16. März 2021

Mehr als ein Bericht: Susanne Thrull veröffentlicht Familienchronik „Kleine Erde, Hermannstadt“

Mit ein wenig Verspätung soll hier auf ein Buch hingewiesen werden, das sich auch jetzt noch, beinahe zwei Jahre nach seinem Erscheinen im Schiller Verlag Bonn/Hermannstadt 2019, auf jeden Fall zu lesen lohnt. „Kleine Erde, Hermannstadt – Bericht über eine Zeit, die es gegeben hat“ ist der Titel, den Susanne Thrull in aller Bescheidenheit ihrem Werk zugedacht hat, dem vielmehr aufgrund seiner Vielschichtigkeit durch zugrundeliegende Recherche und Vertiefung der Lebensgeschichte des Laborarztes im Ruhestand Ralf Thrull und ihrer Verwurzelung mit Hermannstadt, den ethnographischen Zusammenhängen, die Bezeichnung Familienchronik oder Biografie zusteht.
Susanne Thrull, die aus Norddeutschland stammende Ehefrau von Ralf Thrull, dem gebürtigen Hermannstädter, begleitet dessen Reise der Identitätssuche und -findung nach Hermannstadt, zur Kleinen Erde, wo er geboren ist. Sie öffnet dem Leser nicht nur das Tor zu einer wiederentdeckten Heimatstätte, sondern erschließt ihm die Lebensgeschichte einer ganzen Familie, mit Blick auf alle mit ihr verbundenen Zeitebenen des siebenbürgisch-sächsischen Lebens. Inmitten dieser weitverzweigten Familie, deren Dokumentation auch anhand einer Stammbaumtafel gegeben ist, lernen wir Ralf Thrull durch die interessierte und einfühlsame Schilderung seiner zuerst auf Hermannstadt neugierig und zunehmend davon faszinierten Frau kennen. Es ist eine Empathie der Verbundenheit, die Susanne Thrull dem Vorhaben ihres Mannes gegenüber durchblicken lässt, ein verständnisvolles und mit Ehrfurcht gesehenes Hineinwachsen in eine neue Lebensperspektive, die sie sich nach drei Jahren gemeinsamen Durchhaltens gegen alle Widrig- und Schwierigkeiten erworben haben.

Die geplante Bildungsrundreise nach Hermannstadt und Siebenbürgen bildet den Anlass und den Anfang des Heimatbesuchs, während ihre Durchführung den Abschluss der Biografie bildet; sie umrahmt somit als letztendliche Einheit die Lebensgeschichte, in der es ziemlich rund geht, anti-chronologisch zwischen Gegenwart und Vergangenheit wechselnd, zwischen lebendig erzähltem Erlebnisbericht aus Kindheit und Schulzeit und langatmiger Beschreibung der Umbau- und Renovierungsarbeiten des für die Familie Thrull erworbenen Hauses auf der Kleinen Erde.

Angesprochen werden nicht nur diejenigen, die ein ähnliches Schicksal aufzeigen können und sich in ihren eigenen Lebenswegen, Erlebnissen, Unsicherheiten, Zweifeln und Schwierigkeitsbewältigung bestätigt fühlen, sondern das Buch ist auch für Nicht-Siebenbürger interessant, die darin sehr viel erfahren können über die Historie dieser ethnischen Volksgruppe, ihre Anfänge, ihre Bestimmung und Abhängigkeit im Gesamtbild der geschichtlichen Entwicklung eines Landes, das mit ihnen zusammen durch so viele und unterschiedliche Veränderungen gegangen ist und sie mitbestimmt hat.

Die Lebensspannung, die sich durch das aufwendige Heimatprojekt ergibt, findet in Susanne Thrulls Buch ihren entsprechenden Ausdruck in der Mischung von Kapiteln über Gegenwart und Vergangenheit, den etwas ungewöhnlich anmutenden Sprüngen zwischen den Zeitebenen, was aber beim genaueren Hinsehen eine situationsgerechte und interessante Lesespannung erzeugt und die Detailversessenheit, sowohl bei der Schilderung von Recherchen zur Ahnenforschung als auch von einigen bautechnisch sehr ausführlichen Abschnitten vorteilhaft schmälert. Die langatmigen Abschnitte der Baustellenarbeitsbeschreibung, die genau genommen sachliche Ratgeber zum Heimwerkeln sein könnten, werden rechtzeitig durch unterhaltsam erzählte Erlebnismomente abgelöst.

Die Autorin bedient sich auch sprachlich angenehmer Abwechslung; humorvoll einerseits versetzt sie den Leser in die Zeit der Schulausflüge und Jungenstreiche, ironisch bis sarkastisch andererseits werden einige Zu- und Missstände in die Mangel genommen, jedoch nur um zu zeigen, mit welcher Geduld und Beharrlichkeit das gesetzte Ziel erreicht wird. Den einschneidenden Meilensteinen im Leben der Thrull-Familie, wie Deportation, Enteignung, Auswanderung wird entsprechende Beachtung zugemessen, jedoch wird nicht versäumt, auf die Bedeutung der menschlichen Verbundenheit als Merkmal der siebenbürgischen Lebensart durch Beschreibung von Festen, Bräuchen und geselligem Zusammenleben hinzuweisen, für die die Autorin die Begeisterung teilt. Sogar auf die schmackhaften siebenbürgischen Speisen wird nachdrücklich hingewiesen, ausdrücklich hingegen auf bestimmte Redewendungen, Bezeichnungen oder Wortgebrauch. Gleichermaßen ist sie von der Ausstrahlung „unserer Haupt- und Hermannstadt” gefangen, und anhand ihrer genauen Beschreibung zeichnet sie die schönen Bilder der Altstadt, ihrer Sehenswürdigkeiten, füllt ihre Straßen mit nostalgischen Erinnerungen an vergangene Zeiten. Und um diese Stadt, mit ihrer reizvollen Umgebung, thront die wunderschöne Bergkulisse, die sich zum Greifen nahe abhebt.

Die Gegensätze der Lebensperspektiven zwischen Norddeutschland und Siebenbürgen werden in einer harmonischen Verknüpfung aufgelöst, und das neue Zuhause, dessen Erschaffung sich entgegen aller Schwierigkeiten und Hindernisse, von den Anfängen bis zur Vollendung, wie ein roter Faden durch dieses Buch zieht, steht für die Anerkennung einer selbst gestellten, beinahe beispielhaften Lebensaufgabe, mit dem Ziel und der Aussage, das erreichen zu können, was so oft am Anfang unmöglich erscheint: Das Tor zur Kleinen (Heimat-)Erde öffnet sich nicht leicht und nicht gleich, doch Geduld, ein starker Wille und Beharrlichkeit verschmelzen zu seinem Schlüssel und zur Idee eines mit dem Herzen angestrebten Erfolgs.

Brigitte Kräch

Susanne Thrull: „Kleine Erde, Hermannstadt. Bericht über eine Zeit, die es gegeben hat“. Schiller Verlag, Hermannstadt/Bonn, 2019, 132 Seiten, 17,50 Euro, ISBN 978-3-946954-65-1.

Schlagwörter: Buch, Hermannstadt, Chronik, Familienchronik, Biographie

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