9. Oktober 2015

Neuer Direktor des IKGS in München: Florian Kührer-Wielach im Gespräch

Der Historiker und Romanist Dr. Florian Kührer-Wielach leitet seit dem 1. Oktober das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der bisherige kommissarische Direktor, Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch, tritt in den Ruhestand. Stellvertreterin des Direktors wird die Germanistin und Kulturwissenschaftlerin Dr. Enikő Dácz. Kührer-Wielach, 1982 in Österreich geboren, beschäftigt sich mit rumänischer und rumäniendeutscher Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Regionalität und Regionalismus, Transformationsgeschichte Ostmittel- und Südosteuropas, Diskursforschung u. a. Seit 2013 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter des IKGS und fungiert seit 2014 als stellvertretender Direktor. Zuvor war er Assistent am Initiativkolleg für Europäische Historische Diktatur- und Transformationsforschung an der Universität Wien und Stipendiat am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz. Das folgende Interview mit dem neuen IKGS-Direktor führte Siegbert Bruss.
Sie haben als gebürtiger Österreicher zum Thema „Siebenbürgen ohne Siebenbürger?“ promoviert und sind nun seit dem 1. Oktober 2015, wie in der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien zu lesen war, mit 33 Jahren nicht nur der jüngste, sondern auch der erste Direktor des IKGS, der nicht in Rumänien geboren wurde. Wie ist Ihr Interesse für dieses Land entstanden und gewachsen?

Über unsere Pfarrjugend – wir haben einen Pfarrer aus der Moldau – konnte ich schon in jungen Jahren, Mitte der 1990er-Jahre, Land und Leute – insbesondere Gleichaltrige – zu beiden Seiten der Karpaten kennenlernen. Ich verbinde mit Rumänien, im Gegensatz zur Mehrheit der „Westler“, von Anfang an vor allem Positives. Familiäre Bezüge gibt es auch: eine Urgroßtante war nach dem Ersten Weltkrieg ein paar Jahre in Siebenbürgen verheiratet und mein Urgroßvater starb im Zweiten Weltkrieg in Focșani. Ich war der erste meiner Familie an dem Soldatenfriedhof, auf dem er vermutlich begraben wurde. Während meines Geschichte-Studiums habe ich dann all dieses Vorwissen „professionalisiert“ – Höhepunkt war gewiss mein Studienjahr in Klausenburg 2004/2005. Seit dieser Zeit bin ich dem Land endgültig verfallen. Mein Engagement bei Studium Transsylvanicum hat dann den Rest erledigt. So bin ich seit zwei Jahrzehnten regelmäßig – oft mehrmals im Jahr – in Rumänien.

Vor Ihnen hat der Historiker Dr. Konrad Gündisch kommissarisch das IKGS geleitet. Wie fällt eine kurze Bilanz seines zweijährigen Direktorats (2013-2015) aus?

Es war eine tolle Zeit, ich bin dankbar, dass ich mit ihm so eng zusammenarbeiten durfte. Das IKGS hat von einem Erneuerungsprozess profitiert, der von ihm initiiert und getragen wurde: Wir haben unter seiner Führung das wissenschaftliche und publizistische Profil geschärft, uns personell verjüngt und uns verstärkt methodischen Fragen gewidmet, um auf dem wissenschaftlichen „Markt“ bestehen zu können. Und vor allem: Er ließ uns viel Raum, uns zu entfalten. Koni hinterlässt ein sehr gut organisiertes und renommiertes Haus.

Beim Workshop des AKSL in Landau referierte Dr. ...
Beim Workshop des AKSL in Landau referierte Dr. Florian Kührer-Wielach souverän und nachgerade unterhaltsam über Siebenbürgen als Teil von Großrumänien nach 1918. Foto: Konrad Klein
Sie sind Nachfolger nicht nur von Konrad Gündisch, sondern auch von zwei weiteren Siebenbürger Sachsen, der Historikerin Dr. Krista Zach (1990-2005) und des Literaturhistorikers Dr. Stefan Sienerth (2005-2013). Inwiefern setzen Sie auf Kontinuität, und welche neuen Akzente werden Sie beim Institut setzen?

Ich denke, es hat auch Vorteile, kein „Insider“ zu sein – viele Dinge sieht man mit einer gewissen Distanz etwas klarer. Wenn ich von Siebenbürgen spreche, bin ich jedoch keineswegs „neutral“ – ich fühle mich mit der Region weit über wissenschaftliche Belange hinaus sehr verbunden. Zweifellos wird in der Arbeit des IKGS weiterhin ein Schwerpunkt auf dem Land im Karpatenbogen liegen. Aber auch Siebenbürgen und die Siebenbürger profitieren davon, in größere regionale und kulturelle Zusammenhänge eingebettet zu werden, denn deutsche Kultur und Geschichte Ostmittel- und Südosteuropas hat keineswegs nur negative Seiten. Sie bietet auch viele Beispiele geglückter Koexistenz. Diese Themen, die sich um Fragen zu Alltagsgeschichte und Zusammenleben drehen, werden in den Mittelpunkt rücken. Aber auch das Thema Migration, das aktueller wie kaum zuvor ist, wird uns beschäftigen.

Als stellvertretender Direktor des IKGS haben Sie im April 2015 die internationale Tagung „Aus den Giftschränken des Kommunismus“ in Berlin initiiert. Wie wollen Sie nun als Direktor die Aufarbeitung der Securitate-Vergangenheit angehen, ein Thema, das in den letzten Jahren durch juristische Verfahren stark ausgebremst wurde?

Es geht um die wissenschaftliche Begleitung ­eines erst allmählich anlaufenden Aufarbeitungsprozesses. Wir müssen als wissenschaftliche ­Einrichtung sehr genau darauf achten, verantwortungsvoll mit diesem zweifelhaften Erbe umzugehen und den Benutzern dieser Bestände klarmachen, dass in diesen Akten nicht zwangsläufig die „Wahrheit“ steht. Mit Erstaunen beobachte ich, wie schnell mittels einiger, kaum vollständiger Informationen der Stab über Menschen gebrochen wird. Als Service bieten wir an, dass jeder, der bei der CNSAS in Bukarest approbiert ist, auch unsere zahlreichen Kopien der Securitate-Akten benützen kann. Ich habe aber nicht vor, das IKGS als Schlichtungsstelle für innersächsische Konflikte zu positionieren. Wer persönliche Fehden mittels Securitate-Akten austragen will, muss das ohne mein Institut tun.

Das IKGS stellt seine Arbeit unter das Motto „Bewahren – Erforschen – Vermitteln“. Welche Instrumente werden Sie nutzen, um junge Leute für die Südosteuropa-Forschung zu gewinnen?

Die Nachwuchsarbeit liegt uns sehr am Herzen. Wichtig ist dabei, zu zeigen, dass es sich bei der Südosteuropa-Forschung um ein extrem spannendes und vielfältiges Fach handelt. Dies funktioniert am besten, indem man die Jungforscher aus Ost und West zusammenbringt. Und am besten an Ort und Stelle, in Siebenbürgen, dem Banat, der Bukowina … Eine unserer wichtigsten Maßnahmen ist in diesem Zusammenhang die Unterstützung der Siebenbürgischen Akademiewoche; wir sind aber auch Mitveranstalter mehrerer Nachwuchskolloquien und vergeben selbst Stipendien für Prae- und Postdocs. Ich denke, dass unser relativ niedriger Altersschnitt am IKGS auch dazu beitragen kann, schnell ins Gespräch mit interessierten Studierenden zu kommen.

Die Spiegelungen wurden 2014 vom Inhalt und Layout her erneuert, es wurden Schwerpunktthemen eingeführt. Die Zeitschrift des IKGS erscheint seither nicht mehr viertel-, sondern nur noch halbjährlich. Wie geht es weiter mit den Spiegelungen und den Buchreihen des IKGS, die seit 2015 alle im Pustet Verlag, Regensburg, erscheinen?

Die Spiegelungen haben, obwohl sie „nur mehr“ zweimal im Jahr erscheinen, einen größeren jährlichen Seitenumfang als zuvor – Tendenz steigend. Wir haben versucht, auf die Vielfalt, die bereits seit Jahrzehnten geboten wird, aufzubauen und eine noch klarere Struktur mit den Ressorts Wissenschaft und Literatur zu schaffen. Das Leserecho hat uns ermutigt, diesen Weg noch konsequenter weiterzugehen: Ab der nächsten Ausgabe kommt darum ein ausführlicher Kulturteil hinzu, in dem die Vielfalt der deutschen Kultur und Geschichte Südosteuropas in Essays, Interviews und Berichten dargestellt wird. Im Idealfall korrespondieren die drei Ressorts Wissenschaft, Literatur und Kultur miteinander – und schaffen einen Dialog quer durch Regionen und Textgattungen. In der wissenschaftlichen Buchreihe werden jährlich rund vier Bücher zu historischen, literatur- und kulturwissenschaftlichen Themen erscheinen. Auch hier setzen wir auf große regionale und thematische Vielfalt. Es ist ein sehr positives Zeichen, dass wir mehr Manuskriptangebote haben, als wir tatsächlich herausgeben können.

Das IKGS hat in den letzten Jahren immer wieder gemeinsame Lesungen, Vorträge etc. mit dem Verband der Siebenbürger Sachsen in München veranstaltet. Haben Sie konkrete Ideen, wie diese Zusammenarbeit fortgesetzt werden kann? Ist es für Sie vorstellbar, dass sich Ihr Institut auch beim Heimattag in Dinkelsbühl präsentiert?

Die Zusammenarbeit mit dem Verband der Siebenbürger Sachsen und anderen Verbänden, Vereinen und NGOs, die der Arbeit des IKGS nahestehen, ist uns ein besonderes Anliegen – gerne auch auf dem Heimattag. Wir können nicht in einem Vakuum vor uns hinforschen, sondern müssen einen Dialog führen. Unsere Arbeit wird damit nicht nur „geerdet“, sondern macht einfach auch mehr Spaß. Es geht nicht nur um die wissenschaftliche Aufarbeitung wichtiger Themenfelder wie Migration und Integration, sondern auch um die Sicherung eines bedeutenden Kulturerbes. Ausbauen möchte ich auch die Vermittlungsarbeit: Vielleicht könnte man verstärkt Formate anbieten, die interessierten Laien vertiefende Informationen über Kultur und Geschichte der Sachsen, aber auch über den gesamten Donau-Karpaten-Raum vermitteln. Ich denke da als Zielpublikum insbesondere an die bei den Siebenbürger Sachsen sehr aktive Jugend: die Identitätsfrage scheint mir gerade bei der „Next Generation“ eine sehr wichtige zu sein.

Herzlichen Dank für das Interview und viel Erfolg in Ihrem neuen Amt!

Schlagwörter: IKGS, München, Institut, Wissenschaft, Historiker, Interview

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Neueste Kommentare

  • 09.10.2015, 13:48 Uhr von bankban: "...muss das ohne mein Institut tun" Hm... das ging aber schnell, diese Aneignung... ;-) [weiter]

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