7. November 2018

Zum Tod des Naturwissenschaftlers Hansgeorg von Killyen

An einem sonnigen Oktoberwochenende kam die Großfamilie zusammen. Wenige Tage später, am 19. Oktober, verstarb ihr „Oberhaupt“ Hansgeorg von Killyen in Freiburg; er wurde 81 Jahre alt. Drei Generationen waren in Bremen zusammengekommen, 25 Menschen, 0 bis 84 Jahre alt. Ich sehe den Baum im Garten von Johanna und Matthias Boehme, unter dem wir saßen: weit ausladend die Äste, zum Himmel ragend, kaum Anzeichen des Herbstes. Und die Wurzeln? Unsichtbar, ein Leben tragend und entfaltend: Siebenbürgen, Kronstadt, Familie. „Blätter und Blüten fallen, aber die Wurzeln liefern immer wieder neue Energie für unser individuelles und kollektives Sosein“, so hatte Hansgeorg Killyen das selbst 2007 in seiner Quellenrede zum Honterusfest ausgedrückt.
Der Beginn seines individuellen Seins fiel in eine wahrlich gefährdete Zeit: Geboren am 2. August 1937 in ein Kronstadt des Umbruchs, gehalten von der spürbar schützenden Kraft der Familie. Die Eltern, Clotilde und Franz, beide Lehrer, die sich der Bedeutung dieses Berufes und der damit verbundenen Verantwortung für die Gemeinschaft durchaus bewusst waren: Wissen aneignen, nachforschen, Wissen vermitteln war ihre hohe Aufgabe, vermitteln an eine Gemeinschaft, die um ihre kulturelle Identität ringen musste. Das alles bekamen Hansgeorg und seine drei Schwestern als Kinder im Elternhaus mit.

Die ersten Lebensringe wuchsen so schnell: zehn Jahre Gymnasium, vier Jahre Universität, mit 22 Lehrer für Biologie und Geographie in der Burzenländer Gemeinde Tartlau. Natur den Jugendlichen nahezubringen bot sich in dieser schönen Landschaft geradezu an. Bald kam auch seine Frau, die aus Mediasch stammende Ingeborg, geb. Schuster in diese Gegend; sie wirkte zunächst als Landärztin, bald aber als Neurologin mit wissenschaftlichen Kontakten über die Grenzen des Landes hinaus. Wissenschaftlich arbeitete auch Hansgeorg ab 1964 als Schulrat für Biologie und Didaktik der Biologie am Institut für Lehrerfortbildung und ab 1978 an der Kronstädter Universität, und das nahe der Unterrichtspraxis junger Lehrer, für deren Qualität er sich durchaus verantwortlich fühlte. Ein Lehrbuch für Ökologie aus seiner Feder zeugt davon.
Oberstudienrat i.R. Hansgeorg von Killyen (1937 ...
Oberstudienrat i.R. Hansgeorg von Killyen (1937-2018)
Aber auch die Familienzweige vermehrten und verästelten sich in dieser Zeit: Durch die Heirat der Schwestern kamen drei gewichtige bekannte Kronstädter Familien dazu: Danek, Adleff, Tontsch. Die „große“ Schwester Marianne wurde zur fördernden Mutter der nächsten Generation, auch für die beiden Söhne von Ingeborg und Hansgeorg, Johannes und Mathias: Naturnähe, Bildungshunger, Musikvermittlung stehen dabei im Mittelpunkt. Die mittlere Schwester Ilse ist für kurze Zeit Lehrerkollegin am Honterus-Gymnasium, die jüngste, Brigitte, wirkt im fernen Klausenburg am germanistischen Lehrstuhl. Doch dann müssen auch sie sich alle den Veränderungen im politischen Umfeld stellen und beschließen, in die Bundesrepublik auszureisen. Die Eltern waren vorausgegangen.

Im Herbst 1980 kam Hansgeorg als Spätaussiedler nach Deutschland: mit 43 ein Neustart mit vielen Glücksfaktoren. Ingeborg konnte als Neurologin in der Klinik in Emmendingen und bald in Lahr beginnen. Und dieses Lahr sollte sich in vielerlei Hinsicht als idealer Ausgangspunkt erweisen: Das Max-Planck Gymnasium wird Wirkungsstätte für den späteren Oberstudienrat Hansgeorg und Bildungsstätte für seine Söhne. Bald singt die Familie im Kirchenchor mit und knüpft eine Reihe neuer Freundschaften. Von Lahr ist auch Gundelsheim nicht ganz weit weg, Hansgeorg wird Mitglied des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, übernimmt die Schriftleitung in der Sektion Naturkunde, arbeitet und veröffentlicht aber auch im Bereich Schul- und Medizingeschichte. Hervorzuheben ist dabei, unter vielen anderen, die Zusammenarbeit mit dem Ehepaar Eckbert und Erika Schneider sowie Robert Offner.

Das Band, das Hansgeorg an die alte Heimat knüpft, bleibt aber bestehen: 1990 wird er Mitbegründer der Heimatortsgemeinschaft Kronstadt. Gerade in der Wendezeit regt er Hilfslieferungen an; seine Söhne unterstützen ihn dabei tatkräftig: Mathias als angehender Arzt, Johannes als Kenner der musikalischen Traditionen der Siebenbürger Sachsen. Unvergessen dabei die bereits erwähnte Quellenrede von Hansgeorg von 2007, aber auch seine Ansprache in der Redoute beim Sachsentreffen 2011 in Kronstadt. Eine weitere Möglichkeit, alte und neue Kultur zu entfalten: Löwenstein ist auch nicht weit von Lahr. Johannes organisiert jährlich die Woche für südosteuropäische Musik, sie wird auch Treffpunkt der Familie – vor allem für den musikalisch begabten Teil, und da kommt schon die Enkelgeneration ins Spiel. Zu den eignen fünf kommen noch die zehn der Geschwister.

Lahr ist aber auch nicht weit von Freiburg. Und da gibt es einen Kreis um den, der Menschen gleicher Gesinnung um sich zu scharen verstand: Werner Knall. Der von ihm initiierte Literaturkreis regt an, sich mit altem und neuem Geistesgut auseinanderzusetzen. Es versammeln sich da neben Siebenbürgern auch „Alt-Eingesessene“, der Blickwinkel weitet sich, wird europäisch. Ingeborg war immer dabei. Einige Zeit nach ihrem Tod 2007 entschloss sich Hansgeorg, das Haus im Lahrer Stadtteil Reichenbach aufzugeben. Es war viele Jahre hindurch Treffpunkt für Familie und Freunde gewesen, Quellpunkt lebendiger Gespräche, Ort für Feste und gute Begegnungen. Nun zog es ihn nach Freiburg. Auch das ein Neuanfang. Doch das Schicksal meinte es wieder gut mit unserem Bruder. In Anne Gertrud Kiefer fand er im tieferen Sinne des Wortes eine Lebensgefährtin. Es war nicht nur das rege Interesse an allem Schönen, die Bindung an Kirche und Religion, die die beiden verband, es war vor allem der hohe Stellenwert der Familie, der Kinder und Enkel. Bis zuletzt reisten sie durch die Länder des Kontinents, um mit den einen oder anderen Mitgliedern der Familie zusammen zu sein. Weltläufig könnte man das nennen, unser Hansgeorg wuchs so im Laufe der Jahre vom Kronstädter zum Europäer.

O stört sie nicht, die Feier der Natur!, heißt es in dem Gedicht Herbstbild von Friedrich Hebbel, das anfangs schon anklang. Dies ist die Lese, die sie selber hält, Denn heute löst sich von den Zweigen nur, Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt. - Ja, es ist eine Feier, die uns im Gedenken an Hansgeorg von Killyen vereint, eine Trauerfeier für die Familie, für die Freunde, für die Gemeinschaft der Siebenbürger. Und dennoch fallen raschelnd fern und nah, die schönen Früchte ab von jedem Baum. Die Früchte seines Tuns mögen auf möglichst fruchtbaren Boden fallen, sei das in der Forschung, sei es im Einsatz für Freunde, für die Gemeinschaft. Unter dem großen Baum im herbstlichen Garten in Bremen konnten wir diese schönen Früchte als Familie greifen, an einem sonnigen Oktobertag: Dies ist eine Herbsttag, wie ich keinen sah.

Brigitte Stamm, geb. von Killyen

Schlagwörter: Nachruf, Naturwissenschaften, AKSL, Pädagoge, Kronstadt, Lahr, Freiburg

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