7. Juni 2014

CD mit Werken von Viktor Ullmann und Norbert von Hannenheim

Dass Musik des 20. Jahrhunderts nicht nur hochintellektuell, sondern durchaus hörerfreundlich ist, und dass komplexe mathematische Konstruktionen für das Ohr verständlich bleiben, wenn sie als geschlossenes Ganzes wiedergegeben werden, das beweist die neulich bei eda records veröffentlichte Doppel-CD mit Klaviersonaten von Viktor Ullmann und Norbert von Hannenheim. Die Werke spielte Moritz Ernst ein, der schon 2011 und 2012 Gast der Konzertreihen „Verfemte Musik“ („Muzica suprimată“) in Siebenbürgen war.
Sowohl der Schlesier Viktor Ullmann als auch der Hermannstädter Norbert von Hannenheim nahmen als Soldaten am Ersten Weltkrieg teil und studierten bei dem Begründer der zweiten Wiener Schule und der Zwölftonmusik, Arnold Schönberg. Beiden wurde nach 1933 die künstlerische Entfaltung in der Öffentlichkeit untersagt. Viktor Ullmann wurde 1944 in Auschwitz ermordet, Norbert von Hannenheim starb 1945 in einer psychiatrischen Klinik.

„Die Nennung der Todesjahre ruft starke Epochenbilder hervor, es sind Schreckensjahre, die in der Menschheitsgeschichte ohne Gegenstück sind“, schreibt Albert Breier in der Begleitbroschüre. Jenseits von biografischen Gemeinsamkeiten ist die Musik, die von den beiden Komponisten hinterlassen wurde, eine feinsinnige, seelenvolle Antwort auf die Grausamkeiten ihrer Zeit, selbst wenn die formale viersätzige Sonatenform gesprengt, der traditionelle Aufbau fragmentiert und melodische Lockerheit nur ausnahmsweise vorkommen.

Auch die Entstehungsjahre einzelner Sonaten sind Zäsuren der Weltgeschichte. So schrieb Ullmann seine zweite Sonate zu Beginn des Zweiten Weltkriegs – trotzdem überraschen die Variationen über ein mährisches Volkslied im Mittelsatz mit ihrer großzügigen Melodik, der bezaubernden Wärme und Sehnsucht, genau wie das leichte, helle Prestissimo im Schlusssatz. Man ahnt, dass der Komponist in der Musik einen Ausgleich für die feindliche Außenwelt sucht. Tatsächlich schreibt Ullmann in Theresienstadt: „hier, wo alles Musische in vollem Gegensatz zur Umwelt steht”. Seine Sonate Nr. 7 entstand im Konzentrationslager. Er setzt der Sonatentradition ein Denkmal, indem er thematisches Material seiner Vorgänger verarbeitet oder zitiert – und insgesamt überrascht sein Werk mit wunderbar farbiger Harmonik, dramatischen Entwicklungen und Klängen, die längst nicht nur dem Elfenbeinturm der Dodekaphonie-Kenner gewidmet sind.

Norbert von Hannenheim ist weniger ein Erkunder der Traditionen. Er arbeitet streng kontrapunktisch und reihentechnisch, er spielt mit den Klangfarben und der Anschlagtechnik, setzt klirrende Höhen, gezupfte Staccati, dunkle Bässe und breitgestreckte Phrasenbögen nebeneinander, etwa in seiner zarten und zugleich lebendigen zweiten Sonate.

Der Pianist, der sich meisterhaft der Herausforderung stellt und die zwölf Sonaten einspielt, ist der nicht einmal dreißigjährige Moritz Ernst, ein Absolvent der Fächer Klavier, Cembalo und Musikwissenschaft in Detmold und Basel. Seine Freude an der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts und die gründliche Auseinandersetzung mit dem stilistischen Kontext der gewählten Werke werden schon nach wenigen Akkorden deutlich. Gleichzeitig lässt sich Ernst von dem Miniaturalen, dem Sensiblen, dem Raffinierten an dieser Musik bezaubern und gibt seine Entdeckungen mit beeindruckender Virtuosität an den Hörer weiter.

Werke der beiden Komponisten und anderer verfolgter, unliebsamer Musiker, die am Unrecht der beiden Weltkriege leiden mussten, standen bereits in den vergangenen Jahren im Mittelpunkt der erwähnten Konzertreihen „Verfemte Musik“. Sie bilden gleichzeitig den Fokus der Plattenserie „Theresienstädter Komponisten“, die 1993 von eda records ins Leben gerufen wurde. Damals veröffentlichte das Klassiklabel die Weltersteinspielung der Klaviersonaten Nr. 1 bis 4 von Viktor Ullmann mit der Musikerin Edith Kraus. Die Pianistin, selber eine Überlebende des Konzentrationslagers Theresienstadt, konnte die Sonaten Nr. 5 bis 7 nicht mehr aufnehmen.

Zwanzig Jahre später würdigt nun eda records in Zusammenarbeit mit Deutschlandradio den 70. Todestag von Ullmann und Hannenheim mit einer wertvollen Herausgabe ihres Schaffens in der Gattung Klaviersonate. Es lohnt sich, dieser Musik unvoreingenommen zu begegnen.

Christine Chiriac


Viktor Ullmann, Norbert von Hannenheim, Klaviersonaten, 2 CDs, eingespielt von Moritz Ernst, eda records, 2014, Bestell-Nr. EDA 38 unter www.eda-records.com, 24,50 Euro

Schlagwörter: CD, Klavier, Hannenheim, Musik

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