8. Juli 2018

In memoriam Erich Bergel: Zwanzig Jahre seit dem Tod des Musikers

Mit einer Reihe von Veranstaltungen – Konzerten, Vorträgen, Filmvorführungen, Funk- und TV-Sendungen – wurde in Rumänien in den Monaten Mai und Juni in einigen Städten wie Klausenburg, Bukarest, Neumarkt am Mieresch und anderen des vor zwanzig Jahren am 3. Mai 1998 in Ruhpolding, Oberbayern, verstorbenen Dirigenten, Musikwissenschaftlers und Hochschullehrers Dr. h.c. mult. Erich Bergel gedacht.
Das dritte Kind des Lehrers Erich Bergel und der Katharina, geb. Truetsch, wurde am 1. Juni 1930 in Rosenau im Burzenland geboren. Die Grundlagen der späteren Laufbahn erhielt Erich Bergel im Elternhaus, danach zwölf Jahre lang als Schüler des Bach-Interpreten und Cembalisten Prof. Kurt Mild. Am Klausenburger Konservatorium studierte er in der Meisterklasse der Dirigentenlegende Prof. Antonin Ciolan. 1959 wurde Bergel, seit kurzem Chefdirigent der Klausenburger Philharmonie, zu sieben Jahren Gefängnis und Zwangsarbeit verurteilt. Grund: Aufführung sakraler Musikwerke – „Die Schöpfung“ von Haydn und „Messias“ von Händel. Nach vorfristiger Haftentlassung (allgemeiner Begnadigung) dank eines spektakulären Vorfalls abermals Chefdirigent der Klausenburger, floh er 1972 aus dem Land, von rumänischen Freunden vor einer neuerlichen Verhaftung gewarnt; Jahre nachher stellte sich anhand der Securitate-Akten heraus, dass ihn eine Intrige bekanntester Dirigentenkollegen in Gefahr gebracht hatte. Seine Karriere im Westen begann er als Generalsmusikdirektor der Nordwestdeutschen Philharmonie in Herford.
Erich Bergel 1981 in Paris bei der Probearbeit ...
Erich Bergel 1981 in Paris bei der Probearbeit mit dem Orchestre National de France: Weihnachtsoratorium von Bach. In der Tageszeitung Le Figaro war nach der Aufführung zu lesen, Erich Bergel habe die Konzertbesucher einen Blick „ins Paradies“ werfen lassen. Foto: Pierre Dominique Favre
Bereits vorher war es Herbert von Karajan mit einem persönlichen Brief an Rumäniens Kulturminister gelungen, Bergel für Dirigate mit den Berliner Philharmonikern vorübergehend aus Rumänien freizubekommen. Die erfolgreichen Konzerte wurden zur Basis der ungewöhnlichen Karriere, die Bergel an „alle Eliteorchester in Europa, Nord- und Südamerika, Japan und Sudafrika“ führte (K. Teutsch). Die in Tokio erscheinende Zeitung The Ahahi nannte ihn „den nächsten großen Dirigenten nach Celibidache“ (19.07.1973), das Ostschweizer Tageblatt sah ihn in der „Tradition der großen Dirigenten von Furtwängler bis Karajan“ (12.08.1989); u.Ä.m. Der Erfolg, mit dem er die Internationalen Jugendfestspiele in Bayreuth 1974-1980 leitete, wurde als „fulminant“ bezeichnet („Das Orchester“, 6/1981).
Nach erschöpfender Dirigententätigkeit mit den ...
Nach erschöpfender Dirigententätigkeit mit den weltweit besten Orchestern suchte Erich Bergel Erholung in sportlichen Bereichen: Hochgebirgstouren in den Rocky Mountains, Kordilleren und Alpen (hier mit Besteigung des Matterhorns, des Monte-Rosa-Massivs u.a.), gemeinsam mit seinem Bruder Hans Bergel Safaris in wenig begangene Landstriche Südafrikas. Bild: Erich Bergel 1984 in der Kalahari-Wüste. Foto: Hans Bergel
Neben der Dirigenten-, dazu der Lehrtätigkeit an der Musikhochschule in Berlin (1979-1989) widmete sich der mit ausnehmender Arbeitsenergie begabte Musiker, beginnend mit den Studienjahren in Klausenburg, der Strukturanalyse des Hauptwerks Johann Sebastian Bachs „Die Kunst der Fuge“, die „der kristalline Mittelpunkt der abendländischen Tonwelt“ genannt wurde. In zwei im Max Brockhaus Verlag in Bonn veröffentlichten Büchern stellte er das „sensationelle“ Ergebnis (so der Philosoph Rainer Bischof, Wien) vor: Bergel hatte die 18 Teile des Werks unwiderlegbar neu geordnet und den Beweis der bis dahin unbekannten „thematischen Bipolarität“ des Werks als „dessen geistigen Kern“ erbracht; er revolutionierte damit die Bach-Forschung in einer substanziellen wie lange umstrittenen Frage. Zudem schuf er eine Fertigstellung des unvollendet auf die Nachwelt gekommenen Werks, in der „jeder Ton aus dessen Gesamtanlage abgeleitet“ ist, so dass er im Gespräch mit Herbert von Karajan sagen konnte: „In meiner Vervollständigung der ‚Kunst der Fuge‘ stammt kein Ton von mir. Ich habe das thematische Material dafür der gesamten ‚Kunst der Fuge‘ entnommen.“ Karajan nannte Bergels Vervollständigung des Bach’schen Werks „epochal“. In Deutschland wurde Erich Bergel nicht heimisch. Er dirigierte hingegen mit Vorzug in den englischsprachigen Ländern – Großbritannien, USA, Kanada, Neuseeland, Australien, Südafrika. Unter seiner Leitung traten die berühmtesten Solisten der Zeit auf: Anne-Sophie Mutter, Isaac Stern, Emil Gilels, Maurice André, Rudolf Buchbinder etc.

Hans Bergel


Literatur
Bergel, Erich: Johann Sebastian Bach. Die Kunst der Fuge. Ihre geistige Grundlage im Zeichen der thematischen Bipolarität, Max Brockhaus Musikverlag, Bonn, 1980
Bergel, Erich: Bachs letzte Fuge. Die „Kunst der Fuge“ – ein zyklisches Werk. Entstehungsgeschichte – Erstausgabe – Ordnungsprinzipien. Max Brockhaus Musikverlag, Bonn, 1985
Bergel, Erich (Hrsg.): Johann Sebastian Bach. Die Kunst der Fuge. Partitur. Max Brockhaus Musikverlag, Bonn, 1996
Bergel, Hans: Erich Bergel. Ein Musikerleben. Persönliche Notizen zur Biographie. GMV Gehann Musik-Verlag, Kludenbach, 2006
Csiky, Boldizsár-Tamás: Erich Bergel. Cronologia concertelor din perioada exilului (1972-1990). Editura Media Musica, Cluj-Napoca/Klausenburg, 2016
Mușat, Gheorghe: Amintirile mele despre Erich Bergel. Mit einem Vorwort von Hans Bergel. Editura Risoprint, Cluj-Napoca/Klausenburg, 2008
Mușat, Gheorghe: Lumini și umbre. Din nou despre Erich Bergel; cu documente preluate din arhiva CNSAS. Mit einem Vorwort von Hans Bergel. Editura Risosprint, Cluj-Napoca/Klausenburg, 2010
Mușat, Gheorghe: Lumini și umbre. Din nou despre Erich Bergel; cu documente preluate din Arhiva CNSAS. Mit einem Vorwort von Hans Bergel, Editura Ecou Transilvan, Cluj-Napoca/ Klausenburg, 2014
Bergel, Hans: Der kristalline Mittelpunkt der abendländischen Tonwelt; Erich Bergel und die ‚Kunst der Fuge‘ in: Blick auf die Welt. Von Menschen, Masken und Mächten, Edition Noack & Block, Berlin, 2017

Schlagwörter: Bergel, Musiker, Dirigent, Todestag, Porträt

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