10. Dezember 2025
„Es wird hoffentlich Neues wachsen“: Interview mit Gustav Binder
Vom 28.-30. November fand in der Bildungs- und Begegnungsstätte Heiligenhof in Bad Kissingen ein Seminar zur Banater Literatur: „Es führt (k)ein Weg zurück“, konzipiert von Astrid Ziegler, statt und gleich im Anschluss, vom 30. November bis 5. Dezember, das Mundartseminar, das Prof. András Balogh vorgeschlagen hatte: „Deutsches Kulturerbe: Mundarten, Hochsprachen, Nachbarsprachen im östlichen Europa“. Das Management vor Ort verantwortete Gustav Binder, der Studienleiter vom Heiligenhof, der von der Abholung am Bahnhof bis zur Moderation, der Stadtführung, den Exkursionen und dem abendlichen Beisammensein im Weinkeller alles im Griff hatte. Beide Seminare waren mit Anton Sterbling, Ilse Hehn, Walter Engel, Horst Samson, Hellmut Seiler, Doris Hutter, Robert Becker etc. namhaft besetzt und zum Teil auch gut besucht, durch eine Schar Studentinnen und Studenten aus Klausenburg und Budapest, aber auch durch interessierte Zuhörerschaft der mittelalten Generation. Gustav Binder ist vor Kurzem 65 geworden – Zeit für eine Bilanz. Das Interview führte Edith Ottschofski, die bei beiden Seminaren Referentin war.

Es waren sogar zwei Orchester da, aber das waren Gäste, die unser Haus als Hotel- und Übernachtungsbetrieb und Versorgungsbetrieb gebucht haben. Das eigentliche Seminar war das Banater-Literaturseminar. Der Heiligenhof generiert Einnahmen durch Unterbringung und Verpflegung. Wir sind eine Stiftung, das Sudetendeutsche Sozial- und Bildungswerk, und haben als Bildungsauftrag, die Geschichte und Kultur früherer deutscher Reichs- und Siedlungsgebiete im Bewusstsein der Deutschen und Europas zu bewahren und fortzuentwickeln. So können wir uns inhaltlich mit Geschichte und Kultur von Böhmen, Mähren, Schlesien, vom baltischen Raum, vom südosteuropäischen Raum, Banat, Siebenbürgen, Bukowina, Bessarabien, Dobrudscha, bis zu Schwarzmeerdeutschen und so weiter beschäftigen.
Was sind deine Ziele, wenn du so ein Seminar organisierst?
Ja, also ich muss immer drei Dinge berücksichtigen: Ich muss Geld beschaffen, zweitens ein Programm entwickeln, drittens auch für dieses Programm ein Publikum finden. Aber ich organisiere es hier auf der Ebene vor Ort, manchmal ist das Konzept von jemand anders entwickelt worden, zum Beispiel von Astrid Ziegler für das Banater Literaturseminar an diesem Wochenende oder in gemeinsamer Arbeit mit András Balogh für das Mundartseminar, das gerade läuft.
Wie funktioniert das?
Also es ist so, dass ich etwa 20 Veranstaltungen im Jahr mache, zur Politik, zur Geschichte, zur Literatur und man kann zwar breit aufgestellt sein und ein breites Wissen haben, aber dennoch auf Kontakte und Hinweise angewiesen sein. Bei der Banater Literaturtagung waren beispielsweise einige neue Referenten da und auch Schriftsteller, die ich nicht so kannte. Das waren richtige neue Entdeckungen, wie zum Beispiel Ana Maria Dascălu-Romiţan, Bogdan Dascălu oder Yvonne Hergane. Ich bin sozusagen wie ein Coach, der auf Talentsuche ist, und brauche Mithilfe und Zulieferung. Ich habe hier in meiner Bildungsarbeit über 20 Jahre etwa 400 Veranstaltungen gemacht. Sehr viel Spaß und Freude hatte ich bei den Städteporträts. Da habe ich alle Siebenbürger Städte thematisch behandelt. Seit 20 Jahren habe ich außerdem Nachwuchs-Germanisten-Tagungen hier, auch aus dem ganzen ostmitteleuropäischen Raum, wo wir uns mit Autoren vor Ort beschäftigen. Das können auch Autoren von Weltliteratur sein, Franz Kafka, Paul Celan. Da habe ich vieles selbst entwickelt und das sind Selbstläufer geworden, dass eben beteiligte Dozenten, Professoren immer wieder kommen.
Das Banater Literaturseminar war hochkarätig besetzt, trotzdem war ziemlich wenig Publikum da, die Referenten und das Publikum hielten sich ein bisschen die Waage. Haben solche Themen eine Zukunft?
Das ist in der Tat so, was negativ bei diesem Seminar war, was wir auch mit den Mitorganisatoren reflektiert haben. Es kann einerseits damit zu tun haben, dass eine Jubiläumsveranstaltung der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Baden-Württemberg parallel an diesem Wochenende stattgefunden hat. Zum anderen ist es in der Tat nicht gelungen, bei dieser Veranstaltung ein größeres Publikum anzusprechen.

Generell eher nicht hier. Die Stadt Bad Kissingen und die lokalen Bewohner, die bekommen leider nichts von diesem Kulturprogramm mit, weil eben unser Blickfeld nach Ost- und Ostmitteleuropa gerichtet ist. Also ich werde in Rumänien viel eher wahrgenommen. Das rumänische Fernsehen war mehrfach hier. Die rumäniendeutschen Publikationen waren hier. Auch in polnischen, universitären Zeitschriften wird über Tagungen berichtet. Aber hier im lokalen Bereich fruchtet dieser Teil der Bildungsarbeit leider nicht.
Wir sind in ganz Deutschland aber relativ zentral und es kommen Leute wirklich Hunderte von Kilometern, um an unseren Veranstaltungen teilzunehmen und auch aus Mitteleuropa. Zum Beispiel letzte Woche waren zehn junge Studentinnen aus der Ukraine, aus Kiew da, aus Aussig in Tschechien und aus Breslau in Polen.
Ihr seid bekannt bei Insidern.
Bei Insidern natürlich, aber das gehört ja zu unserem Auftrag, das deutsche kulturelle Erbe im östlichen Europa zu verbreiten.
Habt ihr auch einen konservatorischen Impetus – das Mundartseminar, das ist ja ein gewagtes Thema. Mundart wird ja nur noch von wenigen gesprochen.
Also da geht die Anregung wieder auf Prof. András Balogh zurück. Er ist Literaturprofessor in Klausenburg und Budapest, und da wollen wir die jungen Leute hinlenken, dass sie sich auch mit autochthonen Themen beschäftigen, in Archive gehen, Zeitungen, Literaturzeitschriften erforschen, Biografien von Autoren, die in dieser Region gewirkt haben. Es war ein großartiger Vorschlag von ihm, dass wir uns mit den Mundarten beschäftigen. Die Germanistik in Ungarn und Rumänien ist gegenwärtig eine Auslandsgermanistik. Vor der Wende war sie in Rumänien noch eine Muttersprachengermanistik. Weil es heute kaum noch Leute gibt, die die deutsche Sprache als Muttersprache oder im Alltag verwenden. Denn es gibt nur noch einen Spieler, das Englische, in der gesamten Welt. Es wird zunehmend schwieriger, dass man deutsche Quellen lesen kann, weil Sprachkenntnisse fehlen, besonders gute Sprachkenntnisse. Die Ausgewanderten, Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben sind natürlich am Erhalt ihres kulturellen Erbes interessiert und bedauern, dass Sprache, Dialekte, Sprachfärbungen und ganz viel Wissen verloren gehen. Wir haben das heute in einem Vortrag gehört, welcher Reichtum an Wörtern verloren geht und wie vielfältig Ausdrucksmöglichkeiten in der Mundart sind.
Die Rente steht bald an, welches sind deine Pläne danach? Oder denkst du noch gar nicht daran?
Bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter sind es noch knapp anderthalb Jahre. So ich gesund bleibe und der liebe Gott mir noch Tage schenkt, werde ich wahrscheinlich noch ein bisschen länger machen. Nach 20 Jahren, da sind manche Themen auch veraltet. Auch manche liebgewonnene Gäste sind nicht mehr mobil oder weggestorben. Es ist eine Zeitenwende da. Und mein Nachfolger muss dann einiges weiterführen und auch Neues wieder schaffen. Ich weiß es nicht, wer das sein wird. Vielleicht muss man das sagen wie beim Dalai Lama, dass es eben weitergehen wird, diese Übertragung. Die Welt ist nicht zu Ende, wenn wir nicht mehr sind. Das ist eine große Hoffnung.
Das Schöne ist, dass ich auch über das Rumäniendeutsche hinaus viele nette Menschen kennengelernt habe. Da blicke ich voller Dankbarkeit zurück. Und ich blicke auch hoffnungsvoll voraus, dass jemand diese Arbeit weiterführt. Es wird hoffentlich Neues wachsen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Schlagwörter: Interview, Gusti Binder, Heiligenhof
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