18. September 2016

Interview mit Regisseur Ioan C. Toma: "Die Welt als Wahn und Vorstellung"

An Münchens wahrscheinlich schönstem und anregendstem Aufführungsort, dem Hof der Glyptothek am Königsplatz, findet seit dem 18. Juli d.J. und noch bis 17. September fast täglich die Inszenierung von Shakespeares „Der Sturm“ statt. Der Schriftsteller Hellmut Seiler sprach darüber mit dem siebenbürgischen Regisseur Ioan C. Toma, der 1953 in Kronstadt geboren wurde.
1759 schrieb G. E. Lessing in seinem 17. Literaturbrief, das „französierende Theater“ in der Nachfolge eines Corneille oder Voltaire entspräche nicht „der deutschen Denkungsart“; er empfahl statt dessen Shakespeare als Vorbild, denn „das Große, das Schreckliche, das Melancholische“ wirke weit mehr auf uns als „das Artige, das Zärtliche, das Verliebte“ und „seit dem ‚Ödipus‘ von Sophokles solle kein Stück mehr Gewalt über unsere Leidenschaften haben als die Shakespeareschen“; denn:„ein Genie kann nur von einem Genie entzündet werden“. Würdest du dem beipflichten?
Voll und ganz! Auch wenn sich Friedrich II. 1780 über den Geschmack der Deutschen beklagt, die Gefallen an den „abscheulichen Stücken von Shakespeare finden, diese lächerlichen Farcen, die nur würdig wären, vor den Wilden von Kanada gespielt zu werden“. Wie sehr sich der Soldatenkönig und Freund französischer Ordnung getäuscht hat, zeigt die nunmehr 400 Jahre anhaltende Begeisterung für Shakes­peares Genie. Ohne die Absicht, die Menschen bessern zu wollen, sind seine Stücke von bedeutend größerer philosophischer Tiefe und poetischer Kraft als die der Moralisten; ein Reigen unvollkommener – und daher umso menschlicher! – leidenschaftlicher Geschöpfe, fern jeder Idealisierung. Selbst das dümmste Wesen aus Shakespeares Universum hat so viel Leben und Witz, dass man den Schöpfer feiern muss.


Wie bist du ausgerechnet auf den „Sturm“ gekommen? Es ist ja nun nicht gerade sein einfachstes Stück…
Gunnar Petersen, der mit seiner Frau Beles Adam seit 26 Jahren die Theaterspiele in der Glyptothek leitet, hat nach unserem „Ödipus“ von Sophokles im vergangenen Jahr, ganz im Sinne Lessings, auf Shakespeare gesetzt und sich den „Sturm“, mit seinen großen Themen wie Mitleid und Vergebung, gewünscht. Da mich das Stück schon lange fasziniert, war ich sofort bereit, dieses „nicht gerade einfache“ Projekt in Angriff zu nehmen und habe mich mit Bonnie Tillemann dran gemacht, den Text auf sechs Darsteller und 100 Minuten zu konzentrieren. Selbst Friedrich II. hätte seine Freude gehabt, weil der sonst so wilde und ungezügelte Shakespeare die aristotelischen Regeln der Einheit von Ort, Zeit und Handlung ausnahmsweise befolgt: der Ort ist eine Insel im Mittelmeer, die Zeit ein halber Tag, die Handlung beginnt nach dem eigentlichen Verbrechen. Prospero, der Herzog von Mailand und seine dreijährige Tochter Miranda, wurden von seinem Bruder und dem König von Neapel auf einer menschenleeren Insel ausgesetzt. Mit magischen Kräften hat sich Prospero das rebellisch triebhafte Sumpfgeschöpf Caliban und den freundlichen Luftgeist Ariel zu Dienern gemacht und beherrscht die Insel.
Regisseur Ioan C. Toma (rechts) im Gespräch mit ...
Regisseur Ioan C. Toma (rechts) im Gespräch mit dem Schriftsteller Hellmut Seiler. Foto: Bonnie Tillemann
Zwölf Jahre nach dem Verbrechen beginnt das Stück: Das Schicksal lenkt ein Schiff mit Prosperos Feinden an Bord in seinen neuen Machtbereich. Durch einen magischen Sturm, den Prospero mit Ariels Hilfe „so gefahrlos inszeniert, dass keiner Kreatur auch nur ein Haar gekrümmt wird “, versammelt er alle auf der Insel und hat sie in der Hand. Nach dieser ersten heftigen Szene irren die Gestrandeten den Rest des Stückes wie im Wahn über die Insel, halten sich gegenseitig für Geister und eröffnen uns spannende Einblicke in ihr Innenleben. Die ganze Palette des Menschlichen: Friedensutopien, Mordanschläge, frisch entflammte junge Liebe, beleben die Bühne. Auf dem Höhepunkt seiner Macht – man hat nie das Gefühl, die Situation könnte ihm ernsthaft entgleiten, kann Prospero alle vernichten; doch er vergibt: „Obwohl ihr Frevel tief ins Herz mir drang, nehm ich jetzt gegen meine Wut Partei ...“ Er zerbricht seinen Zauberstab, überlässt sich und alle anderen dem Schicksal. – Es ist „ein lächelnder Abschied über einem Abgrund von Melancholie“.


Bei all den menschlichen Abgründen, die sich darin auftun, und den dargestellten Schrecknissen wird dies sein letztes Stück als Komödie bezeichnet, auch die Formulierung „Komödie der Tragödie“ habe ich gefunden. Wie siehst du das?
In diesem „Sturm“ gibt es keine Toten, und Ferdinand, der Sohn des Königs von Neapel, darf Miranda heiraten. Wie unschuldige Liebe, Mordlust, Hass, Verzweiflung und Reue aufeinander treffen, ist durchaus komisch. Die Art, wie der Magier Prospero mit seinen Feinden umspringt, lässt Shakespeares Humor freien Lauf. Deshalb wurde „Der Sturm“ als erste der Komödien an den Anfang der First-Folio-Ausgabe gestellt. Das Tragische an dieser Komödie ist der Ausblick auf die nahe Zukunft, die trotz Mitleid, Vergebung und Reue durchaus wieder in allzu menschliche Intrigen wie Hass und Mordlust münden könnte.


Kommen wir zu den Publikumsreaktionen: Glaubst du, es gibt eine Ähnlichkeit zwischen den damaligen im „Globe Theatre“ und den heutigen – in London oder eben in der Glyptothek?
Damals wie heute suchen Shakespeares Stücke, im Globe wie bei uns im Innenhof der Glyptothek, den direkten Dialog mit dem Publikum, ohne komplizierte technische Effekte und mediale Orgien. Es geht um die Reduzierung auf die Grundelemente: eine Bühne, ein paar Schauspieler, ein Stück. Im Globe wurde, vermutlich damals noch mehr als heute, unter freiem Himmel getrunken, gegessen und beim Auftritt der Bösewichte gebuht! Bei uns bleiben sie verschont, aber immerhin wird getrunken, gegessen, gelacht und auch geklatscht.


Und das nicht zu knapp! Jetzt weiter: Du siehst Ariel als Schlüsselfigur. Entspricht das deiner Ansicht nach der originären Gewichtung der Figuren im Stück?
Unbedingt! Eine „unsichtbare“ Figur ist der Schlüssel zum Geheimnis in diesem Sturm. Beim Luftgeist Ariel lässt aber Shakespeare seiner Phantasie freien Lauf.


Eure Inszenierung beschränkt sich auf ein Minimum an Requisiten. Ist das Programm?
Ich bin kein Freund von Requisitenorgien. Hier die gesamte Requisitenliste: Zauberstab aus Holz (wird bei jeder Vorstellung zerbrochen), eine Flasche aus Holzrinde, zwei Stücke Brennholz.


… und durch diesen sparsamen Einsatz erhalten die Kostüme (von Bonnie Tillemann) und die bühnenbildnerischen Elemente (Peter Schultze) gleichzeitig einen höheren Stellenwert.
Du sagst es: Ein blauer Wolkenhimmel ist auf Prosperos und Ariels Kostüm gemalt, er korrespondiert mit dem Abendhimmel, der sich, wie auch die Gestalten, in den Fenstern der Glyptothek spiegelt: „Der Stoff aus dem die Träume sind.“ Auch die Harpyie und das vorgegaukelte Festmahl sind Malerei und wehen für kurze Augenblicke als Fahnen im Wind. Insgesamt muss gezaubert werden.


… was ja auch Auswirkungen auf die äußerst dynamischen Umzüge hat … Ich nehme an, diese nahtlosen Übergänge waren für alle eine besondere Herausforderung. Und die zahlreichen Doppelbesetzungen, die die Schauspieler brillant meistern, erstrecht!
Die Doppelbesetzungen erfordern eine klare Typisierung der Personen. Ariel (Sven Schöcker) muss sekundenschnell als veritabler Hofnarr auftreten, Ferdinand (Tobias Ulrich) als Antonio, das Inselwesen Caliban (Beles Adam) als eleganter Hofrat und König Alonso (Christoph Pabst/Catalina Navaro Kirner) als sein eigener Butler. Diese schnellen Verwandlungen beleben das Stück, sie steigern die Dynamik und Magie.


Aus all diesem ergibt sich in deiner Inszenierung eine maximale Konzentration auf den Text. Ist das auch deine erklärte Absicht?
Es gab eine Skandalvorstellung bei den Salzburger Festspielen, wo „Macbeth“ mit wenig Text seinen Blutrausch zelebriert. Das kann durchaus spannend sein, aber um wortlos im Blut zu baden, braucht man keinen Shakes­peare. Seine Stärke liegt in faszinierenden Sprachbildern und dem Blick in die menschliche Seele; daher haben wir versucht, uns auf das Wesentliche zu fokussieren und dem Text zu vertrauen.


Einmal „verirrt sich“ ein Rilke-Zitat in eure Fassung. Wie kam es dazu, wie ist sie überhaupt zustande gekommen?
Heb doch „den Vorhang der Pupille langsam auf und lass ein Bild hinein.....“ Der alleinerziehende Vater und Zauberer Prospero kann seine Tochter beliebig in Schlaf versetzen und wieder wecken, es erschien mir stimmig, dass er mit Rilkes Vers Miranda die Augen öffnet, um so zum ersten Mal ihren Prinzen zu betrachten.

Zu guter Letzt: Geht es weiter mit Shakespeare?
Das große Fest der Liebe feiert Shakespeare in seinen italienischen Stücken. Daraus habe ich mit Gerd Lohmeyer und Bonnie Tillemann ein Spektakel entwickelt. Am 4. November 2016 wird im theater // an der rott in Eggenfelden „Shakespeares Italien //ein Liebesrausch“ unter meiner Regie uraufgeführt.


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Schlagwörter: Kultur, Toma, Theater, Shakespeare, München

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