17. Oktober 2017
Das heimatliche "Jerusalem" nicht zu früh aufgeben: Georg Dehio-Kulturpreis 2017 geht an Paul Philippi
Das wissenschaftliche Werk wie auch die politische Arbeit Paul Philippis sind in ihrer Bedeutung für Siebenbürgen unzweifelhaft. Dennoch geben seine Thesen und Überzeugungen immer wieder Anlass zu Kontroversen. War es in den beiden Jahrzehnten vor und nach 1989 vor allem die Frage nach dem „Bleiben oder Gehen“ der Siebenbürger aus dem kommunistischen Rumänien, die für Debatten sorgte und aufs Neue die Verantwortung der Mitglieder einer jahrhundertealten Lebens- und Schicksalsgemeinschaft thematisierte, so steht heute eher die Auseinandersetzung über Form und Ziel einer vornehmlich aus der Ferne zu erbringenden Sorge um das Zurückgelassene im Vordergrund der Diskussionen. In diesem Sinne war auch die Verleihung des Georg Dehio-Kulturpreises 2017 an den Theologen und politischen Kopf Prof. Dr. Dres. h.c. Paul Philippi eine bewusste Entscheidung der Jury für die lebhafte Auseinandersetzung und die Aktualität einer Debatte, die allzu oft ausschließlich historisch geführt wird. Vor allem aber gilt es, mit der Preisverleihung ein Lebenswerk zu würdigen, ein Lebenswerk, von dem wir wissen, dass es neue Perspektiven und Optionen zukunftsfähiger Handlungsräume für Siebenbürgen eröffnet hat.
Am 28. September 2017 fand im Otto-Braun-Saal der Berliner Staatsbibliothek die feierliche Preisverleihung der vom Deutschen Kulturforum östliches Europa verliehenen Auszeichnung statt. Ganz im Sinne des Namengebers, des Kunsthistorikers Georg Gottfried Julius Dehio (1850 Reval/Tallinn – Tübingen 1932), der als Initiator des Handbuchs der deutschen Kunstdenkmäler (kurz: Dehio) Generationen von Reisenden begleitete und ihnen die Augen öffnete, würdigt der Preis all jene, die sich heute zukunftsorientiert und im Dialog mit den Nachbarn mit deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa auseinandersetzen. Die seit 2003 jährlich im Wechsel mit dem Georg Dehio-Buchpreis vergebene Auszeichnung ist von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) mit insgesamt 10000 Euro dotiert. Erstmalig wurde der Preis dieses Jahr in einen Haupt- (7000 Euro) und einen Förderpreis (3000 Euro) aufgeteilt. Neben dem Lebenswerk Paul Philippis konnte auf diese Weise auch die Initiative des jungen tschechischen Autors und Aktivisten Jaroslav Ostrčilík für seine Heimatstadt Brünn/Brno einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt und geehrt werden.
Unter Vorsitz von Dr. Felix Ackermann (Deutsches Historisches Institut, Warschau) zählten Prof. Dr. András Balogh (Eötvös-Lórand-Universität, Budapest und Babeș-Bolyai Universität Klausenburg), Dr. Peter Becher (Adalbert Stifter-Verein, München), Oliver Dix (Hannover), Dr. Anneli Ute Gabanyi (Berlin), Bara Procházková (Česká televize Prag) und PD Dr. Beate Störtkuhl (Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Oldenburg) zur Jury. In ihrer Begründung für den Zuspruch des Hauptpreises an den 1923 in Kronstadt geborenen Philippi werden vor allem seine Initiativen zur Gründung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL), der ungebrochene Einsatz für die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien sowie Gründung (1990), Vorsitz (1992-1998) und ab 1998 Ehrenvorsitz des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) hervorgehoben. So heißt es: „Paul Philippi (…) musste nach dem Zweiten Weltkrieg in den Westzonen Deutschlands verbleiben, wurde evangelischer Theologe und als Diakoniewissenschaftler Ordinarius an der Universität Heidelberg. Ab den 1950er Jahren initiierte er eine Neuaufstellung der Siebenbürgen-Forschung in der Bundesrepublik und ließ sich für den Pfarrdienst in der heimischen Landeskirche ordinieren. 1983 konnte er seinen Umzug nach Hermannstadt/ Sibiu realisieren und unterrichtete bis zu seiner Emeritierung Kirchengeschichte am dortigen Theologischen Institut. Ab Ende 1989 übernahm er auch die politische Verantwortung in dem von ihm mitbegründeten Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien …“
Laudator am Abend der Preisverleihung war Dr. Christoph Bergner, MdB, vormals Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt und von 2006 bis 2013 Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und Minderheiten. Gerade vor dem Hintergrund der Herausforderungen, die aus dieser gemeinsamen Aufgabe erwuchsen, würdigte Bergner den Ausgezeichneten nicht nur als Wissenschaftler und Funktionsträger, sondern auch als Persönlichkeit, deren Werk „sich besonders durch seine politischen Implikationen auszeichnet“. Bei Philippi, so Bergner in seiner Laudatio, habe er gelernt, kulturnationale Bindungen als eigenständige Größe neben staatlichen Loyalitäten zu verstehen. Bergner unterstrich damit die Orientierung gebende Kraft und Eindringlichkeit im Werk Philippis, unterließ es aber auch nicht, auf die schmerzlichen und kontroversen Punkte in der Einschätzung des Preisträgers hinzuweisen. Diese hob er jedoch in dem Begriff einer, wie er es nannte, „Philippischen Grundintention“ auf, in welcher die Herkunftsgeschichte als besondere persönliche Verpflichtung zu betrachten wäre und deren Schaffensmotive weniger aus der Idee einer musealen Präsentation als vielmehr aus dem Wunsch einer Überlebenssicherung dieser (und anderer) Minderheitsgemeinschaften zu begreifen sind. Den stetigen Wandel von Verlust und Gewinn reflektierend, erinnerte Bergner zugleich an ein berühmtes Wort Elie Wiesels aus der Weisheit des Talmud, das auch für den Preisträger eine überragende Bedeutung gewonnen habe: „Da es zu spät war, Jerusalem zu retten, musste man das Heimweh nach Jerusalem retten.“ Der Theologe und Politiker Philippi kommentierte diese Weisheit treffend und auf seine Weise so: „Bei aller Unterschiedenheit vom biblischen oder gar himmlischen Jerusalem zu unserem heimatlichen ‚Jerusalem‘ – bei aller Verschiedenheit bleibt es richtig und wichtig, die im Heimweh ringenden Sehnsüchte nach dem Ewigen, nach Bleibendem, wach zu halten und behutsam zu belgleiten, damit sie weder zu schierer Sentimentalität verkommen, noch sich im leeren Pathos aufblähen.“ Neben die theologische Dimension des Heimwehs tritt so eine ganz praktisch-politische, die Christoph Bergner markant ans Ende seiner Laudatio stellte und die den Geehrten vielleicht in besonderer Weise charakterisiert: Das Wort Elie Wiesels richtig zu verstehen, heißt nämlich für Philippi auch und ganz besonders, „Jerusalem“ nicht zu früh zugunsten des bloßen „Heimwehs nach Jerusalem“ aufzugeben.
Bereits zwei Tage vor der Preisverleihung, am 26. September, fand eine Begleitveranstaltung des Deutschen Kulturforums östliches Europa statt. Freundlicher und zuvorkommender Gastgeber dieses Abends war die Rumänische Botschaft in Berlin. Hierher hatte unter dem Titel „Ehrliche treue Bürger desjenigen Staates, dem wir angehören“ Dr. Harald Roth, Direktor des Kulturforums, gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Dr. Anneli Ute Gabanyi zur Podiumsdiskussion mit Paul Philippi eingeladen. Charmant, pointiert und ohne rhetorische Schnörkel verstanden es die beiden Moderatoren, diejenigen Themen und Begriffe ins Gespräch zu bringen, die wesentlich sind, um einem breiteren Publikum die wegbestimmenden Herausforderungen und Wendepunkte in der Geschichte der Siebenbürger Sachsen zu vermitteln. So ging es um den Begriff der „Nation“, der hier im Sinne einer ständischen Ordnung gebraucht wurde, um die Bezeichnung „Minderheit“, die nicht historisches, sondern modernes, nämlich der Bildung von Nationalstaaten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert geschuldetes Prädikat sei, sowie um die unspezifische Rede von „Rumäniendeutschen“, welche immer wieder die irreführende Idee einer nie erfolgten Einwanderung nahelege. Das Gespräch konzentrierte sich dann auf die Frage nach den Herausforderungen, vor die sich die Siebenbürger Sachsen (nunmehr als ethnische Gruppe begriffen) angesichts ihrer Loyalität gestellt sahen – einer Loyalität, die sie im Verlauf der letzten 150 Jahre ihren jeweiligen Heimatstaaten entgegenzubringen hatten und entgegengebracht hätten. Was die Gegenwart anbelangt, zeigte sich Paul Philippi optimistisch: trotz seines angespannten Verhältnisses zum Exodus der 1990er Jahre, in dem er nur schwerlich etwas anderes als einen falsch verstandenen Freiheitsgewinn erkennen kann, sieht er insbesondere in der Wahl von Klaus Johannis zum Staatspräsidenten Rumäniens ein Zeichen der Hoffnung und ein Kompliment der Wähler, auf das klug und anerkennend zu antworten sei.
In einer Würdigung zu Paul Philippis 90. Geburtstag, die am 21. November 2013 in dieser Zeitung gedruckt wurde, lieferte Pfarrer Dr. Stefan Cosoroabă ein gelungenes Porträt des nunmehrigen Georg Dehio-Kulturpreisträgers. Darin bezeichnete er Philippi als eine – gerade wegen und in ihrer Streitbarkeit – „notwendige Stimme“. Dies haben Jury und Laudator vier Jahre später eindrucksvoll unterstrichen.
Laudator am Abend der Preisverleihung war Dr. Christoph Bergner, MdB, vormals Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt und von 2006 bis 2013 Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und Minderheiten. Gerade vor dem Hintergrund der Herausforderungen, die aus dieser gemeinsamen Aufgabe erwuchsen, würdigte Bergner den Ausgezeichneten nicht nur als Wissenschaftler und Funktionsträger, sondern auch als Persönlichkeit, deren Werk „sich besonders durch seine politischen Implikationen auszeichnet“. Bei Philippi, so Bergner in seiner Laudatio, habe er gelernt, kulturnationale Bindungen als eigenständige Größe neben staatlichen Loyalitäten zu verstehen. Bergner unterstrich damit die Orientierung gebende Kraft und Eindringlichkeit im Werk Philippis, unterließ es aber auch nicht, auf die schmerzlichen und kontroversen Punkte in der Einschätzung des Preisträgers hinzuweisen. Diese hob er jedoch in dem Begriff einer, wie er es nannte, „Philippischen Grundintention“ auf, in welcher die Herkunftsgeschichte als besondere persönliche Verpflichtung zu betrachten wäre und deren Schaffensmotive weniger aus der Idee einer musealen Präsentation als vielmehr aus dem Wunsch einer Überlebenssicherung dieser (und anderer) Minderheitsgemeinschaften zu begreifen sind. Den stetigen Wandel von Verlust und Gewinn reflektierend, erinnerte Bergner zugleich an ein berühmtes Wort Elie Wiesels aus der Weisheit des Talmud, das auch für den Preisträger eine überragende Bedeutung gewonnen habe: „Da es zu spät war, Jerusalem zu retten, musste man das Heimweh nach Jerusalem retten.“ Der Theologe und Politiker Philippi kommentierte diese Weisheit treffend und auf seine Weise so: „Bei aller Unterschiedenheit vom biblischen oder gar himmlischen Jerusalem zu unserem heimatlichen ‚Jerusalem‘ – bei aller Verschiedenheit bleibt es richtig und wichtig, die im Heimweh ringenden Sehnsüchte nach dem Ewigen, nach Bleibendem, wach zu halten und behutsam zu belgleiten, damit sie weder zu schierer Sentimentalität verkommen, noch sich im leeren Pathos aufblähen.“ Neben die theologische Dimension des Heimwehs tritt so eine ganz praktisch-politische, die Christoph Bergner markant ans Ende seiner Laudatio stellte und die den Geehrten vielleicht in besonderer Weise charakterisiert: Das Wort Elie Wiesels richtig zu verstehen, heißt nämlich für Philippi auch und ganz besonders, „Jerusalem“ nicht zu früh zugunsten des bloßen „Heimwehs nach Jerusalem“ aufzugeben.
Bereits zwei Tage vor der Preisverleihung, am 26. September, fand eine Begleitveranstaltung des Deutschen Kulturforums östliches Europa statt. Freundlicher und zuvorkommender Gastgeber dieses Abends war die Rumänische Botschaft in Berlin. Hierher hatte unter dem Titel „Ehrliche treue Bürger desjenigen Staates, dem wir angehören“ Dr. Harald Roth, Direktor des Kulturforums, gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Dr. Anneli Ute Gabanyi zur Podiumsdiskussion mit Paul Philippi eingeladen. Charmant, pointiert und ohne rhetorische Schnörkel verstanden es die beiden Moderatoren, diejenigen Themen und Begriffe ins Gespräch zu bringen, die wesentlich sind, um einem breiteren Publikum die wegbestimmenden Herausforderungen und Wendepunkte in der Geschichte der Siebenbürger Sachsen zu vermitteln. So ging es um den Begriff der „Nation“, der hier im Sinne einer ständischen Ordnung gebraucht wurde, um die Bezeichnung „Minderheit“, die nicht historisches, sondern modernes, nämlich der Bildung von Nationalstaaten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert geschuldetes Prädikat sei, sowie um die unspezifische Rede von „Rumäniendeutschen“, welche immer wieder die irreführende Idee einer nie erfolgten Einwanderung nahelege. Das Gespräch konzentrierte sich dann auf die Frage nach den Herausforderungen, vor die sich die Siebenbürger Sachsen (nunmehr als ethnische Gruppe begriffen) angesichts ihrer Loyalität gestellt sahen – einer Loyalität, die sie im Verlauf der letzten 150 Jahre ihren jeweiligen Heimatstaaten entgegenzubringen hatten und entgegengebracht hätten. Was die Gegenwart anbelangt, zeigte sich Paul Philippi optimistisch: trotz seines angespannten Verhältnisses zum Exodus der 1990er Jahre, in dem er nur schwerlich etwas anderes als einen falsch verstandenen Freiheitsgewinn erkennen kann, sieht er insbesondere in der Wahl von Klaus Johannis zum Staatspräsidenten Rumäniens ein Zeichen der Hoffnung und ein Kompliment der Wähler, auf das klug und anerkennend zu antworten sei.
In einer Würdigung zu Paul Philippis 90. Geburtstag, die am 21. November 2013 in dieser Zeitung gedruckt wurde, lieferte Pfarrer Dr. Stefan Cosoroabă ein gelungenes Porträt des nunmehrigen Georg Dehio-Kulturpreisträgers. Darin bezeichnete er Philippi als eine – gerade wegen und in ihrer Streitbarkeit – „notwendige Stimme“. Dies haben Jury und Laudator vier Jahre später eindrucksvoll unterstrichen.
Heinke Fabritius
Schlagwörter: Paul Philippi, Preisverleihung, Deutsches Kulturforum östliches Europa, deutsch-rumänische Beziehungen
21 Bewertungen:
Noch keine Kommmentare zum Artikel.
Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.