiht den Rittern das Burzenland“ von Friedrich Mieß, eine Illustration zur Erzählung „Die Deutschen Ritter im Burzenland“ von Wilhelm Morres, Kronstadt 1900. Foto: Dietmar Rennich
Die zweite Gruppe von Vorträgen brachte die Tagung in die „Mikroebene“, die lokalen Geschehnisse dieser Zeit. In das Burzenland und dessen einzeln vorgestellte sächsische Dörfer führte Prof. Dr. Paul Niedermaier aus Hermannstadt mit Beobachtungen zur Siedlungstopographie, anschaulich insbesondere aufgrund der greifbaren kartographischen Quellen aus dem 18. Jahrhundert. Dr. Harald Roth aus Potsdam erläuterte sein hinter „Kronstadt, eine Gründung des Deutschen Ordens“ gesetztes Fragezeichen. Den seit der „Wiederentdeckung“ der Deutschordenszeit im 18. Jahrhundert geltenden Konsens stört ein seit wenigen Jahrzehnten bekannter Beleg eines Prämonstratenserklosters 1234/1235. Nach der Darlegung, wie wenig geeignet Kronstadt als Zentralort für den Deutschen Orden gewesen wäre, machte er wahrscheinlich, dass die Niederlassung des konkurrierenden Prämonstratenser-Ordens bereits vor der Berufung des Deutschen Ordens bestand. Sie dürfte eine Fortsetzung im Zisterzienserinnenkloster gefunden und sich im großen kirchlichen Grundstückskomplex um die Schwarze Kirche in der Stadttopographie verfestigt haben.

Am zweiten Tagungstag wurden neue Ergebnisse archäologischer Forschungen vorgestellt. Dr. Adrian Ioniță vom Archäologischen Institut „Vasile Pârvan“ aus Bukarest, Fortsetzer der Arbeiten des verstorbenen Prof. Dr. Radu Popa, referierte über die Besiedlung des Burzenlandes im 12. und 13. Jahrhundert. Eine besondere, westliche Bestattungsform mit Kopfnischen sowie Münzen Gézas II. und Stephans III. weisen in das späte 12. Jahrhundert und legen nahe, dass das Burzenland von der gleichen Siedlungsbewegung wie das Gebiet des „Andreanums“ erfasst wurde. Der Forschungsbericht von Prof. Dr. Adrian Andrei Rusu über die Burgen des Deutschen Ordens stellte das Fehlen einer eigenen Deutschordensarchitektur heraus. Die wenigen Anlagen wurden in der typischen Bauweise der Region angelegt, ähneln denen im Sachsen- oder Szeklergebiet. Ein eigener Bautyp als „befestigter Konvent“ hat sich erst allmählich und später in Preußen entwickelt. Prof. Dr. Zeno Pinter aus Hermannstadt gab einen Überblick über „Waffenfunde der Deutschordenszeit“. Die Zeit um 1200 als Höhepunkt der schweren Kavallerie brachte „militärische Spitzentechnik“ hervor. Erfahrungen der Kreuzzüge hatten gerade die Schwertproduktion verändert. Funde aus Siebenbürgen wurden mit Vergleichsfunden bis in die Schweiz abgeglichen und die verschiedenen Klassifikationssysteme für Schwerter vorgestellt. Dieses konkretisierten die sehr erhellenden Ausführungen von Florin Motei über „Ein bislang unbekanntes Schwert aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Kronstädter Historischen Museum“. Die bei Petersberg gefundene Waffe fällt zudem auf durch ein als Meisterzeichen oder Wappen angebrachtes Herz und Kreuz.
Prof. Dr. Paul Niedermaier (links) während seines ...
Prof. Dr. Paul Niedermaier (links) während seines Vortrags über die Siedlungstopopgraphie des Burzenlandes zur Zeit des Deutschen Ordens. Im Hintergrund die Marienburg am Alt mit Blick ins Burzenland. Neben Niedermaier der Tagungsinitiator und -leiter Dr. Konrad Gündisch. Foto: Thomas Șindilariu
Die Rezeption der kurzen Deutschordenszeit in der Neuzeit beleuchtete der nächste Themenblock. Aus seiner jahrzehntelangen Beschäftigung heraus gab der Tübinger Prof. Dr. Harald Zimmermann einen lebendigen Forschungsbericht über den Deutschen Orden in der siebenbürgischen Geschichtsschreibung. Hatte 1689 ein nach Kronstadt entsandter Ordensritter noch vergeblich geforscht, so brachten hundert Jahre später, während der Umbrüche unter Joseph II., der Göttinger Historiker Schlözer (und dessen sächsische Zuträger) diese Ereignisse in die allgemeine Geschichtsschreibung zurück. Schlözer bewertete den Orden und seinen „intriganten Hochmeister“ negativ; erst durch dessen Vertreibung sei ein „freies, glückliches Volk im Burzenland verblieben“. Dieses wirkte lange nach, über Georg Daniel Teutsch bis Oskar Wittstock 1943. Weitere Forschungen und Neubewertungen fasste die 150seitigen Darstellung von Friedrich Philippi im Kronstädter Gymnasialprogramm 1861 zusammen. Ähnlich dem Reich kam im späten 19. Jahrhundert eine positivere Bewertung des Deutschen Ordens auf; auch in das deutschsprachige Schulbuch fand er Aufnahme. Auf rumänischer Seite stieß der Klausenburger Hobby-Historiker Iosif Șchiopul eine Fälschungsdiskussion an, die auch von der renommierten rumänischen Mediävistin Maria Holban weiter geführt wurde. Zimmermann hat die Echtheit der Urkunden nicht nur in seinem jüngst in zweiter Auflage erschienenen Buch über den Deutschen Orden, sondern auch in einem größeren Exkurs seines Kronstädter Vortrags nachgewiesen.

Der junge Heidelberger Kunsthistoriker Timo Hagen stellte in einem spannenden Vortrag mit reichem Bildmaterial die „Rezeption des Deutschen Ordens in der siebenbürgischen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts“. Sie konzentrierte sich auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit Wechselwirkung durch die parallele deutschnationale Deutschordens-Rezeption im Reich. Eine 1942-1944 erstellte Skulptur war vorläufiger Abschluss der Verbildlichung „deutscher Leistungen im Südosten“; nach längerem Desinteresse wird die Deutschordenszeit aktuell in Re-enactment-Ereignissen im Burzenland wieder aufgegriffen.

Die letzten beiden Vorträge befassten sich mit der „zweiten Berufung“ des Deutschen Ordens im 15. Jahrhundert. 13 Ordensritter und 100 Hilfskräfte und Handwerker kamen 1429 unter Leitung des Nikolaus von Redwitz aus Preussen, versehen mit Abschriften der Burzenländer Ordensurkunden in das Severiner Banat. Der Vortrag des Bukarester Professors Dr. Virgil Ciocâltan über,,Kaiser Sigismund von Luxemburg und die Frage der Ansiedlung des Deutschen Ordens an der Unteren Donau“ ordnete diese Aktion in die großen Linien der Politik Sigismunds ein. Der Gedanke, den Deutschen Orden bei der Abwehr der Osmanen einzusetzen, wurde bis in die Phase ungarisch-polnischen Annäherung 1412 und ein chronikalisch bei Jan Długozs überliefertes Geheimabkommen zurückverfolgt – ein Musterfall für die jahrzehntelange Beharrlichkeit Sigismunds bei der Verfolgung einer Option unter verschiedenen politischen Konstellationen. ,,Der Stellenwert des Deutschen Ordens in der Geschichte des Banats von Severin“ wurde von Dr. Viorel Achim vom Geschichtsinstitut „Nicolae Iorga“ in Bukarest dargestellt. Mit 30 Dokumenten liegt ein reicher archivalischer Niederschlag vor, aufschlussreich auch für die Geschichte der Region und eingehenderer Auswertung wert. Die letzten Ordensritter zogen 1437 ab, dem Todesjahr Sigismunds.

Eingeladen waren die Tagungsteilnehmer am 15. September zu einer Sonderführung durch die Ausstellung „Deutsche Kunst in Siebenbürgen aus den Beständen des Kronstädter Kunstmuseums“ und am 16. September zum Empfang beim Bürgermeister. In dessen Rahmen wurden drei Sachsen mit der Ehrenbürgerwürde ausgezeichnet, mit Prof. Dr. Paul Philippi und Dr. Harald Roth zwei langjährige Vorstandsmitglieder des Arbeitskreises. Am 17. September fand die Mitgliederversammlung des Arbeitskreises im Gemeindehaus der Honterus-Gemeinde statt.

Am 18. September starteten zwei Busse zu einer Ganztagesexkursion durch das Burzenland. In Tartlau besuchten die Teilnehmer den Sonntagsgottesdienst der Gemeinde; der Vorsitzende des Arbeitskreises, Pfarrer Dr. Ulrich Wien, übernahm die Predigt. In Marienburg am Alt wurden sie nach Besichtigung von Kirche und Burganlage vom Bürgermeister begrüßt. Er stellte den Exkursionsteilnehmern Pläne vor, die Deutschordensvergangenheit stärker touristisch zu nutzen. In Ausweitung ihrer Vorträge führten Prof. Dr. Adrian Rusu durch die Rosenauer Burg und Prof. Dr. Paul Niedermaier durch die vom Bus angefahrenen Burzenländer Orte; abschließend wurde die Kirche St. Bartholomä besichtigt.

Die Jahrestagung des Arbeitskreises erfuhr erfreuliche breite Unterstützung. Als Partner der Veranstaltung firmierten die Evangelische Kirche A.B. Kronstadt mit dem Archiv und Bibliothek der Honterus-Gemeinde, das Bürgermeisteramt Kronstadt, das Demokratische Forum der Deutschen in Kronstadt, die Firma „Continental Automotive Romania SRL“ und der Kronstädter Kreisrat mit dem Kulturzentrum „Redoute“.

Im Foyer des Tagungsraumes wurde die Ausstellung "800 Jahre Burzenland" gezeigt, die das Deutsche Kulturforum östliches Europa in Kooperation mit sächsischen Institutionen in Deutschland und Kronstadt zusammengestellt hat.

1911 wurde die Ausstellung der Berufungsurkunde als Jahrestag des Beginns der Besiedlung des Burzenlandes gefeiert, das nach dem Wortlaut der Berufungsurkunde „deserta et inhabita“ – wüst und unbewohnt gewesen sei. 2011 wird dieser Vorgang wesentlich differenzierter gesehen. Alte Sichtweisen kritisch zu prüfen und in Frage zu stellen, neue Funde, neue Sichtweisen und Interpretationen einander vorzustellen und den Austausch über die Grenzen der Länder und Disziplinen zu fördern – der diesjährigen Jahrestagung des Arbeitskreises ist dieses in besonderem Maße gelungen.

Martin Armgart

Schlagwörter: AKSL, Burzenland, Jubiläumsjahr 2011, Forschung

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