29. Januar 2023

Mihai Eminescus Studienzeit in Wien

Am 19. Januar fand im Rumänischen Kulturinstitut (RKI) in Wien eine dem rumänischen Nationaldichter Mihau Eminescu gewidmete Gedenkveranstaltung statt, bestehend aus dem Vortrag in deutscher Sprache von Hans Dama „Eminescus Studienzeit in Wien“ und einigen Gedichtübersetzungen Eminescus von Hans Dama, vorgetragen von den Schauspielern des Wiener Pygmalion-Theaters Tino Geirun und Philipp Kaplan.
Jugendbildnis des Dichters Mihai Eminescu, ...
Jugendbildnis des Dichters Mihai Eminescu, aufgenommen im Atelier des Prager Fotografen Jan Toma, 1869. Fotoquelle: Wikipedia Commons
Der Referent Hans Dama, vormals Rumänist am Institut für Romanistik und am Institut für Übersetzer- und Dolmetsch-Ausbildung der Universität Wien, hat sich seit Jahrzehnten intensiv mit Eminescus „Wiener Jahre“ auseinandergesetzt. Im Zuge des Vortrags erfuhr die Hörerschaft von der Ankunft des Dichters im September 1869 in Wien, begleitet von seinem Vater Gheorghe Eminovici, von den Mutter Raluca, Schwester Aglaia sowie dem Bruder Matei. Man reiste auf der Route Czernowitz, Lemberg (Lwow/Lwiw) und Prag, wo auch das bekannte Jugendbildnis des Dichters im Atelier des Prager Fotografen Jan Tomas auf dem Wenzelsplatz entstanden ist.

Der Dichter kommt im September 1869 nicht in irgendeine Stadt: Wien ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, von seiner kulturellen Ausstrahlung her, neben Paris die wohl potenteste Stadt auf dem europäischen Kontinent. Der junge Eminescu war in seinem 19. Lebensjahr. In Wien erlebte er das bunte Treiben rund um die Entstehung der Ringstraße: Die Oper (1869) und die Votivkirche (1871) werden während seines Aufenthaltes fertiggestellt. Parlament, Burgtheater, Rathaus und die neue Universität am Ring sind geplant oder bereits im Bau. In Wien gab es ein Wiedersehen mit ehemaligen Schulkollegen aus Czernowitz und Blaj (Blasendorf): Teodor Nica, Ioan Bechnitz, Al. Chibici-Râvneanu, T. V. Stefanelli, Iancu Cocinşi, Samoil Isopescu, Petru Novleanu. Und auch Ioan Slavici lernte Eminescu durch die Vermittlung der Bekanntschaft des Medizinstudenten Ion Mosanu kennen, eine Freundschaft, die ein Leben lang dauern sollte. Ioan Slavici studierte an der Fakultät für Rechtswissenschaften und erfüllte gleichzeitig „als Soldat des Kaisers“ seinen Militärdienst.

Am 2. Oktober inskribierte Eminescu an der philosophischen Fakultät der Universität Wien als außerordentlicher Hörer und war als solcher berechtigt, Vorlesungen zu besuchen und den Nachweis des Vorlesungsbesuchs in einem Studienbuch (Index lectionum) vermerken zu lassen. Weil er jedoch keine Matura (Abitur) hatte, war er nicht berechtigt, bei Prüfungen anzutreten. So gab sich denn der wissenshungrige junge Mann einem ungezwungenen Studium hin, ohne sich viel um die formale Seite seines Studiums zu kümmern. Laut Matrikeln hatte er nur drei Semester inskribiert: das Wintersemester (WS) 1869/70, das WS 1871/72 und das Sommersemester 1872. Eminescu war also als außerordentlicher Hörer vermerkt, besuchte Lehrveranstaltungen in Philosophie, Geschichte, Recht, aber auch in Anatomie, Finanzwesen, Gerichtsmedizin, romanische Sprachwissenschaft, Biologie u. a. m. So besuchte er auch die Laborversuche des rumänischen Prof. Nicolae Teclu in Chemie.

In Wien gab es damals zwei von seinen rumänischen Studienkollegen gegründete, akademische Gesellschaften: die 1864 gegründete Societatea Literarǎ şi Ştiinţificǎ a Studenţilor Români din Viena (Die literarisch-wissenschaftliche Gesellschaft der rumänischen Studenten in Wien) und die 1867 ins Leben gerufene Societatea Literar-Socialǎ România (Die sozial-literarische Gesellschaft Rumänien).

Eminescu trat am 20. Oktober beiden Gesellschaften bei und gehörte zu den treibenden Kräften, die den Zusammenschluss beider Vereinigungen zu einer einzigen Gesellschaft Societatea Academicǎ Social-Literarǎ România Junǎ bewirkten, was am 8. April 1871 auch tatsächlich verwirklicht werden konnte: Ioan Slavici wurde Präsident, Eminescu Bibliothekar.

Die Hörerschaft erfährt von den in Wien während Eminescus Studienzeit entstandenen Werken: Aus Wien lieferte Eminescu der Budapester Zeitschrift Familia (18/30 im Jänner 1870) den Artikel Teatrul românesc şi repertoriul lui (Das rumänische Theater und sein Repertoire), der in der Ausgabe Nr. 18 vom 30. Januar 1870 veröffentlicht wurde. Der Dichter nahm darin Stellung zum Wesen und zum Funktionieren des rumänischen Theaterlebens, wohl beseelt vom Theatergeschehen Wiens. Dabei schöpfte er aber auch aus seiner eigenen Erfahrung früherer Jahre, als er die rumänische Theaterwelt als Souffleur erleben konnte.

In seinem Artikel plädierte er für die Schaffung eines rumänischen Theaters in Siebenbürgen und stellte diesbezüglich eine Vortragsreihe zusammen, die unter anderem folgende Einzelvorträge beinhaltete: 1. Der nationale Genius (Geniul naţional); 2. Im Sinne des Theaters (În favoarea teatrului); 3. Die Aussprache betreffend (Studiu asupra pronunciei); 4. Das rumänische Vaterland (Patria română); 5. Die Volksdichtung (Poezia populară).

In der Zeitschrift „Albina“ veröffentlichte Eminescu in den Nr. 7/19 und im Januar 9/21 1870 den Beitrag „Eine kritische Schrift“.

Aufgrund der unter dem Pseudonym VARRO in der Zeitschrift „Liberaţiunea“' in Pest veröffentlichten kritischen Beiträgen (wie z. B. am 5./7. April 1870:,,Să facem un congres'', am 10./22. April 1870 ,,În unire e tăria“ und am 22. April/5. Mai 1870 ,,Echilibrul'' ( Veranstalten wir einen Kongress, In der Einheit liegt die Stärke, das Gleichgewicht) geriet der Dichter ins Visier der Geheimpolizei der Doppelmonarchie, Rumäniens und Russlands, ein Zustand, der bis zu seinem Lebensende aufrechterhalten blieb.

Unter den zahlreichen Aufzeichnungen des Dichters fand man auch interessante Theaterprojekte, die jedoch nie einer Verwirklichung zugeführt werden konnten; so den Einakter "Emmi – Amor pierdut – Viaţă pierdută", wobei Emmi als Bezug zum Namen des Dichters selbst verstanden werden könnte. Dieser Einakter fußt nach Aussagen des Dichters auf demselben Motiv wie Alecsandris Gedicht "Emmi".

Außerdem unternahm Eminescu Dramatisierungsversuche der Gedichte "Decebal" und "Înger şi demon"; arbeitete an Projekten mit historischem Hintergrund, wie etwa "Mihai cel Mare", "Petru Rareş"; und "Alexandru-vodă"; Letzteres ist eine dramatisierte Ballade mit zahlreichen Männer- und Frauen-Chören, die Bezug auf die Zeit Alexanders des Guten (Alexandru cel Bun) nimmt.

Reich ist auch die Gedicht-Ernte aus seiner Wiener Studienzeit: an die Zeitschrift CONVORBIRI LITERARE sendet der Dichter VENERE ŞI MADONĂ (Venus und Madonna) und EPIGONII (Die Epigonen). Im Januar 1871 schickte er an die selbe Redaktion MORTUA EST, ÎNGER DE PAZĂ (Schutzengel) und NOAPTEA (Die Nacht).

Bei seiner Rückkehr in die Heimat im September 1872 hat er im Gepäck die Novelle SĂRMANUL DIONIS (Der arme Dionis), Fragmente aus dem umfangreichen Poem „Memento Mori oder Panorama deşertăciunilor etwa: Sei dir der Sterblichkeit bewusst, dann ÎNGER ŞI DEMON (Engel und Dämon) und FLOAREA ALBASTRĂ (Die blaue Blume). Aus der Wiener Zeit stammt auch die erste Variante von ÎMPĂRAT ŞI PROLETAR (Kaiser und Proletarier).

Außerdem ging Hans Dama in seinem Vortrag auf die Wiener Wohnadressen des Dichters ein. Darüber hinaus erfuhren die Zuschauer über das Interesse des Dichters für das reiche Wiener Theaterleben. Vor allem fand man Eminescu oft im Hofburgtheater (heute: Burgtheater). In die Wiener Studienzeit des Dichters fällt auch die Bekanntschaft des Dichters mit Veronica Micle, seiner Freundin auf Lebzeiten, ebenfalls Dichterin und Frau des Prof. Stefan Micle, Rektor der Universität Jassy. Veronica war 1872 zu einer ärztlichen Untersuchung nach Wien gekommen. In der Forschung ist man sich hinsichtlich der ersten Begegnung der beiden uneins. Vieles scheint aber darauf hinzuweisen, dass ihre erste Begegnung in Wien stattgefunden haben könnte.

So schreibt Veronica Micle in ihrem Brief vom 20. August 1879 an Eminescu:

„[…]Als ich Dich in Wien kennenlernte, beeindruckten mich Deine Bescheidenheit und Deine Gabe, lustige Geschichten aus dem Leben der großen Denker zu erzählen, was mir dann auch Respekt eingeflößt hatte. Die sechs Monate, die ich in der österreichischen Hauptstadt verbracht hatte, kamen mir vor wie sechs Tage. Erinnerst Du Dich noch daran, als ich Dir bei Frau Löwenbach, meiner Gastgeberin, zum ersten Mal begegnet bin[…]“

„[...]Cunoscându-te la Viena, modestia şi mai ales darul de a povesti vesele întîmplări din viaţa marilor gînditori m-a făcut să-ţi port respect. Şase luni, cît am stat în capitala austriacă, mi s-au părut şase zile. Îţi aduci aminte cînd te-am cunoscut pentru întîia oară la doamna Löwenbach, gazda mea[...]" (George Sanda, Veronica Micle. Editura Cartea Românească.. Bucuresti 1972, p.29. )

Was damals scheinbar in Wien begonnen hatte, sollte in seiner Einmaligkeit in die Geschichte der rumänischen Literatur eingehen und wird wahrscheinlich über Zeiten noch unzählige Wissenschaftler und Forscher zu beschäftigen und zu begeistern wissen.

Schlagwörter: Eminescu, Dichter, rumänische Literatur

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