1. November 2016

Streiflichter aus der Geschichte der Siebenbürger Sachsen

Achte Folge: Der Erste Weltkrieg und die Folgen / 100 Jahre seit dem Kriegseintritt Rumäniens – Angesichts der wiederholten Enttäuschungen durch die Habsburger und noch mehr durch die Budapester Regierung ist es einigermaßen überraschend, mit welcher Selbstverständlichkeit die Siebenbürger Sachsen für die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie in den Krieg gezogen sind, in den das Kaiserreich nach der Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand, nicht zuletzt wegen der unbewältigten Nationalitätenfrage, hineingeschlittert war. Vermutlich war das auf die Gesamtmonarchie bezogene Zusammengehörigkeitsgefühl der Völker Österreich-Ungarns doch stärker als der Nationalismus, der in den Quellen vielleicht deutlicher in Erscheinung tritt als die Identität und Mentalität der breiten Schichten der Bevölkerung.
Die Siebenbürger Sachsen fühlten sich durch den „Aufruf des greisen und tiefverehrten Herrschers und Vaters seiner Völker“ in die Pflicht genommen, zumal ihnen die Teutschsche Geschichtsschau den „Schutz der Krone“ als zentrale, mit der Ansiedlung verbundene historische Aufgabe ans Herz gelegt hatte. Diese Krone trug sozusagen seit Menschengedenken der Kaiser und König Franz Joseph I., der – aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar – nicht mit der unbefriedigenden Tagespolitik in Verbindung gebracht, sondern in nahezu allen Kreisen verehrt wurde. Beflügelt hatte das Engagement der Sachsen zweifellos auch die Allianz zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich, denn „nun kämpft unser Vaterland und kämpfen auch unsere sächsischen Söhne mit dem großen Deutschland Seite an Seite“.

Praktisch alle wehrfähigen Sachsen nahmen an den Kämpfen teil – zu Kriegsende waren es 37 533 Soldaten, davon fast die Hälfte Unteroffiziere oder Offiziere. Drei Sachsen wurden bis in den Rang eines Feldmarschalls befördert: Arthur Arz von Straussenburg, der letzte k.u.k. Generalstabschef, Ludwig von Fabini und Emil von Ziegler. 10.343, das heißt mehr als ein Drittel der sächsischen Soldaten wurde im Laufe des Krieges mit einer Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet, aber auch der Blutzoll war hoch: 4.850 Tote oder Vermisste, 4.779 Verwundete, unter ihnen 1.449 Kriegsinvaliden (Zahlen nach Friedrich Teutsch). Wirtschaftlich negativ wirkten sich aus: der Mangel an Arbeitskräften, Zugtieren und Rohstoffen, die Requisitionen, die Preisanstiege und die hohen Kriegsanleihen (etwa 500 Millionen Kronen zeichneten allein die Sachsen).
Generalfeldmarschall August v. Mackensen und ...
Generalfeldmarschall August v. Mackensen und General Erich von Falkenhayn auf einer Propagandapostkarte von 1916 (Sammlung Klein). Nach Zusendung einer Kirchenburg-Mappe bedankte sich der Feldmarschall beim Herausgeber der Mappe Emil Sigerus mit den Worten: „Von Jugend an hat mich eine Vorliebe für Siebenbürgen, dessen Sachsen und deren Kirchen- und Bauernburgen erfüllt. Nun hat der Weltkrieg Land und Leute und deren Burgen mich kennenlernen lassen und alle drei haben mich so beeindruckt, dass ich verstand, dass österreichische Offiziere Hermannstadt und Kronstadt zu den beliebtesten Standorten der habsburgischen Monarchie zählten.“ (Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt vom 22.1.1924). Bildtexte dieser Seite: Konrad Klein
1916 wurde Siebenbürgen für relativ kurze Zeit zum Kriegsschauplatz. Das eigentlich mit den Mittelmächten alliierte Königreich Rumänien verbündete sich – nach fast zweijähriger, abwartender Neutralität – mit der Entente, die ihm dafür im Falle eines Sieges territorialen Zugewinn versprach. In der Nacht vom 27. zum 28. August 1916 drangen rumänische Truppen über die Karpatenpässe. Die Behörden ordneten eine ungenügend vorbereitete und schlecht organisierte Räumung Süd- und Ostsiebenbürgens an: In langen Trecks flüchteten auch viele Sachsen nach Norden und in den Westen, zum Teil bis nach Zentralungarn. Mehrere Wochen allgemeiner Unsicherheit folgten, bis es den von Arz v. Straussenburg und v. Falkenhayn angeführten österreichisch-ungarischen und deutschen Heeresgruppen gelang, den Vormarsch des Gegners zu stoppen. Die Rumänen erlitten in den Schlachten bei Hermannstadt (26.-29. September) und Kronstadt (7.-9. Oktober) empfindliche Niederlagen. Der an der Spitze eines deutsch-bulgarischen Heeres über die Donau vorrückende General Mackensen besetzte die Walachei und am 6. Dezember 1916 Bukarest.

Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation und die allgemeine Erschöpfung bewirkten eine zunehmende Kriegsmüdigkeit. Der Kriegseintritt der Vereinigten Staaten, militärische Niederlagen der Alliierten und innere Unruhen (Streiks, Einfluss der russischen Revolution) erschwerten die Situation der Mittelmächte. Die zentrifugalen Kräfte der von der Nationalitätenpolitik enttäuschten Völker Österreich-Ungarns erhielten Auftrieb durch das von Präsident Woodrow Wilson verkündete Selbstbestimmungsrecht. Die Siebenbürger Rumänen bildeten einen eigenen Nationalrat; dieser forderte nicht nur politische Rechte, sondern setzte sich auch für die Angliederung Siebenbürgens an Rumänien ein. Ein am 29. Oktober 1918 zusammengetretener „Sächsischer Zentralausschuss“ stellte vorsorglich Forderungen nach Gleichberechtigung und Minderheitenschutz, nach Unterstützung des eigenen Kultur- und Wirtschaftslebens auf.

Am 1. Dezember 1918 trat in Karlsburg (Alba Iulia) eine Nationalversammlung der Siebenbürger Rumänen zusammen, die – noch vor den in Paris beginnenden Friedensverhandlungen – Fakten schaffen wollte: Sie beschloss in einer begeisterten Atmosphäre den Anschluss Siebenbürgens, des Banats, des Kreischgebietes, Sathmars und der Marmarosch an das Königreich Rumänien. Ein „Leitender Regierungsrat“ (Consiliul Dirigent) mit Sitz in Hermannstadt übernahm die provisorische Verwaltung des Landes. Den „mitwohnenden Völkern“ wurden weitgehende Minderheitenrechte, die „volle nationale Freiheit“ versprochen.

„Mitwohnende Nationalität“ in „Großrumänien“

Die Loyalität gegenüber dem habsburgischen Staat erübrigte sich nach dessen Zerfall am Ende des Ersten Weltkriegs, eine Loyalität gegenüber dem neuen großrumänischen Staat musste sich bei den Siebenbürger Sachsen erst herausbilden. Das wurde schwieriger als anfangs, unter dem Eindruck der Karlsburger Beschlüsse erwartet, da das Verständnis der in Bukarest dominierenden Politiker für Minderheitenfragen gering bis inexistent war.

Dem rumänischen Wunsch, den Anschluss Siebenbürgens an das Königreich anzuerkennen, versuchte sich die sächsische Führung um Adolf Schullerus, Hans Otto Roth, Rudolf Brandsch u.a. durch den Hinweis zu entziehen, darüber müsse erst die Pariser Friedenskonferenz entscheiden. Doch gerade im Hinblick auf diese Beschlüsse war es für die rumänische Seite äußerst wichtig, auch auf die Zustimmung anderer Völker des Landes hinweisen zu können. Angesichts dieses Drucks wurde für den 8. Januar 1919 eine „Nationalversammlung“ nach Mediasch einberufen, die, nach langen Debatten, die so genannte Anschlusserklärung verabschiedete. Sie gründete auf dem auch für die Sachsen beanspruchten Selbstbestimmungsrecht der Völker, akzeptierte angesichts der Veränderungen der weltpolitischen Lage und der Beschlüsse der Mehrheitsbevölkerung Siebenbürgens die Vereinigung und formulierte gleichzeitig „Erwartungen“ an den neuen Staat: Wiederherstellung der Selbstverwaltung und Achtung der in Karlsburg zugesagten nationalen Freiheiten.

Sächsische Interessenvertretung

Um die Position der deutschen Minderheit im neuen Staat zu stärken, wurde die Kooperation mit den anderen deutschen Gruppen vorangetrieben. Ein „Verband der Deutschen in Großrumänien“ wurde gegründet und die provisorische Leitung Rudolf Brandsch anvertraut. Im November 1919 trat in Schäßburg der „vierte Sachsentag“ zusammen, der ein neues „Volksprogramm“ verabschiedete und als neue politische Repräsentanz den „Deutsch-sächsischen Volksrat“ gründete, der die Sachsen im „Verband der Deutschen in Großrumänien“ vertrat. Zu den wichtigsten politischen Aufgaben des Volksrates gehörten die Sicherung der sächsischen Vertretung im rumänischen Parlament und die Arbeit in den internationalen Minderheitengremien. Das Vertrauen der sächsischen Bevölkerung in ihre Politiker litt jedoch stark unter den persönlichen Auseinandersetzungen zwischen Hans Otto Roth und Rudolf Brandsch.
Marktplatz in Kronstadt mit der Schwarzen Kirche. ...
Marktplatz in Kronstadt mit der Schwarzen Kirche. Rechts der Klingsor-Verlag in der Flachszeile 31. Hier erschien die von Heinrich Zillich herausgegebene Monatsschrift „Klingsor“, die bedeutendste kulturpolitische Zeitschrift der Siebenbürger Sachsen in der Zwischenkriegszeit. Fotopostkarte, gelaufen 1929, Sammlung Klein
Die Evangelische Kirche blieb der geistliche, kulturelle und auch politische Sammelpunkt der Sachsen. Sie konnte nach dem Ersten Weltkrieg ihre Autonomie bewahren und stärken, auch durch den Anschluss der lutherischen Gemeinden aus den anderen Gebieten Großrumäniens. Bischof Friedrich Teutsch hatte einen herausragenden Einfluss in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, Bischofsvikar Adolf Schullerus aber war als Präsident des Volksrates auch oberster politischer Repräsentant der Sachsen; in den Kreis- und Ortsausschüssen übernahmen viele Pfarrer politische Ehrenämter. Das riss die „Volkskirche“ der Sachsen in den Strudel politischer Auseinandersetzungen hinein.

Enttäuschte Hoffnungen

Leider wurden die Karlsburger Beschlüsse über nationale Freiheit, Gleichberechtigung und Autonomie nicht umgesetzt, die Förderung der „von den Sachsen gepflegten Wirtschaftszweige“ sowie die „Anerkennung für ihre Kulturarbeit und ein gerechtes Verständnis für ihr nationales Eigenleben“ erfolgten kaum oder in ungenügendem Maße. Der Minderheitenschutzvertrag Rumäniens mit den Alliierten kam den Forderungen der Sachsen sehr entgegen, wurde jedoch kaum umgesetzt, im politischen Alltag und vor allem von den lokalen Behörden sogar hintertrieben.

Der Anschluss Siebenbürgens an Rumänien wurde von den Sachsen auch aus wirtschaftlichen Erwägungen akzeptiert, da er der neuen rumänischen Zentralprovinz langfristig neue Möglichkeiten für Handel und Gewerbe eröffnen konnte. Die unmittelbaren Folgen jedoch bedrohten viele Existenzen und damit auch die finanzielle Grundlage sächsischer Eigenständigkeit und kultureller Entfaltung. 500 Millionen Kronen, die die Sachsen für Kriegsanleihen an Österreich-Ungarn gezeichnet hatten, wurden ihnen, entgegen ursprünglichen Zusagen, nicht gutgeschrieben. Beim Geldumtausch von Kronen in Lei wurde ein unrealistischer Kurs festgesetzt, der das Kapital der Sachsen halbierte. Nicht nur die sächsischen Privatleute wurden dadurch getroffen, auch das Bank- und Kreditwesen nachhaltig geschwächt. Da von dessen Reingewinnen satzungsgemäß mindestens zehn Prozent für die Kulturinstitutionen, insbesondere für das Schulwesen bestimmt waren, wirkte sich diese Maßnahme auch in diesem Bereich schwerwiegend aus.
Feierliche Amtseinführung von Bischof D. Dr. ...
Feierliche Amtseinführung von Bischof D. Dr. Viktor Glondys am 29. Mai 1933 in Hermannstadt. Links Landeskirchenkurator Dr. Hans Otto Roth, rechts Stadtpfarrer und Bischofsvikar D. Friedrich Müller. Im Bild die Sporergasse beim Bischofspalais, hinten die Veranda der Konditorei Seiser. Foto: Emil Fischer, Sammlung Helmut Wolff.
Für die größte Aufregung und Unzufriedenheit sorgte aber die Agrarreform. Das 1921 verabschiedete Bodenreformgesetz belastete zwar weniger die relativ kleinen und mittelgroßen Grundflächen sächsischer Privatleute, doch wurden rund 55 Prozent des Gemeinbesitzes enteignet: Wald- und Weideflächen sächsischer Gemeinden wurden benachbarten rumänischen zugewiesen, große Teile der Siebenrichterwaldungen der Vermögensverwaltung der Nationsuniversität entrissen, Grundstücke von juristischen Personen wie Banken, Stiftungen, Verbände und Vereine wechselten den Besitzer. Besonders nachhaltig wirkte sich die Enteignung von mehr als der Hälfte des Grundbesitzes der evangelischen Gemeinden aus. Für zusätzlichen Ärger sorgte bei dieser sozialen Umverteilung mit nationalistischen Akzenten die Festsetzung geringer Entschädigungspreise.

Die Hoffnungen auf eine weitergehende politisch-administrative oder zumindest Kulturautonomie der Sachsen innerhalb des neuen großrumänischen Staates, die auf den Karlsburger Beschlüssen gründeten, zerschlugen sich endgültig mit der Annahme der Verfassung vom 28. März 1923, durch die das Konzept eines zentralistischen Nationalstaates durchgesetzt wurde. Die gegen die Stimmen der sächsischen Parlamentarier verabschiedete Verfassung gewährte zwar recht weitgehende demokratische Individualrechte, doch wurden nicht einmal die im Minderheitenschutzvertrag von 1923 vorgesehenen Kollektivrechte der Sachsen und Szekler aufgenommen.

Die durch Währungsumtausch und Agrarreform erheblich reduzierten Finanzmittel der Banken, der Stiftung Nationsuniversität und der Kirchengemeinden sowie das Ausbleiben der im Minderheitenschutzvertrag zugesicherten staatlichen Unterstützungen gefährdeten das sächsische Unterrichtswesen und damit die Evangelische Kirche als Trägerin der Konfessionsschulen. Die Lehrer konnten nicht mehr oder nur unzureichend besoldet werden und streikten – ein Novum in der sächsischen Geschichte. Trotzdem lehnten es die Kirche und die mit ihr verbundene Volksführung ab, die Zahl der konfessionellen Schulen drastisch zu reduzieren, auch die überwiegende Zahl der Gemeinden war nicht bereit, auf ihre Lehrer und Pfarrer zu verzichten.

„Selbsthilfe“, „Unzufriedenen-“ und „Erneuerungsbewegung“

Trotz dieses wachsenden Unmuts agierte die politische Führung der Sachsen im ersten Jahrzehnt rumänischer Herrschaft in Siebenbürgen äußerst vorsichtig. Sie versuchte, die sächsischen Interessen durch ein Zusammengehen mit der jeweiligen Regierungspartei zu schützen und vermied nach Möglichkeit die Konfrontation. Die von dieser Politik enttäuschte sächsische Bevölkerung wandte sich allmählich von ihrer Führung ab, der sie die Entscheidung für den Anschluss an Rumänien und mangelnden Einsatz für ihre sozialen und kulturellen Belange anlastete. Zudem wurden antiklerikale Tendenzen durch die Einhebung der hohen Kirchensteuern gefördert.

Als ein Kristallisationspunkt sächsischer Unzufriedenheit und Unsicherheit wirkte die 1922 in Hermannstadt gegründete „Selbsthilfe“ um den ehemaligen Offizier und Sparkassenangestellten Fritz Fabritius. Sie entstand als eine Art Bauspar- und Darlehenskasse im sächsischen Siedlungsgebiet. Die wachsende Popularität der „Selbsthilfe“ beruhte auf ihrem wirtschaftlichen Erfolg und sozialen Engagement und erst in einer späteren Phase, in Verbindung mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, auf der ideologisch-politischen Bindung an die nationalsozialistische Bewegung in Deutschland, deren Einfluss Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre stetig zunahm.

Die wirtschaftlich-sozialen Schwierigkeiten der Bevölkerung und die völlig unbefriedigende Minderheiten- und Wirtschaftspolitik der Bukarester Regierung wurden zunehmend der sächsischen Führung angelastet. Vorwürfe der Cliquen- und Vetternwirtschaft, gar der Unterschlagung wurden laut und von der sogenannten „Unzufriedenenbewegung“ aufgegriffen, die 1925 in Hermannstadt entstand. Diese verebbte bald, nicht zuletzt wegen der Sparmaßnahmen der Kirchenleitung und der Finanzhilfen aus Deutschland.

Forderungen nach kulturpolitischen Veränderungen wurden vor allem in der von Heinrich Zillich redigierten Kronstädter Zeitschrift Klingsor artikuliert, mit zunehmend deutschnationalem Unterton, jedoch in Distanz zur „völkische[n] ‚Bewegung‘ in Deutschland in ihrem heutigen unausgegorenen, unsachlichen Zustand [, der...] bei uns nicht zielgebend werden“ dürfe. Doch wurde der „Klingsor-Kreis“ zunehmend auch politisch aktiv und radikalisierte sich allmählich. 1931 forderte eine von ihm einberufene „Tagung sächsischer Volksgenossen aller Stände und Siedlungsgebiete“ eine „Erneuerung unserer sittlichen, religiösen und nationalen Kräfte“.
Die sich verschärfende innervölkische ...
Die sich verschärfende innervölkische Auseinandersetzung zwischen der Deutschen Volksgemeinschaft in Rumänien („Fabritianer“) und den radikaleren „Gustianern“ von der Deutschen Volkspartei in Rumänien (DVR) wird auch an diesem Handzettel von 1936 deutlich. In Hermannstadt blieben die Anhänger der DVR stets eine Minderheit. Sammlung Klein
Neben dieser intellektuellen Gruppe der „Erneuerer“ machte sich jene um Fritz Fabritius zur Wortführerin der unzufriedenen Arbeiter und der wegen der Wirtschaftskrise immer zahlreicheren Arbeitslosen in den unteren Schichten der sächsischen Bevölkerung. Die Radikalisierung der „Selbsthilfe“ ist im Kontext der Weltwirtschaftskrise und ihrer Auswirkungen zu sehen. Sie griff zunehmend nationalsozialistische Argumentationsweisen auf und bezeichnete sich nun als „völkische Erneuerungsbewegung“, die alle Deutschen in Rumänien, nicht allein die Sachsen zu erfassen habe. Sie entwarf das Konzept einer streng hierarchisch gegliederten, alle gesellschaftlichen Gruppen umfassenden und repräsentierenden Volksorganisation, der „Universität des Führers“. Mit dem Kronstädter Dr. Waldemar Gust, einem überzeugten und energischen Repräsentanten nationalsozialistischen Gedankenguts, wurden auch die Burzenländer „Unzufriedenen“ in die „Selbsthilfe“-Bewegung eingebunden. Im Mai 1932 wurde die „Nationalsozialistische Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumänien“ (NSDR) gegründet. In „Arbeitslagern“ halfen Jugendliche vornehmlich in der Landwirtschaft mit, wurden aber auch durch „weltanschauliche“ Vorträge in Geist völkischer Ideologie „erzogen“.

Im September 1932 legte Bischof Friedrich Teutsch aus gesundheitlichen Gründen sein Amt nieder. Mit ihm trat nicht nur eine – trotz aller Attacken auf die Institution der Kirche – allgemein anerkannte Integrationsfigur der Sachsen ab; eine von seinem Vater Georg Daniel Teutsch eingeleitete Epoche der auch politisch dominierenden „Volkskirche“ fand ihr Ende. Bei der anstehenden Bischofswahl setzte sich der Nicht-Siebenbürger Viktor Glondys durch, die konser­vative Führung aber wurde durch die Wahl von Friedrich Müller zum Bischofsvikar und Hans Otto Roth zum Landeskirchenkurator gestärkt.

Ganz anders setzte sich die „Erneuerungsbewegung“ im politischen Bereich durch, die auf dem 5. „Sachsentag“ ihre Ideen in einem „Volksprogramm“ artikulieren lassen konnte, in dem Begriffe wie „Erhaltung und Mehrung unseres Lebensraumes“, „Opferbereitschaft für das Volksganze“, „Bodenverbundenheit unseres alten Siedlerstammes“, „Volksgesundheit, Hygiene, Rassenhygiene und Volksvermehrung“ und andere zu lesen sind. Zweifellos markiert dieses „Volksprogramm“ einen Höhepunkt in der deutschnationalen Orientierung der Siebenbürger Sachsen, die sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, in einem von Nationalismus geprägten Zeitalter, und dann unter den Bedingungen des Minderheitenstatus im rumänischen Staat kontinuierlich verschärft hat, und den Übergang zu einer nationalsozialistischen Ausrichtung.

Dr. Konrad Gündisch

Schlagwörter: Geschichte, Streiflichter

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  • 01.11.2016, 15:32 Uhr von bankban: Hallo Herr Gündisch, vielen Dank erneut für den Artikel. Gestatten Sie bitte, erneut einige ... [weiter]

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