30. September 2025

Vom Flugpionier zum Wunderkreis/35. Sachsentreffen in Zeiden

Freiheit ist nicht selbstverständlich. Freiheit will aktiv verteidigt werden. Niemand weiß dies besser als die Menschen in Rumänien, die noch den Eisernen Vorhang erlebten. Oder die ausgewanderten Siebenbürger Sachsen, die dem Kommunismus entflohen und selbst nach der Wende noch in Massen emigriert, aus Angst, die geöffnete Tür könne vielleicht auch wieder zugehen. Freiheit lockt, lässt Risiken eingehen – nicht nur im politischen Bereich. Den siebenbürgischen Bauernsohn Albert Ziegler, 1888 in Zeiden (rumänisch Codlea) geboren, der schon als Kind vom Fliegen träumte, verlockte die Freiheit über den Wolken. Er wurde Siebenbürgens erster Flugzeugbauer und Flugpionier. 1913 kreiste er mit seinem Eindecker auch über Zeiden. 112 Jahre später wird dort zum 35. Sachsentreffen, das unter dem Motto „Freiheit macht den Unterschied“ steht, eine Gedenkplatte an seinem Geburtshaus in der Langgasse (Strada Lungă) 133 enthüllt… Die Sachsen vergessen ihre Helden nicht.
Sachsentreffen in Zeiden: Aufmarsch der ...
Sachsentreffen in Zeiden: Aufmarsch der Tanzgruppen auf der Promenade neben der Kirchenburg. Foto: George Dumitriu
Bis zum Juni 1914 ist Albert Ziegler 90 Mal vom Boden abgehoben. Auch ein Absturz – bei Schäßburg, mit glimpflichem Ausgang – konnte ihn nicht entmutigen. Über den Traum vom Fliegen und seinen Träumer, der als Junge mit Regenschirmen oder zwei Hanklichbrettern Ikarus nachzueifern suchte, sich in der Schweiz, Frankreich, Deutschland und Österreich ausbilden ließ und als Motorenbauer den Preis der Handelskammer errang, erzählt Rainer Lehni, Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, in seinem Vortrag am Freitag, dem 19. September. Im Foyer des Zeidner Kulturhauses konnte man Zieglers beeindruckende Flugapparate in großformatigen Bildern bewundern. Seine Geschichte ist auch im Zeidner Stadtmuseum im Eingangsbereich zur evangelischen Kirchenburg ausführlich dokumentiert.
Enthüllung der Gedenktafel am Geburtshaus von ...
Enthüllung der Gedenktafel am Geburtshaus von Albert Ziegler, von links Vizebürgermeister S¸tefan Ciolan, Rainer Lehni, heutige Hauseigentümerin Lucica Ra˘dus¸i, Pfarrer Danielis Mare, Radu Nebert und Winfried Ziegler. Foto: Heike Mai-Lehni

Wenn Freiheit fehlt ...

„Besonders aber schätzt man die Freiheit, wenn sie fehlt“, erinnerte des Flugpioniers Namensvetter Winfried Ziegler, Geschäftsführer des Siebenbürgenforums, das unter dem Vorsitzenden Radu Nebert das Sachsentreffen in Zeiden am 19. und 20. September 2025 organisiert hat.

Die Tänzerin und Choreografin Heike Schuster „erzählte“ davon auf ganz andere Weise – mit ihrem Körper. In ihrer Performance „Gleis 3“, die an 80 Jahre seit der Russlanddeportation der Deutschen aus Rumänien erinnert, hautnah miterlebt von Rosa Lukesch, der Großmutter der Tänzerin, werden vier Kleidungstücke wie Häute abgelegt und in Rahmen pittoresk festgepinnt. Zum Schluss ein neues, glänzendes Kleid übergestülpt, doch der alte Unterrock bleibt an: Es gibt immer etwas vom Trauma, das man nicht ablegen kann ... „Irgendetwas in meinem Körper erinnerte sich an das, was meine Großmutter erlebt hatte“, gestand Heike Schuster in der anschließenden Gesprächsrunde mit Historikerin Hannelore Baier und ifa-Kulturmanagerin Christiane Böhm. Der Tanz, der am 12. Dezember in Freiburg uraufgeführt werden soll, ist ihr persönliches Herzensprojekt.

„Prüft alles und behaltet das Gute“

„Freiheit macht den Unterschied“ – zu diesem Motto beglückwünschte Bischof Reinhart Guib das Siebenbürgenforum im Gottesdienst in der evangelischen Kirche von Zeiden am Samstag, dem 20. September. Bei anderem Ausgang der diesjährigen Präsidentschaftswahlen wäre es fraglich gewesen, „wie wir uns noch hätten begegnen können“ – die Siebenbürger Sachsen im Inland, im Ausland und mit den rumänischen Partnern – fügte er an. „Als Gemeinschaft müssen wir uns voll einsetzen“. Die Kirchenglieder lud er zum „konstruktiven Mitgestalten“ und zur Teilnahme an den für November anstehenden kirchlichen Wahlen ein. Das Strategiekonzept der evangelischen Kirche, von diakonischer Fürsorge bis zum Einsatz für Bildung und Kultur im Sinne von Freiheit, passt zur Jahreslosung 2025: „Prüft alles und behaltet das Gute!“ Ein denkwürdiges Motto für eine Kirchengemeinschaft: Denn prüfen bedeutet nicht nur glauben, sondern Freiheit auch im Denken.

Den Festgottesdienst zelebrierten mit Bischof Guib: Bischofsvikar Dr. Daniel Zikeli (Bukarest), Pfarrer Danielis Mare (Zeiden) und Dechant Pfarrer Alfred Dahinten (Mühlbach), der in seiner Predigt anhand des Grimm-Märchens „Der Fischer und seine Frau“ vor Augen führte, was Segen ganz gewiss nicht ist: das Überfrachten des Lebens mit materiellen Wünschen – oder frei nach Sören Kierkegaard: „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“

Unter 252 Lutherrosen der hölzernen Kassettendecke, vor dem neugotischen Altar aus dem Jahr 1903, murmeln Hunderte Seelen gemeinsam mit Pfarrer Daniel Zikeli das Nizänische Glaubensbekenntnis, 1700 Jahre nach dem ersten ökumenischen Konzil von Nizäa (325), auf dem Bischöfe aus der ganzen damals christianisierten Welt auf Einladung von Kaiser Konstantin die Grundlagen des noch jungen christlichen Glaubens beschlossen.

Den Abschluss des Festgottesdienstes krönte eine Musikmeditation von Organist Klaus Dieter Untch auf der prachtvollen Orgel von Johannes Prause aus dem Jahr 1783. Die Kirchenführung von Mihai Catargiu und Klaus Dieter Untch verpassen leider jene, die der nachmittäglichen Festveranstaltung im Kulturhaus beiwohnen wollen. Dabei lohnt sich ein Detailblick auf das interessante Gotteshaus, das sich in der Kirchenburg mit dem größten Durchmesser im Burzenland befindet.

Identität und Interkulturalität erleben

Farbenprächtiger Trachtenzug durch das Zentrum ...
Farbenprächtiger Trachtenzug durch das Zentrum von Zeiden. Foto: Heike Mai-Lehni
„Glaubet an das Licht, auf dass ihr des Lichtes Kinder seid“ – wie passend der Spruch über der Kirchentür, durch die die Menschen nach draußen strömten – hinein in die strahlende Herbstsonne! Die Tanz-, Musik- und Trachtengruppen defilieren danach stolz durch das Zentrum des Städtchens, das für zwei Tage wieder den Siebenbürger Sachsen gehörte. Aus Bistritz, Sächisch-Regen, Hermannstadt, Schäßburg und Deutschland waren sie angereist, zeigten ihre Fahnen, zeigten, wer sie sind – oder wen sie repräsentieren, denn unter ihnen sind viele Rumänen, die deutsche Schulen besuchen und mit Freude die deutsche Kultur mitfeiern. Auch das ist Freiheit! Interkulturalität erleben.

Passanten wunken, Besucher knipsten, Herzen floen ihnen entgegen vor dem großen roten Herzen, das als „O“ im heutigen Ortsnamen, Codlea, figuriert.

Die vielen Gesichter der Freiheit

Freiheit zeigt sich in vielen Facetten. Diese einzufangen versuchte Benjamin Jozsa, Geschäftsführer des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), als Moderator der Podiumsdiskussion zum Motto des Sachsentreffens. Auf der Bühne diskutieren: Radu Nebert, Rainer Lehni, I.E. Angela Ganninger, Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland, DFDR-Vorsitzender Dr. Paul-Jürgen Porr, Wiebke Oeser, deutsche Konsulin in Hermannstadt, Ilse Welther, die Vorsitzende des HOG-Verbandes, und Konsulent Manfred Schuller, Bundesobmann der Siebenbürger Sachsen in Österreich.

„Früher war Freiheit eine Nische – Familie, Freunde“, hob Dr. Porr an, der rund ein „halbes Leben in Unfreiheit“ verbringen musste. „Man durfte frei denken – aber was nütze es einem, wenn dem nicht die Freiheit des Handelns folgen konnte“, philosophiert er. Wer hätte gedacht, dass die Freiheit einmal wieder gefährdet sein könnte – durch antidemokratische Kräfte im Parlament. „Freiheit ist ein Gut, das durch Gebrauch wächst, durch Nichtgebrauch dahinschwindet“, zitierte er warnend den deutschen Physiker und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker.

An die Folgen der Unfreiheit erinnerte sich Rainer Lehni, der kurz vor der Wende im März 1989 – noch ahnungslos – mit seiner Familie ausgewandert war, zugegeben, mit Tränen in den Augen, bekannte er. In Deutschland musste er erstmal lernen, mit Freiheit umzugehen: einen gut gefüllten Laden zu betreten. Die Meinung zu sagen. Doch „man lernt die Vorteile der Freiheit schnell schätzen“, sagte Lehni.

An die Freiheit, zu gehen oder zu bleiben, erinnert sich Benjamin Jozsa. Er ist einer der Hiergebliebenen – jenen, denen die Ausgewanderten gelegentlich süffisant den Spitznamen „Zurückgebliebene“ verpassen. Sein ganz persönliches Aha-Erlebnis hatte er jedoch im Kreise gleichaltriger, ausgewanderter Männer, die im Gespräch miteinander beklagten, wieviel ihnen die Auswanderung genommen hatte …

Ilse Welther verglich als ehemalige Leistungssport-Handballerin Mentalitätsunterschiede der Trainer, die sich z.B. in unterschiedlichen Disziplinarstrafen manifestierten.

Manfred Schuller (Jahrgang 1962) erlebte die Auswanderung der meisten seiner Landsleute 1944 nach Österreich nicht. Auf die Frage, was seine Eltern über Unfreiheit erzählten, schockierte er mit der Antwort: „Gar nichts! Deswegen hinken wir ja mit der Aufarbeitung der Geschichte so hinten nach …“

Ehre, wem Ehre gebührt ...

Verleihung der Honterusmedaille an Dr. Harald ...
Verleihung der Honterusmedaille an Dr. Harald Roth (Mitte) durch Radu Nebert und Bischof Reinhart Guib (rechts). Foto: Rainer Lehni
Inzwischen hat sich die Kluft zwischen den Ausgewanderten und Hiergebliebenen geschlossen. Was zählt, ist die Gemeinsamkeit. Für besondere Verdienste um den Zusammenhalt und die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen wird auf dem Sachsentreffen jedes Jahr die Honterusmedaille verliehen – diesmal an den Osteuropa-Historiker Dr. Harald Roth, geboren in Schäßburg, seit 2008 Direktor des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Potsdam. Die humorige Laudatio hielt Benjamin Jozsa, der gestand, dass er „Gott über die Schulter zu schauen“ versuchte, um zu sehen, wie ein Historiker gemacht wird, denn der „Geehrte mag Aufhebens um seine Person überhaupt nicht“ – „stiefmütterlichste Voraussetzungen für eine Laudatio“. „Man nehme also: ein gesundes Mannsbild und blase ihm ein: Respekt vor historischen Quellen und dem Geschriebenen im Allgemeinen, eine enge Freundschaft zu Büchern … und die Liebe zur Heimat, auch wenn Zeitläufe die geographische Ferne zur Heimat mitbrachten. Man gebe eine kräftige Prise trockenen Humors dazu, der dazu führt, dass man Merkwürdigkeiten der Archive, Staats- oder andere, mit Gelassenheit erträgt.“ Heraus kommt eine Vita, bei der die Ehrungen nicht ausbleiben: „Außer der heutigen Honterus-Medaille ist Harald Roth Träger des Ernst-Habermann-Preises, des Georg-Dehio Förderpreises und des Siebenbürgisch-Sächsischen Ehrenpreises. Doch die Ehrung, die dem mit-Herz-und-Seele-Kronstädter wohl am meisten bedeutet hat, war sicherlich die Ehrenbürgerschaft der Stadt Kronstadt im Jahr 2011.“

Siebenbürgisch-Sächsischer Jugendpreis für ...
Siebenbürgisch-Sächsischer Jugendpreis für Winfried Ziegler (Mitte), überreicht von Manuel Krafft und Andrea Rost. Foto: Rainer Lehni
Die zweite Ehrung versteckte sich im Programm hinter einer „Retrospektive der siebenbürgisch-sächsischen Jugendvereine“. Wie sonst konnte es gelingen, den Mitorganisator höchstpersönlich zu überraschen! Andrea Rost, stellvertretende Vorsitzende des Siebenbürgenforums, macht es sichtlich Vergnügen, dem völlig überrumpelten Winfried Ziegler den Siebenbürgisch-Sächsischen Jugendpreis 2025 ans Revers zu heften, Würdigung seines Einsatzes beim Aufbau der Jugendarbeit im deutschen Forum. Seit seiner eigenen Schulzeit ist „Winfried Ziegler Ratgeber und Anlaufstelle für junge Menschen“, so Rost. Der früher bereits bestehende Jugendpreis wird ab diesem Jahr gemeinsam vom Deutschen Jugendverein Siebenbürgen (DJVS) und der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend in Deutschland (SJD) vergeben.

Vom Historikerstreit zum Wunderkreis

Während die Historiker Harald Roth und Thomas Şindilariu noch über „Alternative Wahrheiten: 800 Jahre Deutschordensstaat Grußkumanien“ stritten – meisterhaft geschauspielert, mit mehreren Perspektivwechseln, wobei es u.a. um die Frage ging, ob der Deutsche Orden von den Siebenbürger Sachsen vertrieben wurde, die andernfalls ihre Rechte eingebüßt hätten, vielleicht geschickt instrumentalisiert von König Andreas II., Urheber des Ende 1224 ausgestellten sogenannten „Andreanums“, das die Privilegien der Siebenbürger Sachsen verbriefte ..., verpassten wir den Dokumentarfilm von Eduard Schneider zum Großen Sachsentreffen 2024. Ähnlich ging es den Besuchern des Theaterstücks auf Sächsisch, „Droa Frondjerkniecht“ (drei Hochzeitsgesellen) von Hans Lienert, gespielt von der seit 46 Jahren bestehenden Theatergruppe Geretsried. Die Freiheit, sich zu entscheiden, fiel manchmal auch beim Sachsentreffen Zeiden schwer.
Theatergruppe Geretsried führt das Stück „Droa ...
Theatergruppe Geretsried führt das Stück „Droa Frondjerkniecht“ auf.
Krönender Abschluss des Sachsentreffens war der Lauf durch den „Wunderkreis“ – ein alter lokaler Schulbrauch, an den sich manche Teilnehmer noch amüsiert erinnerten. Zum Schulfest, gleichzeitig Kronenfest, liefen die Schüler, angeführt von den Kindergartenkindern mit ihren „Tanten“, im Gänsemarsch durch die in die Erde der Schulfestwiese eingegrabene Spirale, begleitet von den Klängen des Postillion-Marsches. Am Ende gab es für jeden einen Kipfel – daher auch der Spitzname „Kipfelmarsch“. Die Männer aber erwartete eine andere Herausforderung: In der Badehose musste man den Kronenmast erklettern, um von dort oben Hochprozentiges oder Schokolade für die Liebste zu ergattern.
Zum „Kipfelmarsch“ geht man durch den Zeidner ...
Zum „Kipfelmarsch“ geht man durch den Zeidner Wunderkreis. Foto: Heike Mai-Lehni
Klettern muss heute niemand mehr. Doch durch den Wunderkreis drängten sich alle begeistert im Gänsemarsch: Erwachsene, Kinder, Gäste. Lachen, Fröhlichkeit, Knipsen - und riesige, fluffige Kipfel, solange der Vorrat reichte.

Nina May

Schlagwörter: Zeiden, Sachsentreffen 2025, deutsch-rumänische Beziehungen

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  • 30.09.2025, 09:55 Uhr von joh.gross: Vom Flugpionier zum Wunderkreis/35. Sachsentreffen in Zeiden Der Bericht und die herrlichen ... [weiter]

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