6. Juni 2020

Neue Bucherscheinung zu Hans Bergels Leben und Werk

Hans Bergel feiert im Juli dieses Jahres seinen 95. Geburtstag. Während der Schriftsteller in Arbeit vertieft ist und den dritten Band seiner Roman-Trilogie „Finale“ verfasst (Band I „Wenn die Adler kommen“, 1996; Band II „Die Wiederkehr der Wölfe“, 2006), erscheint pünktlich zu seinem Ehrentag eine von Gheorghe Mușat herausgegebene Sammlung von Texten in rumänischer Sprache über Leben und Werk des Jubilars. Der Titel des in Klausenburg publizierten Bands lautet „Arcadă germano-română. Scriitorul Hans Bergel“ („Deutsch-rumänische Arkade. Der Schriftsteller Hans Bergel“).
In siebenbürgisch-sächsischen Kreisen muss Hans Bergel wohl kaum noch vorgestellt werden. Sein Werk (mehr als 50 Bücher) und Wirken sind bekannt, die Eckdaten seiner Vita – die sich mindestens so spannend wie jene seiner Romanfiguren lesen – sind geläufig. Doch obwohl Bergel „überall als Persönlichkeit europäischen Rangs anerkannt“ wird und zudem zwölf seiner Bücher auch in rumänischen Ausgaben erschienen sind, sei er „in seinem Herkunftsland weniger zur Kenntnis genommen“ – so motiviert Gheorghe Mușat die Herausgabe des Buchs, das eben diese Lücke für das rumänischsprachige Publikum schließen soll. Mușat selbst sieht sich dabei lediglich als „Dokumentarist, der die Buchkapitel sprechen lässt“ (S. 241).

Das Buch ist informativ und vielseitig, verfügt zudem über ein anspruchsvolles Design und zahlreiche Illustrationen, bleibt aber trotz der Fülle an aufgegriffenen thematischen Aspekten und Textgattungen zugänglich und gut lesbar. Es nimmt Lebensabschnitte des Schriftstellers unter die Lupe – neben dem Schulausschluss wegen antinationalsozialistischer Stellungnahme, dem Engagement für den antikommunistischen Widerstand in Rumänien, dem Wirken als Leistungssportler, Kulturredakteur und Cellist sowie der Publizistik im Zeichen der Menschenrechte in Deutschland werden insbesondere der Schriftstellerprozess von 1959 und die dreifache Haft Bergels in kommunistischen Gefängnissen beleuchtet und in ihren historisch-politischen Kontext gesetzt, was gerade für die rumänischsprachige Leserschaft aufschlussreich sein dürfte. Weitere Buchkapitel stellen Werke vor, befassen sich mit wichtigen Themen des Bergelschen Œuvres und mit Facetten dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit. Das Buch umfasst Werkauszüge von Hans Bergel in rumänischer Übersetzung (fünf Gedichte, ein Kapitel aus „Die Wiederkehr der Wölfe“ sowie die Texte „Dunia, die Herrin“ und „Der Schwarze Fürst“), Kritiken (eine hervorragende Buchbesprechung von Adrian Lesenciuc von 2017), Interviews des Schriftstellers mit Mihaela Malea Stroe, Cornel Nistea und Daniel Drăgan sowie Korrespondenz mit Ana Blandiana und Gheorghe Mușat.

Letzterer ist weder Literaturwissenschaftler noch Historiker und auch kein Spezialist für siebenbürgisch-sächsische Kultur und Geschichte – und vielleicht gerade deshalb ist sein Blick so persönlich und direkt, seine Auseinandersetzung mit der Materie so ehrlich und rührend. Mușat war Gründungsmitglied (1955) und 40 Jahre lang Solotrompeter des Klausenburger Philharmonischen Orchesters „Transilvania“, gründete mehrere kammermusikalische Ensembles, leitete die Kammermusik-Meisterklasse für Blechbläser im Rahmen der Bayreuther Festspiele und war in enger Freundschaft mit dem Dirigenten Erich Bergel – dem 1998 verstorbenen Bruder Hans Bergels – verbunden, den er in zwei Büchern gewürdigt hat („Amintirile mele despre Erich Bergel“/„Meine Erinnerungen an Erich Bergel“, 2007, und „Lumini și umbre“/„Licht und Schatten“, 2010).

Dank Erich Bergel lernte Mușat schließlich Hans Bergel kennen und schätzen. Er beschreibt den Schriftsteller als Wanderer zwischen den Kulturen, der seinen „Wurzeln in Rumänien“ jedoch stets verbunden geblieben sei, dabei „nicht nur als ein wortgewandter und unermüdlicher Verteidiger der Deutschen Siebenbürgens, sondern auch als ihr unerbittlicher Kritiker“ (S. 40) agiert habe. Mușat hebt insbesondere Bergels „doppelte – deutsche und rumänische – literarische Zugehörigkeit“ (S. 16) hervor sowie sein stetes Engagement zur Überwindung nationalistischer Ressentiments (nicht nur) in seinem Herkunftsland.
2012 vergab der Rumänische Schriftstellerverband, ...
2012 vergab der Rumänische Schriftstellerverband, Filiale Kronstadt, erstmals die Auszeichnung „Der Schriftsteller Kronstadts“. Hans Bergel empfängt den Preis von Kronstadts Bürgermeister George Scripcaru. Zu seiner Linken: Doru Munteanu, damals Vorsitzender des Kronstädter Schriftstellerverbandes. Foto: Christine Chiriac
Das Porträt des Gewürdigten wird in weiteren sehr lesenswerten Überblickstexten vervollständigt, etwa im Vorwort von Wilfried Schreiber, wo der Schriftsteller als „europäischer Autor von außergewöhnlicher narrativer Kraft“ (S. 12) sowie als „interessanter, geschätzter, aber auch unbequemer und umstrittener Mensch, vor allem ein Symbol des Willens und der Geradlinigkeit“ (S. 11) im Fokus steht. In einem 2002 erstmals erschienenen Text skizziert Udo Peter Wagner eine Übersicht über Bergels schriftstellerisches Werk, betont aber auch Aspekte der Persönlichkeit, die „verliebt [ist] in die Welt mit ihren tausend Erscheinungsformen“ (S. 23) und sich „nie damit zufriedengegeben [hat], das Leben aus einer reaktiven Warte zu leben“ (S. 20). Schließlich würdigt Dieter Roth den Menschen hinter dem Schriftsteller mit seinem „prüfenden Blick“ (S.85) und seiner unerreichbaren Schaffenskraft. Informativ ist auch der von Gheorghe Mușat verfasste historische (und persönliche) Überblick über den rumänischen Kommunismus, der insbesondere die Beseitigung der Eliten, die Zerstörung der Freiheit und des geistigen Lebens sowie die allgemeine Degradierung der Menschen bis hin zur physischen und psychischen Vernichtung in Gefängnissen wie jene in Pitești, Aiud oder Gherla beleuchtet. In diesem Kontext werden das Schicksal der Siebenbürger Sachsen beziehungsweise exemplarisch jenes der Familie Bergel sowie die Haftstrafen Bergels und anderer Schriftsteller in Gefängnissen und Arbeitslagern wie Jilava und Baia Sprie anschaulich dargestellt.

Weitere Texte befassen sich mit wiederkehrenden Themen im Werk von Hans Bergel, etwa mit Siebenbürgen als multiethnischem Raum, der gerade aufgrund seiner „peripheren“ Lage an den Grenzen großer Imperien besonders vielfältig, reich an Nuancen, lebendig und genuin europäisch war und bleibt (S. 64). Oder mit der von Bergel wiederholt zur Sprache und zu Papier gebrachten Aversion gegen jegliche Ideologie, auch gegen verkannte Ideologien der Jetztzeit, die gerade deshalb so machtvoll sind, weil sie sich als selbstverständlich präsentieren (S.173, S. 193-204).

Hans Bergel kommt im Buch auch selbst zu Wort. So erläutert er die Einflüsse der rumänischen Kultur auf sein literarisches Werk und das Vorkommen des Rumänischen in seinen Büchern nicht als Kulisse, sondern als intrinsischer Bestandteil. Er schreibt über die Selbstverständlichkeit der zwischenmenschlichen und kulturellen deutsch-rumänischen Begegnungen im 20. Jahrhundert trotz der oftmals spaltenden Politik und über die „europäischen Wurzeln“ beider Kulturen (S. 62). „Jenseits unserer jeweiligen nationalen Sprache“ – so Bergel – „sprechen wir die europäische Muttersprache eines gemeinsamen spirituellen Empfindens“ (S. 63). In seiner Ansprache bei der Verleihung des Ehrendoktortitels der Universität Bukarest im Jahr 2000, die hier ebenfalls abgedruckt ist, befasst er sich mit seiner persönlichen „doppelten kulturellen Zugehörigkeit“ (S. 79) und stellt fest, dass es keine spezifisch „rumänische“ oder „deutsche“ Dichtung geben kann, sondern nur eine „europäische Dichtung, die gelungen oder misslungen, inspiriert oder uninspiriert ist“ (S. 63). In diesem Sinne ist die von Gheorghe Mușat herausgegebene Textsammlung auch eine willkommene Brücke zwischen den beiden Kulturen.

Christine Chiriac

Gheorghe Mușat, „Arcadă germano-română. Scriitorul Hans Bergel” („Deutsch-rumänische Arkade. Der Schriftsteller Hans Bergel“), Vorwort Wilfried Schreiber, Verlag Ecou Transilvan, Klausenburg, 2020, 284 Seiten, Farbabb., geb., ISBN 978-606-730-632-3. Internet: www.edituraecou.ro, E-Mail: office[ät]edituraecou.ro, Telefon: (0040-745) 828755, (0040-364) 730441.

Schlagwörter: Hans Bergel, Buch, Buchbesprechung, Porträt, Schriftsteller

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