9. Juli 2013

Neue DVD über Schriftsteller im Fadenkreuz der Securitate

Von einem hinkenden, einem diebischen Glück in den Lücken der staatlichen Kontrolle spricht Herta Müller gleich am Anfang dieses bewegenden Dokumentarfilms von Helmuth Frauendorfer: „An den Rand geschrieben. Rumäniendeutsche Schriftsteller im Fadenkreuz der Securitate“. Darin lässt der Banater Autor und Filmschaffende seine Kollegen zu Wort kommen, die sich an ihre Begegnungen mit dem rumänischen Geheimdienst erinnern. Sie hatten sich mit ihren Texten ‚an den Rand geschrieben’, an den Rand der Gesellschaft. Frauendorfers Film erzählt ihre und zugleich – „am Rande“ – auch seine eigene Geschichte aus jener Zeit.
Der Film nimmt sich viel vor, er beleuchtet chronologisch die 60er Jahre, 70er und 80er, umreißt die Geschichte der Aktionsgruppe Banat, ihre Auflösung und den Übergang in den „Adam Müller Guttenbrunn-Kreis“ und endet mit der Ausreise der Autoren in die Bundesrepublik. Immer wieder greift die Securitate in die Schicksale ein: mal wird Helmuth Frauendorfer für eine Mitarbeit angeworben, dann aufgrund der Intervention Nikolaus Berwangers wieder in Frieden gelassen, dann wird William Totok zur Securitate bestellt, während des Abiturs, in den 70ern, wird er vom Geheimdienst angeworben und später verhaftet. Herta Müller wird auf ihrem Arbeitsplatz schikaniert und später wird ihr gekündigt – auch sie wird von der Securitate verfolgt.

Diese Eingriffe werden von Frauendorfer parallel zur literarischen Geschichte erzählt, zur Entstehung der Aktionsgruppe Banat, in einer Zeit des Liberalismus in Rumänien, zu ihrem Anspruch, das System von innen heraus zu verändern. Wobei Richard Wagner heute ernüchtert feststellen muss: „Die Partei hat mich nicht verändert, aber ich habe sie auch nicht verändert“. Die Gruppe rebellierte selbstbewusst gegen die Mentalität des Banater Dorfes und schrieb eine offene, nicht hermetische Poesie, der Minimalkonsens war ­jener der engagierten Literatur. Richard Wagner, der Kopf der Gruppe, war, so wie er selber zugibt, von der Sorglosigkeit gegenüber literarischen und künstlerischen Hierarchien geprägt, wurde hochgelobt und angefeindet. Später stieß auch Herta Müller dazu, die sich, so wie sie sagt durch ihren Prosaband „Niederungen“ vom „banat-schwäbischen Milieu losgestrampelt“ hatte.

Neben Richard Wagner und Gerhardt Csejka, William Totok und Johann Lippet kommen auch Herta Müller, Helmuth Frauendorfer und Horst Samson zu Wort sowie Harald Berwanger, der Sohn von Nikolaus Berwanger. Die Interviews werden aneinandergeschnitten und die Dokumentation kommt fast ohne Autorentext aus. Deswegen ist aber auch von den Zuschauern viel Insiderwissen gefragt, da die Themen manchmal nur angerissen werden und die ausführlichen Hintergrundinformationen dazu fehlen.

Der Film bietet einen Einblick „von innen“ in die wechselvolle Geschichte dieser Autoren, die – immer mit der dräuenden Gefahr der Securitate im Hinterkopf – trotz alledem literarische Erfolge feierten, sowohl in Rumänien als auch später in der Bundesrepublik. Nicht zuletzt ging eine Nobelpreisträgerin aus ihren Reihen hervor. Im Bonusmaterial lesen die einzelnen Autoren aus ihren Texten. Der Film wurde bereits 2010 veröffentlicht und in Kinos und Veranstaltungsorten aufgeführt. Jetzt ist er auf DVD erschienen. Es ist ein Zeitzeugendokument, das schon allein wegen der Mitarbeit der namhaften Autoren für Literaturliebhaber wärmstens zu empfehlen ist.

Edith Ottschofski


Helmuth Frauendorfer: An den Rand geschrieben. Rumäniendeutsche Schriftsteller im Fadenkreuz der Securitate, Regie: Michael Baum, Helmuth Frauendorfer. Gegen eine Portogebühr von 5 Euro zu bestellen unter: Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Referent für politische Bildung, Genslerstraße 66, D-13055 Berlin, E-Mail: ref.bildung[ät]stiftung-hsh.de.

Schlagwörter: DVD, Schriftsteller, Securitate

Bewerten:

526 Bewertungen: ––

Neueste Kommentare

  • 11.07.2013, 14:27 Uhr von orbo: ""Zeitzeugendokument" entstammt der Geschichtswissenschaft" (...) "Dies ist schon mal ... [weiter]
  • 11.07.2013, 11:40 Uhr von getkiss: Danke @bankban. Dein Kommentar erklärt so manches, was ich ohne weiteres als selbstverständlich ... [weiter]
  • 11.07.2013, 06:56 Uhr von bankban: Der Kommentar von getkiss ist gar nicht so verkehrt, denn er verweist auf einen gewissen ... [weiter]

Artikel wurde 5 mal kommentiert.

Alle Kommentare anzeigen.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.