2. Januar 2017

Siebenbürgische Impressionen: Aus den Briefen des Kulturphilosophen Eduard Spranger

Er war ein hervorragender Repräsentant der deutschen Gelehrtenschaft vom Ende des Kaiserreiches bis zu den ersten Jahren der Bundesrepublik, der 1882 in Berlin-Lichterfelde geborene Philosoph, Pädagoge und Psychologe Eduard Spranger. Mit seinem Namen ist der Begriff des „Dritten Humanismus“ ebenso verbunden, wie jener der „geisteswissenschaftlichen Pädagogik“. Seine beiden Hauptwerke „Lebensformen“ und „Psychologie des Jugendalters“ dienten vielen Generationen von Lehrern, Eltern und Schülern als Leitlinien für eine humanistisch geprägte Bildung.
In der hermeneutischen Tradition seines Lehrers Wilhelm Dilthey stehend, war Bildung für Spranger eine durch Kultureinflüsse erworbene, entwicklungsmögliche Wesensform des Menschen, die ihn zu hohen Kulturleistungen befähigt; er spricht in diesem Zusammenhang von der „Bildsamkeit“ der individuellen Persönlichkeit. Unverzichtbares Ziel der Bildung sah er in der inneren Formung des Menschen, die nur in der Gemeinschaft zu erreichen sei. In der Gesinnung sich auf Johann Heinrich Pestalozzi berufend, verstand sich der Berliner, der eine schwere Kindheit erlebt hatte, schon früh als Pädagoge, wenn er als einen seiner Lebensgrundsätze niederschrieb: „Wenn Erziehung nicht möglich ist, wozu sollte ich leben?“

Spranger hatte, vor allem in der Anfangszeit, eine etwas ambivalente Haltung zum Nationalsozialismus, wandelte sich aber, wie er bekannte, „spät, aber mit Einsicht“ zum Demokraten. Seine bis Kriegsende durchgängig gehaltenen Vorlesungen in Berlin konnte er 1946, nunmehr in Tübingen, wieder aufnehmen. Zu seinen Hörern zählten u.a. die späteren siebenbürgischen Professoren Walter König und Andreas Möckel.
„Der Lehrer der Siebenbürger Sachsen“ Friedrich ...
„Der Lehrer der Siebenbürger Sachsen“ Friedrich Reimesch, hier mit Ehefrau Leontine („Luna“) und zwei seiner Kinder, Berlin 1942. Hinten der Graphiker Ragimund Reimesch und die Pianistin Ilse Reimesch, die zeitweilig mit dem jüdischen Dirigenten Artur Rodzinski (eigentlich Rittigstein) verheiratet war. Auf dem Bild fehlt der ältere Bruder Fritz Heinz Reimesch. Hinten Stempel: „Schwarz-Kopie nach einem Buntfilm Agfa Color“. Sammlung Konrad Klein
Der sehr vielseitig interessierte Spranger, dessen wissenschaftliches Gesamtwerk entsprechend breit angelegt war, stand mit einer Reihe von deutschen Geistesgrößen seiner Zeit im Briefverkehr. So etwa mit seinen Philosophenkollegen O. F. Bollnow, K. Jaspers und H. Rickert, mit den Physikern O. Hahn und W. Heisenberg sowie dem Geschichtsphilosophen O. Spengler und dem Theologen Adolf v. Harnack. Mit dem ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss verband ihn eine langjährige Freundschaft – auf dessen Wunsch durfte Prof. Spranger 1951 die Festrede zum zweiten Jahrestag der Bundesrepublik Deutschland halten.

Eine besondere Stellung im Briefwerk Sprangers nimmt, nicht nur wegen ihrer Dichte, die Korrespondenz mit der Berliner Arzttochter Catharina „Käthe“ Hadlich ein. Die intensive Brieffreundschaft mit der Kunstmalerin dauerte von 1903-1960 und schlug sich im Nachlass mit rund 2900 Briefen und Postkarten von Spranger nieder. Eine Auswahl aus diesem Briefwechsel ist 2002 in Buchform erschienen. Darin findet sich, neben persönlichen und alltäglichen Belangen, vor allem auch ein Gedankenaustausch über wissenschaftliche und zeitgeschichtliche Fragen, wobei Spranger Wert darauf legte, „kein idealisiertes, sondern ein historisches Bild“ entstehen zu lassen.

Die Bezüge zu Siebenbürgen bzw. zu Siebenbürger Sachsen finden sich fast ausschließlich im Briefaustausch mit seiner „Diotima“ Käthe Hadlich. Sie gehen noch auf das Jahr 1911 zurück, als der junge Privatdozent an der Berliner Universität lehrte.

Heimatkundliche Broschüre von Friedrich Reimesch ...
Heimatkundliche Broschüre von Friedrich Reimesch mit einer Widmung des Verfassers für den Sprachwissenschaftler Dr. Andreas Scheiner („Seinem lieben Freunde u. Gesinnungsgenossen Dr. A. Scheiner z. fr. Erinnerung. F. Reimesch, Honigberg, 6. April 1924“). Sammlung Konrad Klein
Eduard Spranger notiert u.a.: „Der Siebenbürger Reimesch sandte mir eine kleine Schrift von sich mit freundlicher Dedikation, worauf ich gestern s. Familie besuchte.“ Es sollte eine lebenslange Freundschaft mit dem aus Zeiden gebürtigen Lehrer und Pfarrer Friedrich Reimesch werden, so dass Spranger nach dessen Ableben im August 1948 fast etwas wehmütig an Hadlich schrieb: „Der gute alte Reimesch ist mit 86 J. gestorben.“

Auf Einladung dieses verdienstvollen, äußerst rührigen Schulmannes, zuletzt Rektor in Kronstadt und von 1910 bis 1925 Obmann des Siebenbürgisch-Sächsischen Lehrervereins, kam Eduard Spranger am 15. August 1927 nach Siebenbürgen, zunächst nach Kronstadt. Hier hielt er auf dem 17. Lehrertag den Festvortrag aus Anlass des 100. Todestages von Heinrich Pestalozzi unter dem Titel „Neue Strömungen in Psychologie und Pädagogik“.

Am Nachmittag des 21. August schrieb Spranger aus Kronstadt an Susanne Conrad, seine spätere Ehegattin, erleichtert darüber zu sein, zum ersten Mal einen Tag zumindest teilweise zur eigenen Verfügung zu haben. Danach stünde noch ein Spaziergang „mit Reimesch und dem Herrn Stadtpfarrer Scherg“ auf dem Programm. Weiter hielt er rückblickend fest: „Bei der Ankunft auf der Station Alba Iulia ein ‚malerisches Bild‘: Rumänische Bauern lagerten im Gras bei der Station u. wuchsen bei Ankunft des Zuges in ihren seltsamen Trachten gleichsam aus dem Boden hervor.“

Am Vortragstag hätten dann „die Reichsdeutschen“ (also weitere Referenten) nach der Sigewanza (= Polizei) – gemeint war der rumänische Nachrichtendienst Siguranța – gesucht, um für 500 Lei (= 13,50 M) eine Aufenthaltsbewilligung zu erwerben.

Für Montag war die Fahrt nach Hermannstadt geplant, mit kurzem Aufenthalt in Mediasch. In Hermannstadt wohnte Spranger fürs erste im Hotel Römischer Kaiser.

Abweichend von seinen in der Regel im Telegrammstil verfassten Schreiben an Käthe Hadlich, wurde es am Abend des 25. August im Kurhaus Hohe Rinne ein ausführlicher Bericht. Etwas verschlüsselt bis ganz offen äußerte er sich über die unzukömmliche Verpflegung: „Essen nach Landesart, mehrstens nichts für mich.“ Und: „Bedienung bäuerlich schwerfällig und unlenksam“. Die Hinauffahrt erfolgte „mit 3 mageren Pferden, geführt von einem prächtigen deutschen Fuhrmann“.

In Begleitung des Berliner Gelehrten befand sich auch Simon Schwarz, Obmann-Nachfolger von Friedrich Reimesch, mit seiner Familie, den er „mein getreuer Eckart“ nannte. Die Unterkunft bereitete dem hohen Gast gleichermaßen Unbehagen – das in Anführungszeichen gesetzte „Zimmer“ habe „3 Betten, kasernenmäßig eingerichtet, aber sauber“. Bei Tisch saß er neben „Frau Dr. Csaki, Malerin, Frau des „Leiters des deutschen Kulturamtes“ (Dr. Richard Csaki – Anmerkung des Verfassers). Die „Hautevolee von Hermannstadt“ habe sich hier oben eingefunden – „man ist freundlich, aber es fehlt die Herzenswärme von Kronstadt“.

Spranger fühlte sich erholungsbedürftig und betonte „energisch“, dass er hier Ruhe haben und sich konzentrieren wolle, denn bis jetzt sei er „wie ein Packet (sic!) aus einer Hand in die andere gegeben“ worden.

Käthe Hadlich antwortete ihm am 27. August aus Heidelberg auf eine Hermannstädter Ansichtskarte: „Wie gemütlich sieht das (unleserlich) bei der Kirche auf dem Bilde aus, wie deutsch das (Gegiebel)!“

Gleichwohl waren dem Polyhistor die Bergnamen „Rinne“ und „Zinne“ etwas durcheinandergeraten („Hohe Zinne“!), sodass seine Briefpartnerin ob des seltsam erscheinenden Reiseverlaufs „überrascht“ war.

Ab dem 31. August wohnte Spranger dann wieder im Römischen Kaiser. Es sollten bis zum 5. September noch insgesamt sieben Vorträge folgen. Zum Aufenthalt im Höhenkurort hielt er resümierend fest: „Ganz wohl gewesen ist mir nie – …. Teils weil ich dies Leben en grande famille nicht vertrage.“ Und bezüglich des Zwischenmenschlichen: „Man war immer allg. sehr freundlich zu mir. Aber ich mußte mir doch immer Zwang antun.“

Auf dem Münchner Hauptbahnhof fand Spranger am 7. September dann endlich Zeit, um über die letzten in Hermannstadt verbrachten fünf Tage eine bis ins (peinliche) Detail gehende Rückschau zu halten.

Das dichte Programm begann mit einem Besuch bei Bischof Friedrich Teutsch und bei Familie Dr. Viktor Mesch, einem Industriellen, sehr liebe Leute, wie er notiert. Am Begrüßungsabend nahmen ca. 700 Besucher teil – Spranger saß an der Ehrentafel zwischen dem Bischof und dem Abgeordneten Hans Otto Roth. Von den Gastrednern sprach außer ihm der Philosoph Eugen Kühnemann, „unter tosendem Beifall“.

Der Besuch am nächsten Tag bei zwei Vorträgen in der Johanniskirche sei „mäßig“ gewesen. Und dann wird’s beim Gelehrten dünkelhaft: „Ich will gleich bemerken, …. daß ich Meisterleistungen 1. Ranges gegeben habe, weit mehr in Inhalt und Formung, als man dort wohl würdigen kann.“ Vorträge waren noch zu hören von dem Psychologen R. Müller-Freienfels, dem Pädagogen A. Bäumler und dem Linguisten F. Wrede. Bei der gemeinsamen Tafel im Römischen Kaiser („der gut war, aber mir doch 1 tote und 1 lebende Wanze präsentierte“) gab es ein Klavierkonzert der Kronstädterin Luise Gmeiner.

An den restlichen drei Tagen standen u.a. eine Besichtigung des Brukenthalmuseums, ein Kirchgang in Michelsberg und ein Besuch bei Gen.Dir. Dr. Schullerus auf dem Programm. Abends bei Dr. Csaki („sehr liebenswürdiger, tüchtiger Mann, Frau sehr schön“) war Spranger die Musik „zum Sterben langweilig.“

Die Heimfahrt ging über Kleinkopisch, mit Umsteigen in einen Wiener Wagen – „wo wir … ohne Platz im Gange gehockt haben“. Dazu kamen die noch nicht ganz abgeklungenen nervösen Magenstörungen. Und dann „von 3 – 6 gegen Bachschisch (sic!) I. Kl. geschlafen“.

Über Siebenbürgen äußert sich danach Eduard Spranger nur noch einmal in seinen Briefen an Käthe Hadlich. Am 26. Januar 1934 war er besorgt darüber, dass „die Volksgemeinschaft in Siebenbürgen nun auch zerrissen (ist).“

Nur der Name seines langjährigen Freundes Friedrich Reimesch kam hin und wieder vor. Aus Anlass seines 70. Geburtstages würdigte Spranger in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 25. Juni 1932 den Pädagogen unter dem Titel „Der Lehrer der Siebenbürger Sachsen“ in höchsten Tönen. Reimesch, der in Jena, Berlin und Leipzig studiert hatte, war 1910 mit seiner Familie in die Reichshauptstadt zurückgekehrt. Dass er als „gereifter Mann“ noch einmal bei jungen Privatdozenten hörte, rechnete ihm der 50-jährige Professor hoch an. Und außerdem: Durch aberhunderte Vorträge, quer durch das ganze Land gehalten, habe er „dem deutschen Volk von den fernen Brüdern erzählt.“ Abschließend heißt es in der Laudatio: „Wir grüßen ihn in Ehrfurcht … Seine schlichte Größe sei uns Maaß und Sporn!“

Walter Schuller

Schlagwörter: Kultur, Erinnerungen, Philosoph

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