24. September 2024

Geheimdienstlich äußerst intensiv ins Visier genommen/Der Dichter und Übersetzer Wolf von Aichelburg

Bereits in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg ist Wolf von Aichelburg (1912–1994), an dessen dreißigsten Todestag am 24. August 1994 diese Zeilen erinnern möchten, mit Gedichten und Essays öffentlich in Erscheinung getreten. Wegen der langen Haft- und Deportationszeiten – aufgrund seines rund zwölfjährigen Freiheitsentzugs dürfte er derjenige siebenbürgisch-deutsche Schriftsteller sein, der am längsten unter den Zwängen der kommunistischen Diktatur in Rumänien gelitten hat – konnte er bis Ende der 1960er Jahre kaum etwas veröffentlichen, obwohl er auch unter prekären Umständen immer wieder geschrieben und übersetzt hatte. Sein erstes Buch, der 1958 bereits ausgedruckte Band mit Erzählungen „Die Ratten von Hameln“, wurde 1959, während sich Aichelburg in Kronstadt in Untersuchungshaft befand, eingezogen und aus Buchhandlungen und öffentlichen Bibliotheken entfernt. Doch Ende der 1960er und in den 1970er Jahren – nun in relativer Freiheit lebend und von den Lockerungen der Zensur profitierend – erschienen in zwangsloser und rascher Folge gleich mehrere der eigenständigen Schriften und Übersetzungen des Autors, was dazu führte, dass er in kürzester Zeit zu den anerkanntesten und beliebtesten Schriftstellern der damals noch recht lebendigen rumäniendeutschen Literatur avancierte.
Günter Grass im Barocksaal des Brukenthal-Museums ...
Günter Grass im Barocksaal des Brukenthal-Museums im Gespräch mit Wolf von ­Aichelburg und Georg Scherg nach seiner Hermannstädter Lesung, 1969 (von links nach rechts). Foto: Horst Buchfelner
Neben den eigenen Gedicht- („Herbergen im Wind“, 1969, „Vergessener Gast“, 1974, „Pontus Euxinus“, 1977) und Prosabänden („Die Ratten von Hameln“, 1969, „Umbrisches Licht“, 1975), dem Sammelband „Lyrik, Dramen, Prosa“ (1971) und dem Essayband „Fingerzeige“ (1974) übersetzte und veröffentlichte Aichelburg in jenen Jahren eine ganze Reihe rumänischer Autoren und Werke, u.a. Vasile Voiculescu, George Bacovia, Mihai Eminescu, Lucian Blaga, Ștefan Augustin Doinaş, Ion Pillat, Radu Stanca. Diese reiche und breit angelegte Übertragungstätigkeit, die bis in die Zeit vor und während des Zweiten Weltkrieges zurückgeht, sicherte ihm nicht nur einen führenden Platz unter den nicht wenigen rumäniendeutschen Übersetzern, sondern führte auch zu zahlreichen Freundschaften mit bedeutenden rumänischen Autoren des 20. Jahrhunderts.

Doch seit etwa Mitte der 1970er Jahre wurde es bereits in Rumänien wieder stiller um ihn und sein Werk, weil das von Aichelburg über Jahrzehnte vertretene und durch seine eigene Dichtung verbreitete Lyrikverständnis, das er in Anlehnung an die herausragenden Vertreter der Jahrhundertwende (Stefan George, Rainer Maria Rilke, Georg Trakl u.a.) entwickelt und das der Moderne in der deutschsprachigen Literatur Rumäniens zum Durchbruch verholfen hatte, von einer jüngeren Generation nicht mehr als zeitgemäß empfunden wurde. Seit Beginn der 1970er Jahre war ein vor allem an Bertolt Brecht angelehntes Lyrikkonzept tonangebend geworden. Anemone Latzina, Franz Hodjak, Richard Wagner, Werner Söllner, Rolf Bossert u.a. bewunderten zwar die vielseitige humanistische Bildung und intellektuelle Unabhängigkeit des Hermannstädter Dichters und Übersetzers, gingen aber auf Distanz zu seiner sozial und politisch indifferenten Kunst- und Literaturauffassung.

Von dem einmal erarbeiteten Literaturmodell ist Aichelburg auch in Deutschland nicht abgerückt, was allerdings zur Folge hatte, dass er in den maßgeblichen Literaturmedien und -foren keine Beachtung fand und bloß in Nischen – u.a. im Kreise seiner ausgewanderten rumäniendeutschen Landsleute und deren Institutionen – intensiver rezipiert wurde.

Von dem Interesse, das nach dem Öffnen der kommunistischen Archive nach 1990 zunächst dem Kronstädter Schriftstellerprozess aus dem Jahre 1959 entgegengebracht wurde und den darauffolgenden intensiven Auseinandersetzungen einiger der in diesen Prozess implizierten Akteure, hat ­Aichelburgs Werk, der sich an den Diskussionen darüber kaum beteiligt hat, auch weil er schon hochbetagt war und 1994 verstarb, nicht sonderlich profitieren können.

Eine Studie, die als umfassendere Untersuchung zur Lebens- und Werkgeschichte des Autors gedacht ist und sich hauptsächlich auf bislang unbekanntes Quellenmaterial stützt, hat der Literaturhistoriker Stefan Sienerth in seinem 2022 im Berliner Verlag Frank & Timme erschienenen Buch „Bespitzelt und bedrängt – verhaftet und verstrickt. Rumäniendeutsche Schriftsteller und Geisteswissenschaftler im Blickfeld der Securitate“ veröffentlicht. Weiter unten werden daraus Passagen übernommen.

Jahrelang im Gefängnis und Straflager

Zu den zeitlich frühesten Zeugnissen, die Eingang in die vom rumänischen kommunistischen Geheimdienst Securitate über Aichelburg angelegten Dossiers – sie umfassen in mehreren Konvoluten Tausende von Seiten – gefunden haben, gehört die Schilderung eines Vorfalles, der sich im Frühherbst 1944, nicht lange nach dem am 23. August erfolgten Austritt Rumäniens aus der Allianz mit Hitlerdeutschland, zugetragen hat. Nachdem Aichelburg seine Arbeitsstelle im Bukarester Propagandaministerium verloren hatte, war er vorsorglich untergetaucht und hatte sich abwechselnd in Bukarest, Hermannstadt und Kronstadt versteckt gehalten. Hierdurch war er nicht nur einer bevorstehenden Verhaftung zuvorgekommen, sondern auch der Deportation in die Sowjetunion entgangen, wohin im Januar 1945 ein beträchtlicher Teil seiner siebenbürgisch-deutschen Landsleute verschleppt worden war.

Allerdings nach etwa einem Jahr, Anfang Oktober 1945, während eines Aufenthaltes bei Freunden in Kronstadt, war Aichelburg der Polizei ins Netz gegangen, die ihn daraufhin in seine Heimatstadt Hermannstadt überstellen wollte, damit er in eines der Arbeitslager eingeliefert werde, die damals für Regimegegner zahlreich errichtet worden waren. Doch bereits am Bahnhof der Ortschaft Stupini, in der Nähe von Kronstadt, konnte Aichelburg den Zug verlassen und weglaufen. Erst ein paar Tage später, nachdem auch die Polizei in Mediasch und Fogarasch alarmiert worden war, wurde er gefasst und ist wohl für ein paar Monate interniert worden.

Bereits drei Jahre später geht aus den Unterlagen der Securitate hervor – zwischendurch hatte er u.a. als Lehrer in Mediasch gearbeitet – versuchte Aichelburg, Rumänien, das sich zunehmend in einen kommunistischen Unrechtsstaat zu wandeln begonnen hatte, illegal zu verlassen. Der Versuch misslang, er wurde ergriffen und kam für vier Jahre wegen gesetzwidrigen Grenzübertritts und Devisenbesitzes ins Gefängnis. Am Ende der Haftzeit (1952) folgten Zwangsaufenthalte in einem Straflager am Schwarzen Meer und in der moldauischen Ortschaft Măicăneşti, wo er vier weitere Jahre verbringen musste.

Im Sommer 1956 durfte Aichelburg seinen Zwangsaufenthaltsort verlassen und nach einer Abwesenheit von fast acht Jahren nach Hermannstadt zurückkehren. Seine Rückkehr muss sich in den rumäniendeutschen Literaten- und Künstlerkreisen bereits vorher herumgesprochen haben, sonst wäre es wahrscheinlich nicht zu dem berühmten, von den Machthabern später übel beleumdeten Treffen im Elternhaus der Schriftstellerin Astrid Connerth-Wiesenmayer gekommen. Wie diese Begegnung stattgefunden hat, ist der Fachliteratur bekannt und literaturgeschichtlich vor allem im von Peter Motzan und mir 1993 herausgegebenen Sammelband „Worte als Gefahr und Gefährdung. Fünf deutsche Schriftsteller vor Gericht (15. September 1959 – Kronstadt/Rumänien)“ recht gut dokumentiert.

Obwohl sich Aichelburg bei diesem Treffen eher schweigsam verhalten hatte, sollte dies die Securitate rund drei Jahre später – als sie, aus Angst vor einem ähnlichen Aufstand in Rumänien wie jenem aus dem Jahre 1956 in Ungarn, Vorsichtsmaßnahmen ergriffen und reelle bzw. potenzielle Gegner des Regimes ins Visier genommen hatte – jedoch nicht davon abhalten, ihn zusammen mit den an jenem Abend sich stärker exponierenden Andreas Birkner und Georg Scherg sowie die in Hermannstadt nicht präsenten, aber dennoch der Gruppe zugeschlagenen Hans Bergel und Harald Siegmund mitzuverhaften. Im Kronstädter Schriftstellerprozess wurde Aichelburg zu 25 Jahren Zwangsarbeit und zu zehn Jahren Aberkennung der bürgerlichen Rechte verurteilt. Aufgrund einer im April 1964 erlassenen Generalamnestie für politische Häftlinge hat er davon rund fünf Jahre absitzen müssen.

Die Zeit nach Aichelburgs Rückkehr aus der zweiten Verbannung bis zu seiner Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland Anfang des Jahres 1981 – eine Zeitspanne von mehr als fünfzehn Jahren – war nicht nur die literarisch produktivste des Schriftstellers, sondern, wie es die über ihn angelegte Securitate-Akte beweist, auch die Phase seines Lebens, in der er geheimdienstlich äußerst intensiv ins Visier genommen wurde.

Nachdem er aus dem Bărăgan nach Hermannstadt zurückgekehrt war, sah sich der nun über fünfzig Jahre alte Autor erneut vor einen Neuanfang gestellt und einer ungewissen Zukunft gegenüber. Wiederum waren es Freunde und Verwandte, bei denen er vorübergehend unterkommen durfte, und es sollten Monate vergehen, bis er in den Alltag zurückfand, Jahre, bis er seinen Lebensunterhalt durch seine künstlerische und publizistische Tätigkeit bestreiten konnte.

Ausreisewunsch reift heran

Verärgert über so viel erlittene Ungerechtigkeit und enttäuscht darüber, dass sich die gesellschaftspolitische Lage im kommunistischen Rumänien auch zwanzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer noch nicht zum Guten zu wenden schien, hegte Aichelburg unmittelbar nach seiner Haftentlassung bloß den Wunsch, dem Land, in dem er aus politischen Gründen so kurz nacheinander zweimal und für längere Zeit unverschuldet inhaftiert worden war, für immer den Rücken zu kehren und in die Bundesrepublik Deutschland, Österreich oder in ein anderes der westlichen Länder, Frankreich zum Beispiel, wo Verwandte und Bekannte von ihm lebten, auszuwandern.

Doch so begründet die Hoffnungen anfänglich schienen, zu einer unmittelbaren Ausreise Aichelburgs ist es nicht gekommen. Ob es damit zusammenhängt, dass er keine nahen Verwandten im westlichen Ausland hatte, die eine vom kommunistischen Staat akzeptierte Familienzusammenführung gerechtfertigt und damit eine Ausreise legitimiert hätten, oder ob der Schriftsteller bewusst die Auswanderung verzögert und verschoben hat, geht aus den Unterlagen nicht eindeutig hervor.

Erfolgreicher Autor

Wahrscheinlich ist es wohl darauf zurückzuführen, dass Aichelburg nach seiner 1968 erfolgten Rehabilitierung nun fast uneingeschränkte Möglichkeiten hatte zu veröffentlichen und dass er von Verlagen und Redaktionen regelrecht bestürmt wurde. Hohe finanzielle Einnahmen sicherten ihm in den endsechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein sorgenfreies Leben in Rumänien, und der Autor erfreute sich künstlerischer und gesellschaftlicher Anerkennung. Aichelburg wurde Mitglied des Rumänischen Schriftstellerverbandes, der ihn 1970 mit dem Übersetzerpreis auszeichnete und ihm eine ansehnliche Rente von 3000 Lei zusicherte, was einem überdurchschnittlichen Monatsgehalt entsprach. Zwei Jahre später verlieh ihm der rumänische Staat den Orden für kulturelle Verdienste II. Klasse.

Beachliches Echo im Ausland

Es sollte nicht allzu viel Zeit vergehen, bis sich zu den Erfolgen im In- auch ein beachtenswertes Echo im Ausland einstellte. Nach der Öffnung Rumäniens zu den Staaten Westeuropas in den ersten Jahren des Ceauşescu-Regimes ergaben sich, sowohl brieflich als auch im bescheideneren Maße durch unmittelbare Kontakte, nähere Beziehungen zu ausländischen Schriftstellern. So intensivierte Aichelburg seine Korrespondenz u.a. mit den Zunft- und Leidensgenossen Andreas Birkner und Hans Bergel, die seit 1966 bzw. 1968 in die Bundesrepublik Deutschland ausgewandert waren. Auch mit westdeutschen und österreichischen Autoren, die in jenen Jahren zunehmend Rumänien besuchten, gab es immer wieder Begegnungen. Beispielsweise beim Besuch der Lesung von Günter Grass in Hermannstadt am 7./8. November 1969 hatte Wolf Aichelburg zusammen mit Georg Scherg Gelegenheit, den bekannten westdeutschen Schriftsteller kurz zu sprechen und dabei auch andere Delegationsmitglieder kennenzulernen, was auch weitere Kontakte zur Folge hatte.

Über Aichelburgs Beziehungen zu ausländischen Schriftstellern und Journalisten war die Securitate alles andere als erfreut. Auf Journalisten aus dem westlichen Ausland und vor allem auf Mitarbeiter akkreditierter ausländischer Botschaften reagierte das Bukarester Regime besonders empfindlich, mitunter nervös und verängstigt. Erblickte es doch in jedem von ihnen verdeckte Auskundschafter eines feindlich gesinnten Geheimdienstes, die in den Augen der Securitate alle nur ein Ziel verfolgten, möglichst viele Informationen im Lande zu sammeln, um sie schädigend gegen Rumänien einsetzen zu können.

Um dem entgegenzuwirken und die Kontrolle über solche Kontakte ausüben zu können, versuchte die Securitate auch zu Aichelburg, unter irgendeinem Vorwand Verbindung aufzunehmen, um über ihn an wichtige Informationen aus der Kulturszene Hermannstadts und Rumäniens heranzukommen, perspektivisch aber auch an solche aus dem Ausland. Längerfristig wollte man ihn als Informellen Mitarbeiter (IM) an die geheimdienstliche Institution binden.

Als IM unzuverläsig

Nach mehreren Anläufen und weil Aichelburg, der bis dahin sowohl Polen als auch Österreich und die Bundesrepublik Deutschland hatte besuchen dürfen und darüber auch die Hermannstädter kommunistische Sicherheitsbehörde detailliert informiert hatte, sehr daran gelegen war, an einer vom 23. August bis 5. September 1975 stattfindenden Großveranstaltung des „Europäischen Forums Alpbach“ in Österreich teilzunehmen, unterzeichnete der Hermannstädter Schriftsteller am 25. Dezember 1974 eine Erklärung („Angajament“), in der er im zeitüblichen, von patriotischen Floskeln strotzenden Behördenjargon seine Bereitschaft zur geheimdienstlichen Mitarbeit bekräftigte. Unter dem Decknamen „Caţavencu“, einer ominösen literarischen Gestalt aus der Komödie „O scrisoare pierdută“ (Der verlorene Liebesbrief, 1884) des bedeutendsten rumänischen Dramatikers Ion Luca Caragiale (1852-1912), die in der Gedächtniskultur der Rumänen den Inbegriff des beschränkten, korrupten und abscheulichen politischen Demagogen verkörpert, lieferte Aichelburg, der seinen neuen Status wohl nur widerwillig akzeptiert und ihn wohl auch als Farce verstanden hat, in den Jahren 1975 und 1976 mehrere, auch sehr lange Berichte an seine geheimdienstlichen Auftraggeber.

Anfänglich sah es so aus, dass unter diesen Umständen Aichelburgs Reiseanliegen problemlos stattgegeben werde, da auch die übergeordnete Zentrale der Sicherheitspolizei in der rumänischen Hauptstadt Bereitschaft signalisiert hatte, das Ansinnen des Schriftstellers zu befürworten. Im Umfeld der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa” (KSZE), deren Schlussakte am 1. August 1975 in Helsinki von – mit Ausnahme Albaniens – allen europäischen Staaten unterzeichnet werden sollte, schien es der Securitate opportun, einen zuverlässigen, mehrerer Sprachen kundigen Beobachter und Berichterstatter bei der Alpbacher Begegnung zu haben. Aus diesen Erwägungen heraus erteilten die Bukarester Offiziere den Kollegen in Hermannstadt ihr Einverständnis, bedingten sich jedoch aus, an der Anleitung, Unterweisung und Vorbereitung des Agenten „Caţavencu“ für den Aufenthalt in Österreich mitzuwirken. Zu einer Begegnung Aichelburgs mit Bukarester Offizieren, geschweige denn zu einer Instruktion im Hinblick auf seine Reise zum Alpbacher Symposium ist es, laut den Unterlagen in seiner Akte, nicht gekommen. Dieser Einladung wie auch weiteren hat er nicht Folge leisten dürfen, und die Welt jenseits der rumänischen Grenzen sollte er ebenfalls erst nach seiner Ausreise Anfang des Jahres 1981 wieder sehen können.

Der Grund liegt an den Ergebnissen aus der strengen Beobachtung und Überwachung ihres neuen Agenten, die die Hermannstädter Zweigstelle der Securitate im Zusammenhang mit seinen geheimdienstlichen Aufträgen und besonders mit seiner anstehenden Reise zu der Tiroler Veranstaltung erzielt hatte. Sie waren aus der Sicht der Behörde alles andere als zufriedenstellend.

Bereits im März 1975, nicht einmal drei Monate nach seiner Aufnahme in den Kreis der Zuträger, hatte Aichelburg eine Begegnung mit Hans Bergel, der auf seiner Dienstfahrt nach Bukarest – er war im eigenen Wagen unterwegs und wurde von der Securitate intensiv observiert – sowohl bei der Hin- als auch bei der Rückfahrt jeweils im Hotel „Römischer Kaiser“ übernachtet und bei dieser Gelegenheit auch seinen langjährigen Freund getroffen hatte. Aichelburg hat diesen Besuch seinem Verbindungsoffizier wohl nicht unmittelbar gemeldet, und auch im Nachhinein – wie es sich bei einem zuverlässigen Agenten gehört hätte – nicht von sich aus darüber berichtet. Das hat die Geheimdienstbehörde ihm sehr übelgenommen und sein Verhalten als unverzeihlichen Vertrauensbruch taxiert. Vor allem dieser Vorfall hatte zur Folge, dass die Akte „Caţavencu“, die am 29. Dezember 1974 eröffnet worden war und Aichelburgs Agententätigkeit dokumentieren sollte, bereits am 6. Mai 1975 zugleich mit seiner geheimdienstlichen Entbindung wieder geschlossen wurde, ohne vorerst den Betroffenen hiervon in Kenntnis zu setzen. Am selben Tag wurde eine neue Beobachtungs- und Verfolgungsakte angelegt, die Aichelburg bis zu seiner Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland am 5. April 1981 begleiten sollte und auf 422 sogenannten „file“, das sind in der Regel beidseitig beschriebene Blätter, vieles von dem festgehalten, was ihm in dieser spannungsreichen Zeit widerfahren ist. Das Dossier belegt aus geheimdienstlicher Sicht die letzten sechs Jahre, die Aichelburg im kommunistischen Rumänien verbracht hat, eine für den Schriftsteller qualvolle und in mancher Hinsicht auch recht unangenehme Zeit. Statt, wie er sich das wohl zuweilen auch ausgemalt haben dürfte, in diesen Jahren möglichst ungehindert ins Ausland zu fahren und sich dort als angesehener, politisch nicht kompromittierter Autor aus dem Osten auch feiern zu lassen und preisgekrönt zu werden, wurde er arg bespitzelt, bedrängt sowie wochenlangen zermürbenden und oft peinlichen Verhören unterzogen.

Aufgrund von Beobachtungen, ­Zuträgerberichten und wohl hauptsächlich über die in seinem Haus angebrachte Abhöranlage hatte die Securitate herausbekommen, dass Aichelburg eine ganze Reihe von in ihren Augen dubiösen Kontakten zu einem Kreis von Gymnasialschülern und Studenten unterhalte, auf die er einen schädlichen Einfluss ausübe. Der Schriftsteller – der sich dabei wohl an seinem von ihm äußerst geschätzten und verehrten dichterischem Vorbild Stefan George orientiert hat – würde mit mehreren hochbegabten, an Literatur, Musik, Philosophie, Geschichte und Politik interessierten Jugendlichen Gespräche führen und sie dabei mit gefährlichem westlichem Gedankengut infizieren.

Die größte Gefahr bestehe jedoch im sozialen Bereich, der homosexuell und pädophil veranlagte Künstler würde seine Vertrauens- und Machtposition ausnutzen, um kaum Erwachsene auf schräge sittliche Bahnen zu locken. Aufgrund dieser Vergehen, betont der mit dem Fall beauftragte Offizier, müsste Aichelburg der Justiz überantwortet werden, nicht nur Pädophilie, sondern auch Homosexualität galten damals als Straftat. Aufgrund dieser Tatbestände wäre es für die Securitate ein Leichtes gewesen, den Schriftsteller vor Gericht zu stellen. Da er aber, so die Meinung der Offiziere, recht bekannt war – auch im Ausland –, war damit zu rechnen, dass der Fall in westlichen Medien für viel Aufhebens sorgen und dem internationalen Ansehen Rumäniens schaden könnte.

Freunde im Westen machen sich für die Ausreise stark

Die Sache verkomplizierte sich für die Securitate auch dadurch, dass Aichelburgs Freunde im Westen nicht müde wurden, alles in ihrer Macht Liegende zu unternehmen, um dem Schriftsteller zu einer Auslandsreise zu verhelfen. Den Vertretern der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in West-Berlin war es 1977 gelungen, das dortige Rumänische Konsulat zu überreden, ein Schreiben an das Bukarester Innenministerium zu richten, in dem die Bitte ausgesprochen wurde, Wolf vom Aichelburg die Reise zu einer Lesung in die Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. Die Bukarester Behörde, der offenbar die letzten Recherchen und Erkenntnisse der Hermannstädter Offiziere nicht bekannt waren, hatte sich daraufhin an die regionale Zweigstelle des Sicherheitsdienstes gewandt und ihr mitgeteilt, dass sie es begrüßen würde, wenn der Bitte des Rumänischen Konsulats in West-Berlin entsprochen werde. Die sicherheitsdienstliche Leitung in Hermannstadt hatte daraufhin den Parteisekretär des Kreiskomitees Richard Winter (1936-1994) über das Anliegen des Innenministeriums und auch über die neuesten Vorfälle im Zusammenhang mit ­Aichelburgs Beziehungen zu Jugendlichen informiert. Winter hatte daraufhin entschieden, Aichelburg den Reisepass für die Fahrt zur Berliner Lesung zu verweigern, weil sein politisches, soziales und moralisches Verhalten erheblich zu wünschen übriglasse.

Diese Nachricht hatte nicht nur Aichelburg verärgert, sondern auch die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen aufgebracht, die nicht bereit war, kleinbeizugeben. Sie ließ nicht locker, und als sich mit dem ersten Folgetreffen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) am 4. Oktober 1977 in Belgrad die Möglichkeit bot, auf Verstöße gegen die Einhaltung der Menschenrechte in Rumänien hinzuweisen, sollte auch der Fall Aichelburg auf die Agenda der Konferenz gesetzt werden.

Um medial dagegen zu halten und die Absicht der Veranstalter zu vereiteln, unterbreitete die Hermannstädter Leitung der Securitate dem Ersten Parteisekretär des Kreiskomitees Richard Winter den Vorschlag, aufgrund der Daten und Unterlagen, über die man in der Causa Aichelburg verfüge, nichts unversucht zu lassen und den Schriftsteller öffentlich zu demaskieren. Dafür mussten weitere Daten und Fakten über ihn zusammengetragen werden, der Schriftsteller wurde intensiver ausgespäht, auch weil Wolf Aichelburg nach all den unliebsamen Erfahrungen, die er seit etwa Ende 1975 gemacht hatte, Rumänien endgültig den Rücken zu kehren und den Antrag auf Familienzusammenführung zum seit 1972 im Raum Stuttgart ansässig gewordenen Bruder zu beantragen. Diese Vorfälle hatten Wolf Aichelburg, der nun zunehmend mit der Angst lebte, durch die Verweigerung eines Ausreisepasses im Lande eingeschlossen zu sein, ungemein verunsichert und zermürbt. Weil er sich ständig beschattet und ausgekundschaftet fühlte, hatte er zeitgerecht Vorkehrungen und Vorsichtsmaßnahmen getroffen, die den Offizieren, die ihn zu observieren hatten, nicht unbekannt blieben. Immer, bevor er die Wohnung verlasse, heißt es in einem ihrer Berichte, merke er sich die Anordnung der Dinge in seinen Zimmern und setzte bewusst Zeichen, um nach der Rückkehr feststellen zu können, ob das Haus während seiner Abwesenheit durchsucht worden wäre. Wenn er zu Fuß bzw. mit dem Fahrrad unterwegs sei, verliere er seine Umgebung nie aus den Augen. Von Zeit zu Zeit drehe er sich um, damit er feststelle, ob ihm kein Verdächtiger folge. Und wenn er ein öffentliches Verkehrsmittel, beispielsweise einen Bus, benutze, steige er für gewöhnlich als Letzter ein, setze sich auf einen der hinteren Plätze, um Auffälliges wahrzunehmen und alles im Blick behalten zu können. Immer habe er eine Aktentasche dabei, die er auf der Schulter trage und die er nie ablege.

All diese Erfahrungen und Vorkommnisse haben den Schriftsteller wohl eingeschüchtert, ihn aber gleichzeitig auch ermutigt, den einmal eingeschlagenen Weg unbeirrt weiterzugehen. Und wenn es eng werde, hatte er zu einem Spitzel gesagt, würde er auch die Konfrontation mit dem kommunistischen Regime nicht scheuen, im Gegenteil alles Erforderliche unternehmen, um die Ausreise zu erlangen bzw. letztendlich zu erzwingen, selbst wenn er dabei in den Hungerstreik treten müsse.

In den Hungerstreik ist Aichelburg nicht getreten, doch er hat im Laufe der rund drei Jahre, in denen er auf seine Genehmigung, das Land verlassen zu dürfen, gewartet hat, zahlreiche Bitten und Beschwerden bei den zuständigen Staatsorganen eingelegt.

Die Erlaubnis, das Land zu verlassen, haben ihm die Behörden erst gegeben, nachdem sie versucht hatten, ihn eine Weile hinzuhalten, wohl auch mit der Absicht, ihn von seinem Vorhaben abzubringen oder ihn einfach zu schikanieren.

Doch der Schriftsteller hatte nicht lockergelassen und vor allem im Ausland gleich mehrere Hebel in Bewegung gesetzt. Letztendlich ausschlaggebend dürfte jedoch die Kampagne gewesen sein, die von mehreren emigrierten Intellektuellen rumänischer Herkunft in Frankreich gestartet worden war. Ein Herbst 1980 gegründetes Komitee – ihm gehörte u.a. auch der mit Aichelburg befreundete Philosoph Emil Cioran (1911-1995) an – hatte sich expressis verbis zum Ziel gesetzt, den in Hermannstadt lebenden Schriftsteller und rumänischen Staatsbürger deutscher Nationalität Wolf Aichelburg, der zu seinem in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Bruder auswandern wolle, Hilfe, Schutz und Unterstützung zu gewähren.

Ende des Jahres 1980 ist Wolf Aichelburg verständigt worden, seine Ausreise sei genehmigt worden. Silvester hatte er, nach einem Bericht von „Enache Costel“, einem ehemaligen Schulfreund, im Pfarrhaus des Schriftstellers Eginald Schlattner in Rothberg verbracht. Mit Schlattner, der Hauptzeuge der Anklage im Kronstädter Schriftstellerprozess aus dem Jahre 1959 gewesen war, hatte sich Aichelburg als einziger der damals verurteilten Autoren zwischenzeitlich versöhnt und die Beziehung zu ihm wieder aufgenommen. „Enache Costel“ teilte seinem Verbindungsoffizier auch mit, Aichelburg werde in der Bundesrepublik Deutschland wahrscheinlich nicht zum Bruder nach Stuttgart ziehen, sondern versuchen, sich in Freiburg i. Br. niederzulassen, da wo auch die Freunde Andreas Birkner und Harald Krasser ein neues Zuhause gefunden hätten. Laut der letzten Eintragung in Aichelburgs Securitate-Akte hat der Schriftsteller am 5. April 1981 Rumänien endgültig verlassen.

Stefan Sienerth

Schlagwörter: Porträt, Todestag, Dichter, Übersetzer, Aichelburg, Securitate, Stefan Sienerth

Bewerten:

128 Bewertungen: ––

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.