3. November 2014

Dem Sänger Helge von Bömches zum Gedenken

„Was ich erreicht habe, verdanke ich (...) meiner Frau Marina. Sie war es, die mir mit Rat zur Seite stand (...) und mein cholerisches Temperament in die richtigen Bahnen zu lenken wusste.“ Mit diesem Satz beginnt das Buch „Blick hinter die Kulissen oder Aus dem Tagebuch (m)eines Sängerlebens“, das der am 18. September 1933 in Kronstadt, Siebenbürgen, geborene Opernbassist Helge von Bömches im Jahr 2011 über sein Leben auf großen Bühnen Europas veröffentlichte. Das Buch endet mit den Sätzen: „Es war eine wunderschöne Zeit, und ich bin glücklich, die schönsten Opernjahre, die Zeit von den 50er bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts, erlebt zu haben. Ich kann wie Marquis von Posa in ‚Don Carlos‘ sagen: ‚Sire, ich bin zufrieden.‘“ Am 16. Oktober 2014 starb Helge von Bömches in Osnabrück in Niedersachsen.
Dem einer einst in Kronstadt angesehenen Familie entstammenden Helge von Bömches – jüngerer Vetter des Malers Friedrich von Bömches (1916-2010) – gab die Mutter den Beruf eines Sängers gleichsam von Geburt an mit: Die junge Frau war von der Stimme des dänischen Tenors Helge Rosvaenge (1897-1972) so beeindruckt, dass sie ihren Sohn auf den Vornamen des Dänen taufen ließ. Und tatsächlich stand bereits für den Knaben ein Leben als Sänger fest. Da im Elternhaus Musik gemacht wurde, ein vom unvergessenen Kantor der Schwarzen Kirche und Musikpädagogen Victor Bickerich (1895-1974) geleiteter ausgezeichneter Schulknaben-Chor und die großen Kirchenmusikaufführungen unter Bickerich zum Leben der deutschen Gemeinde Kronstadts gehörten, war der Weg trotz bedrückender politischer Verhältnisse im kommunistischen Land geebnet. Bickerich und seine Frau Medi Fabritius wurden zu frühen Lehrern in Stimmbildung und Solfeggio, zur ersten Rolle des jungen Bassisten wurde die Partie des Pilatus in Heinrich Schütz’ 1665 entstandener Matthäuspassion. Der Erfolg veranlasste auch den zögernden Vater, die Berufswahl des Sohnes gutzuheißen. Über den Tod des Vaters Anfang der 50er Jahre als Zwangsarbeiter beim Bau des Donau-Schwarzmeer-Kanals notierte der Sohn über ein halbes Jahrhundert später: „Die Musik war das Licht, das mich damals nicht verzweifeln ließ.“

Helge von Bömches – eigentlich Helge Bömches von Boor –, dem seiner „sozialen Herkunft“ wegen der Besuch einer Musikhochschule versperrt war, ging den eingeschlagenen Weg mit Konsequenz, ununterbrochener Arbeit – und Glück. Zunächst als Bariton am guten Kronstädter Musiktheater engagiert, interpretierte er die Gestalt des „Fidelio“ in Beethovens gleichnamiger Oper als erster Sänger Rumäniens im deutschen Originaltext. Nach dem Erfolg galt für ihn erst recht die Devise „Ausbildung durch Ausübung“. 1960 lernte er seine spätere Frau, Marina geb. Panek, kennen, eine Sopranistin, die ursprünglich Ingenieurin der Thermodynamik war; der Ehe entstammen die Kinder Dag und Scarlett.
Helge von Bömches 1987 als Don Giovanni in Dublin ...
Helge von Bömches 1987 als Don Giovanni in Dublin
Als Helge von Bömches 1968 zum ersten Mal im Ausland singen durfte, war ein Tor durch den Eisernen Vorhang geöffnet. In den folgenden Jahren bis 1995/96 trat er auf Opernbühnen wie Salzburg, Wien, Dublin, Bologna, Berlin, Genf, Ravenna u.a.O. auf und war als Liedsänger ebenso in Dutzenden von Städten zu sehen und zu hören. Von Monteverdi über Donizetti bis Puccini, von Bach über Mozart bis Wagner, aber auch von Schubert über Schumann bis Hugo Wolf sang er mit wachsender Anerkennung bei Presse und Publikum. Ob er in den Basspartien des Don Basilio in Rossinis „Barbier von Sevilla“, des Sarastro in Mozarts „Zauberflöte“, des Großinquisitors in Verdis „Don Carlos“, des Ptolemäus in Händels „Julius Cäsar“ oder des Irrenhauswärters in Strawinskis „The Rake’s Progress“ auftrat: Nicht allein Presse und Publikum zollten ihm Anerkennung, sondern Dirigenten wie Herbert von Karajan, Lorin Maazel, Napoleone Anovazzi, Ricardo Muti, Karl Richter. Unter den Kollegen, mit denen er gemeinsam auf der Bühne stand, finden sich Weltberühmtheiten: Nicolai Ghiaurov, Hildegard Behrens, Gwyneth Jones, Christa Ludwig, Kurt Moll, Martti Talvela und eine Reihe weiterer. In summa sang er in fast 200 Musikwerken Titelrollen auf rund 150 Bühnen. Im Jahr 1973 nutzte er ein Auslandengagement und setzte sich – im Einverständnis mit seiner Frau – im Westen ab; nach entnervendem Kampf mit den kommunistischen Behörden glückte auch Frau Marina mit den Kindern der Weg in den Westen.

In seinen Erinnerungen „Blick hinter die Kulissen“ – auf deren Umschlag die ersten Takte der Schubert-Vertonung des Gedichtes von Franz von Schober „Du holde Kunst“ abgebildet sind – kommt dieser außerordentliche Künstler auch auf die Licht- und Schattenseiten des Bühnendaseins zu sprechen. Er nimmt sich dabei kein Blatt vor den Mund, sei es, indem er schreibt: „Die Freude, mit italienischen Kollegen italienische Oper zu singen, bleibt eins der schönsten Erlebnisse“, oder indem er über eine moderne „Traviata“-Inszenierung wütend notiert: „Solche Regisseure gehören totgeschlagen, sollen sie sich doch Opern für ihre krankhaften Visionen schreiben lassen.“ Die Sätze, die seine ganze Hingabe an die Musik enthalten, lauten: „Was interessierte mich Geld. Ich wollte singen!“, und: „Mein Leben war (...) der Gesang, und er hat mich getragen.“ Beginnend mit dem Jahr 1977 sang Helge von Bömches – neben zahlreichen Auftritten bei Festspielen – bis 1990/91 an den Städtischen Bühnen Osnabrück. Danach bis 1996 nahm er an Tourneen teil und gab Liederabende wie den in Greifswald, Karlsburg, Hannover und Osnabrück, den er zum Jubel des Publikums mit Löwes hinreißender Ballade „Prinz Eugen, der edle Ritter“ krönte.

Seine 45 Jahre (!) währende Sängerlaufbahn ist einer der Ausnahmefälle, zu dem nicht nur Begabung und Enthusiasmus gehörten, sondern fast mehr noch der kluge Umgang mit der Stimme – gewährleistet nicht zuletzt durch Frau Marina. Der „lange Lulatsch“, wie er sich selber nannte, der über 1,90-Meter-Mann Helge von Bömches war einer jener zu echter Freundschaft fähigen Menschen, wie sie einem nicht oft begegnen. Zivilcourage und Stehvermögen, Zuverlässigkeit und Herzenswärme erfuhr von ihm, wer ihm nahe stand. Von den Bühnen in Kronstadt, Jassy und Bukarest ausgehend, legte er einen Berufsweg zurück, wie er nur wenigen glückt. Requiescat in pace, mein Freund!

Hans Bergel

Schlagwörter: Sänger, Oper, Nachruf, Bömches

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