24. November 2024

"Der Becher steht gefüllt mit Leid": Wie die Securitate den politisch wie menschlich integren Dichter Georg Hoprich verfolgte

Veröffentlicht hatte Georg Hoprich (1938-1969), an den aus Anlass seines Todes vor 55 Jahren erinnert werden soll, zu Lebzeiten bloß einige Gedichte, vorwiegend in den Bukarester Periodika Neue Literatur und Neuer Weg. Vor allem wegen ideologisch nonkonformistischer Texte, die er in Briefen an seine Freundin und spätere Frau geschickt hatte und die von der Securitate entdeckt wurden, ist Hoprich 1961, damals noch Student im letzten Jahrgang der Bukarester Germanistikfakultät, inhaftiert und zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Er verbrachte mehr als drei davon in kommunistischen Gefängnissen und Lagern, wurde 1964 aufgrund einer Generalamnestie für politische Häftlinge vorzeitig entlassen, versuchte als gebrochener junger Mann beruflich erneut Fuß zu fassen, schrieb zwischendurch wieder Gedichte, entschied sich aber, wohl auch aus tiefsitzender Angst vor einer möglichen neuen Verhaftung, am 9. April 1969 für den Freitod.
Georg Hoprichs Häftlingskarte vom 5. Juni 1961 ...
Georg Hoprichs Häftlingskarte vom 5. Juni 1961 (Ausschnitt). Auf dem Personalbogen ist auch die Adresse seines Geburts- und Elternhauses in Thalheim angeführt (Daia nr. 205). Reprofoto: Konrad Klein
Rund anderthalb Jahrzehnte später konnte ich aus dem Nachlass des Lyrikers, der damals von seinem Bruder Hans Hoprich verwaltet wurde, sowie aus einer Abschrift der Gedichte, die mir der Schriftsteller Eginald Schlattner Anfang der 1980er Jahre zur Verfügung gestellt hatte, 1983 im Bukarester Kriterion Verlag ein schmales Bändchen herausgeben. In einem lückenhaften Vorwort hatte ich Hoprichs Lyrik ästhetisch zu beurteilen und literaturhistorisch einzuordnen versucht, jedoch all die Lebensdaten anzuführen, die für seine Biografie und das Verständnis seiner Dichtungen relevant gewesen wären, war aus Zensurgründen nicht möglich. Das Büchlein verkaufte sich sehr schnell, was an der künstlerischen Qualität von Hoprichs Texten und an seiner außergewöhnlichen Biografie lag.

Rolf Bossert (1952-1986), der begabte und frühverstorbene Reschitzaer Lyriker, der rund zwei Jahrzehnte nach Hoprich ebenfalls Selbstmord begehen sollte, schrieb eine umfangreiche Rezension zu den Gedichten Hoprichs in der Neuen Literatur, mit vielen guten Bemerkungen und einigen kritischen Einwänden. Hans Bergel (1925-2022), der bekannte siebenbürgische Schriftsteller und Journalist, nahm das Erscheinen des Lyrikbändchens zum Anlass, dem von ihm geschätzten Dichter einen längeren Beitrag in den Südostdeutschen Vierteljahresblättern zu widmen. Ernest Wichner, Berliner Lyriker und Übersetzer banatschwäbischer Herkunft, übernahm aus dem Band vier Texte in seine erstmalig 1987 in der Literaturzeitschrift die horen erschienene Anthologie „Das Wohnen ist kein Ort. Texte & Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat – und den Gegenden versuchter Ankunft“. Seit 1990 sind auch weitere, meist kürzere Aufsätze über Hoprich in Büchern und Periodika veröffentlicht worden, und 2011 wurden unter dem Titel „Bäuchlings legt sich der Himmel“ seine Gedichte im Leipziger Reinecke & Voß Verlag neu aufgelegt.

Durch die Öffnung des Archivs der Securitate sind nun Materialien zur Biografie und zum Werk von Hoprich aufgetaucht, die es ermöglichen, das Wissen um diesen künstlerisch begabten und politisch wie ethisch integren Dichter zu mehren. In meinem im Berliner Verlag Frank & Timme 2022 erschienenen Buch „Bespitzelt und bedrängt – verhaftet und verstrickt. Rumäniendeutsche Schriftsteller und Gesisteswissenschaftler im Blickfeld der Securitate“ haben die Recherchen im Archiv des Consiliul Naţional pentru Studierea Arhivelor Securităţii (CNSAS), der rumänischen Gauck-Behörde, auch zum Fall Hoprich Eingang gefunden. Auf sie stützt sich der hier abgedruckte Buchauszug.

Kritik an der Partei

Ins Blickfeld der Securitate war Hoprich durch einen Hinweis ihres bewährten Agenten „Silviu“ gerückt – hinter diesem Pseudonym verbirgt sich der Bukarester Hochschullehrer und Literaturwissenschaftler Dr. Heinz Stănescu (1921–1994), einer der eifrigsten Spitzel in der rumäniendeutschen Literaturszene jener Jahre. Dieser hatte am 10. November 1959, rund zwei Monate nachdem der Prozess gegen die fünf Schriftsteller Andreas Birkner (1911-1998), Wolf von Aichelburg (1912-1994), Georg Scherg (1917-2002), Hans Bergel und Harald Siegmund (1930-2012) in Kronstadt stattgefunden hatte, die zu insgesamt 95 Jahre Freiheitsentzug verurteilt worden waren, seinem Führungsoffizier berichtet, Hoprich habe sich gegenüber einem Kommilitonen u. a. kritisch über den „Verband der Werktätigen Jugend“ Rumäniens (Uniunea Tineretului Muncitoresc, UTM) geäußert. „Silviu“ war es auch, der, rund ein halbes Jahr später, am 11. April 1960, ein erstes Porträt Hoprichs entwarf. Der Sohn siebenbürgisch-sächsischer Bauern sei zwar seriös, doch nicht besonders fleißig, intelligent, aber etwas schwerfällig, und sozial-politisch im Sinne der kommunistischen Gesellschaftsordnung würde er sich nur minimal engagieren. Er tue nur, was unbedingt nötig sei, um nicht negativ aufzufallen. Er schreibe Gedichte, die die Schriftsteller Paul Schuster (1930-2004) und Heinrich Lauer (1934-2010) für gut befunden hätten, doch scheue er sich, diese einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren.

„Nicht nach Marschieren und Feiern zumute“

Diesem Porträt sollte „Silviu“ nach und nach neue und schärfere Konturen verleihen. Anlass bot ihm zunächst ein Aufmarsch im Rahmen einer 1. Mai-Feier, die von der Parteiführung jährlich zur propagandistischen Selbst­inszenierung genutzt wurde und an der teilzunehmen, Pflicht war. Während die Bukarester Studenten auf ihren Auftritt warteten, verwickelte „Silviu“ Hoprich in ein längeres Gespräch und informierte am Tag danach seinen Führungsoffizier darüber. Es sei ihm wahrlich nicht nach Marschieren und Feiern zumute, soll Hoprich zu „Silviu“ gesagt haben, am liebsten „wäre er im Bett geblieben“.
Richard Adleff, zeitweilig Hoprichs ...
Richard Adleff, zeitweilig Hoprichs Zimmerkollege, entzog sich ebenfalls der offiziellen Parteipropaganda (hier bei einer Lesung von Frieder Schuller 2019 in Nürnberg). Der Journalist und Autor, gebürtiger Hermann­städter, starb am 9. Juni 2022 90-jährig in Erlangen. Bereits 2013 verstarb auch Ingmar Brantsch. Aus dem literarischen Umfeld Hoprichs in Bukarest lebt heute nur noch Dieter Roth in Heidelberg. Foto: Konrad Klein
Von „Silviu“, der den Auftrag hatte, politische Auffälligkeiten seiner Studenten zu melden, hatte die Securitate auch in Erfahrung gebracht, dass die auch schriftstellerisch tätigen Richard Adleff (1932-2022), Ingmar Brantsch (1940-2013) und Georg Hoprich, die damals in Bukarest Germanistik studierten und zeitweilig auch in einem Zimmer zusammenwohnten, sich geweigert hätten, dem damaligen Redakteur der Zeitschrift Neue Literatur, Dieter Schlesak (1934-2019), Beiträge für eine Festnummer zur Verfügung zu stellen.

Die Folge war, dass der rumänische kommunistische Geheimdienst, der die Bildung einer aufwieglerischen Gruppe befürchtete, am 6. Mai 1960 einen Maßnahmenplan zur Verifizierung Richard Adleffs, der, da er auch älter als Hoprich und Brantsch war, zunächst als führender Kopf einer potenziellen Verschwörung angesehen wurde. In den nächsten Monaten solle die Korrespondenz der Gruppenmitglieder geöffnet, kontrolliert und kopiert werden, geheime Durchsuchungen und Beobachtungen seien im Studentenwohnheim vorzunehmen.

Wie sich Hoprich im Studentenheim verhalte, über welche Themen er mit seinen Kommilitonen diskutiere, hatten die Offiziere zunächst über ihren Informellen Mitarbeiter (IM) „Ilie Rădulescu“ erfahren, der die Securitate mit Informationen über seine Zimmerkollegen bediente. Zu ihm habe Hoprich gesagt, sollte es zu einem Krieg zwischen den Großmächten kommen, würden diesen zweifellos die Amerikaner gewinnen, da sie militärisch den Sowjets überlegen seien. Wer sich auf diese Weise defätistisch über die befreundete UdSSR äußerte, galt in den Augen der damaligen Ideologen, die auftragsgemäß die sowjetisch-rumänische Freundschaft in den Medien unentwegt zu verkünden hatten, als gefährlicher antikommunistischer Agitator und musste damit rechnen, ins Visier der Machthaber genommen zu werden. Weitere Recherchen über Hoprich, sein Umfeld, seine Herkunft waren somit vorprogrammiert. In einem nächsten Schritt wurden Informationen über seine Familie, deren Vergangenheit und sein Verhalten in seinem Heimatdorf eingeholt, aber auch über Hoprichs Braut und spätere Ehefrau Mathilde, die in Nieder-Eidisch bei Sächsisch-Regen als Grundschullehrerin arbeitete. Durch das Öffnen der Korrespondenz hatte die Securitate herausbekommen, dass der Bukarester Student seiner fernen Geliebten im Kreis Mureș per Post nicht bloß Liebesbriefe zukommen ließ, sondern auch Gedichte, die er ihr immer wieder schickte und die sich durchaus von jenen unterschieden, die damals vom Großteil der rumäniendeutschen Lyriker publiziert wurden. Hoprich verfasste hauptsächlich Liebes- und Naturgedichte, aber auch Verse mit philosophischer Thematik, die von der offiziell verkündeten und einzig akzeptierten Weltanschauung des Marxismus-Leninismus abwichen. Besonders ein Gedicht, das Hoprich seiner Braut auf dem Postwege zugeschickt hatte und das abgefangen wurde, hatte die Securitate hellhörig werden lassen, brachte es doch die bedrückende Situation der deutschen Minderheit im kommunistischen Rumänien unverblümt zur Sprache:

„Wir schweigen, was wir nicht vergessen,
Der Becher steht gefüllt mit Leid.
Wir schauen starr, wenn andere essen,
Wir bleiben fern und ausgereiht.

Das Nächste schleppt sich wie gebrochen.
Wir sind ein Weh, das bittend haucht.
Wir haben immer still gesprochen,
Die wirre Nacht ist nicht verraucht.

Das schlichte Dasein, wie wir’s lernten,
Bleibt schwer wie Erde, dumpf wie Geld.
Wir sind ein blasses Volk, wir ernten
Die Tränen auf dem Bitterfeld.“


Rund ein halbes Jahr, von Mitte Mai bis Anfang Dezember 1960 hatten Adleff, Brantsch und Hoprich unter gemeinsamer Beobachtung gestanden, danach wandte die Securitate ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich Hoprich zu, dem dichterisch begabtesten und in seinen politischen Ansichten auch verwegensten unter den Dreien.

In der ersten Hälfte des Jahres 1961, vom 26. Januar bis zu Hoprichs Verhaftung am 5. Juni, lieferte, laut Aktenlage, unter dem Decknamen „Petrică“ ein Kommilitone Hoprichs Berichte über den Freund, die diesen schwer belasteten. „Petrică“, der den Auftrag hatte, Hoprichs unveröffentlichte Gedichte, die dieser ihm im Studentenheim vorlas oder ihm zur vertrauten Lektüre anbot, auf deren ideologische Tauglichkeit zu prüfen, lässt seine Auftraggeber u.a. wissen, die Texte des Freundes seien nicht „fortschrittlich“, ihre Grundtendenz sei antiparteilich und nationalistisch. Auch habe ihm Hoprich gesagt, er könne keine Gedichte schreiben, in denen er die Partei verherrliche, wie das jene Dichter täten, deren Texte veröffentlicht würden. Er ziehe es deshalb vor, Verse zu verfassen, die er nicht publizieren werde. Diese Hinweise waren für die Securitate äußerst wichtig. Damit wurden ihr von einer Hoprich sehr nahestehenden Person, der gegenüber er im Vertrauen auf Freundschaft und Diskretion sein Herz geöffnet hatte, bestätigt, was sie eh schon vermutet hatte, aber so eindeutig bis dahin nicht hatte nachweisen können.

Nun glaubte Oberleutnant Năstase über genügend Informationen zu verfügen, um Hoprichs feindliche Einstellung zum kommunistishen Regime und seinen negativen Einfluss auf sein Umfeld beweisen zu können. Danach ging alles recht schnell. Am 23. Mai 1961 wurde ein Brief an den damaligen Innenminister Alexandru Drăghici addressiert, in dem die Verhaftung Hoprichs begründet wurde. Der Bericht kommt zum Schluss, Hoprich sei dem volksdemokratischen Regime in Rumänien feindlich gesinnt, er habe die rumänische Gesellschafts- und Staatsordnung zu unterwühlen versucht und stelle mit seinen „nationalistischen Ideen“ eine Gefahr sowohl für die Studenten als auch für seine künftigen Schüler dar. Es wird um die Genehmigung gebeten, ihn zu verhaften. Davor wurde er von der Leitung und der Parteiorganisation der Universität Bukarest den Studenten der Philologiefakultät vorgeführt und öffentlich demaskiert. Ebenso war der Verhaftung die Durchsuchung seiner so genannten „Wohnung“ vorausgegangen, die – laut Protokoll – aus einer Schlafstelle, einem Teil des Wohnschrankes, einem gemeinsam benutzten Tisch und ein paar Stühlen in einem überfüllten Zimmer eines Bukarester Studentenwohnheims bestand. Was die beiden hiermit beauftragten Offiziere in Gegenwart des Verwalters des Heims dabei vorfanden, war beileibe nicht aufregend. Außer dem Personalausweis und weiteren Papieren, die Hoprich den Zutritt zu den Bukarester Bibliotheken und zu studentischen Einrichtungen ermöglichten bzw. ihn als Mitglied des kommunistischen Jugend- und Studentenverbandes auswiesen, ein wenig Bargeld, einem Ring mit der Eintragung des Namens seiner Braut und des Datums ihrer Verlobung, waren es vor allem Gedichte und 26 Briefe von Mathilde an ihn, die die Aufmerksamkeit der Offiziere weckten.

Ein poète maudit, über seinen Tod hin­aus? Foto ...
Ein poète maudit, über seinen Tod hin­aus? Foto vom Grabstein Georg Hoprichs in Thalheim, aufgenommen im Oktober 2022. Foto: Konrad Klein
In der Zeit vom 5. Juni bis zur Urteilsverkündigung am 9. Oktober 1961 ist Hoprich insgesamt sechsmal, jeweils über mehrere Stunden verhört worden. Wie die einzelnen Verhöre bei der Securitate verlaufen sind, ist zwar protokolliert worden, wie mit dem Verhafteten dabei jedoch umgegangen wur­de, welcher Methoden sich die Offiziere bedienten, um den „Beschuldigten“ zu Aus­sagen zu bewegen, welcher Druck auf ihn dabei ausgeübt wurde bzw. mit was für Versprechungen man ihn zu ködern versuchte, ist in den Aufzeichnungen nicht vermerkt worden.

Was die Protokolle jedoch unmissverständlich belegen, sind die unbelastenden und ausweichenden Aussagen über Dichterfreunde und Kommilitonen, sein geschicktes Verhalten, verfänglichen Fragen auszuweichen, um diesen nicht zu schaden.

Am 20. September 1961 ist es zum öffentlichen Prozess gekommen. Weder die Zeugen – unter ihnen auch seine Braut, die hierdurch in eine besonders peinliche Lage versetzt worden war –, denen beim Verhör gehörig Angst eingeflößt worden war und die nun ihre Aussagen auch öffentlich bekräftigten, noch der verängstigte Verteidiger, der aus Furcht, bei zu nachhaltigem Einsatz für einen „Landesverräter“ selbst im Gefängnis zu landen, wagten das Risiko, den Angeklagten besonders in Schutz zu nehmen. Das Urteil wurde am 9. Oktober 1961 verkündigt und lautete auf fünf Jahre Freiheitsentzug und Beschlagnahmung des „Vermögens“ des Beschuldigten, das aus wenigen Kleidungstücken, einem Koffer und einer Ledermappe bestand. Die Prozesskosten, die 800 Lei betrugen und etwa zwei Monatsgehälter ausmachten, hatte der Verurteilte zu tragen.

Am Rande des Dorfes ausgesetzt

Von den fünf Jahren Gefängnis, zu denen Georg Hoprich verurteilt worden war, hat er fast drei absitzen müssen. Rechnet man auch die Verhaftung und die Zeit der Verhöre hinzu, dann waren es insgesamt drei Jahre und zwei Monate Freiheitsentzug. Aufgrund einer Begnadigung im Vorfeld der Feierlichkeiten zum zwanzigjährigen Jubiläum der „Befreiung Rumäniens vom faschistischen Joch“, wie der am 23. August 1944 vollzogene Frontwechsel Rumäniens in offizieller Lesart lautete, ist er am 3. August 1964 freigekommen. Es sei Nacht, etwa zwei Uhr, gewesen, erinnert sich Hans Hoprich, als der Bruder ans Schlafzimmerfenster der Eltern geklopft habe. Damit alles unauffällig über die Bühne gehe und die Bevölkerung möglichst wenig mitbekomme, habe ihn höchstwahrscheinlich ein Auto der Polizei irgendwo im Ort oder am Rande des Dorfes abgesetzt, den letzten Teil seines Weges habe er wohl zu Fuß zurücklegen müssen.

Aus dem dritten Band der Prozessakte, der bloß 43 „file“ (Blatt) umfasst und nur lapidar Auskunft über Hoprichs Aufenthalt im Gefängnis und im Arbeitslager erteilt, lässt sich ein nur fragmentarisches Bild dieser Jahre rekonstruieren. Vor allem erfährt man daraus nichts über die Haftbedingungen, die für die politischen Gegner des Regimes besonders hart waren, über die Demütigungen und Drangsalierungen sowie die Misere, der sie ausgesetzt waren. Die Namen der Gefängnisse und Lager, u.a. Jilava, Luciu Giurgeni, Periprava, in denen Georg Hoprich seine Haftzeit verbringen musste und die zu den berüchtigtsten des rumänischen GULAG gehörten, lassen jedoch erahnen, was er an Martyrien in diesen Jahren zu erdulden und zu durchleben hatte. Festgehalten werden durften in der Akte bloß Daten, die für die Behörde relevant, politisch und juristisch aber unverfänglich waren. Georg Hoprich sei blond, habe blaue Augen und sei 1,79 m groß und von kräftiger Statur, was im Klartext bedeutete, er könne auch bei schwersten körperlichen Arbeiten eingesetzt werden, etwa auf den Baustellen des Donau-Schwarz-Meer-Kanals. Sein Verhalten habe zwar nichts zu wünschen übriggelassen, doch allzu fleißig sei er nicht gewesen. An seiner politischen Rehabilitierung sei er nicht interessiert, und an den „kulturellen Aktivitäten“, die, wie man weiß, im Rahmen einer allumfassenden kommunistischen und patriotischen Erziehung für die Lagerinsassen veranstaltet wurden und einer Gehirnwäsche gleichkamen, habe er sich nicht beteiligt. Warum sollte er es auch, sein Vertrauen – sollte er jemals eines gehabt haben – in den Sozialismus, dessen „Segnungen“ der Großteil seiner rumäniendeutschen Dichterkollegen, während er verhaftet war, zu preisen nicht müde wurden, war ihm spätestens jetzt abhandengekommen, diesmal wohl für immer.

Näheres über die Zeit, die Hoprich in den Arbeitslagern im Donau-Delta verbrachte, ist aus den Aufzeichnungen von Pfarrer Georg Felmer zu erfahren, der als politisch Verurteilter die Zeit vom 2. März 1962 bis August 1964 mit Hoprich am Donauarm Chilia verbrachte, in der Kolonie „Luciu Giurgeni“, im Innern der Insel Letea, wo im Rahmen eines der Großprojekte der sozialistischen Agrarwirtschaft durch den Bau von „Be- und Entwässerungskanälen neues Ackerland“, wie Felmer schreibt, erschlossen werden sollte. Er habe, erinnert sich Felmer, Hoprich im Eingangsbereich des südlich von Bukarest gelegenen berüchtigten Gefängnisses Jilava, einer alten Militäranlage, die zur Vollzugsanstalt umfunktioniert worden war, kennen gelernt. Von hier wären sie zusammen mit weiteren Gefangenen in die Arbeitskolonie „Luciu Giurgeni“ verlegt worden, wo sie den Schriftsteller und Pfarrer Harald Siegmund und kurz auch Hans Bergel getroffen hätten. Felmer schildert Hoprich als „ruhigen Denker“, „etwas zu ernst für sein Alter“, der in jener Zeit viel „über die Einordnung seines Lebens“ nachgedacht und immer wieder nach „Themen für seine Dichtungen“ gesucht habe. Ein schier unüberwindliches Problem seien Papier und Bleistifte gewesen, die zu besitzen nach den Lagerbestimmungen strengstens verboten war. Große Dienste hätten ihm dabei kurze Bleistiftminen, die sich leicht verstecken ließen, und Abfälle von Zementsäcken geleistet. Darauf habe Hoprich vorübergehend seine Verse notiert, diese so lange aufbewahrt, bis er sich sie fest eingeprägt hatte, und sie danach vernichtet.

Nachdem er sich schriftlich verpflichtet hatte, niemandem über das in den Gefängnissen und Lagern Gesehene und Erlebte zu erzählen, kehrte Hoprich im Sommer 1964 in einen politischen Alltag zurück, der sich verglichen mit dem, den er drei Jahre zuvor hatte verlassen müssen, zwar gewandelt hatte, dessen Strukturen und ideologische Leitlinien aber dieselben geblieben waren.

Nach einem kurzen Verbleib im Elternhaus übersiedelte Hoprich bald danach zu seiner Braut, die zwischenzeitlich im von ihrem und Hoprichs Geburtsort nahe gelegenen Städtchen Heltau unweit von Hermannstadt eine Stelle als Grundschullehrerin gefunden hatte. Die über Jahre aufgeschobene Heirat konnte nun endlich stattfinden, Hoprich wurde nach mehreren erfolglosen Versuchen eine Arbeitsstelle zugewiesen, als Sekretär an einer Schule. Obwohl er 1967 seine Diplomprüfung nachgeholt hatte, durfte er nicht als Lehrer arbeiten. Doch so vielsprechend die Rückkehr in den Alltag anfänglich zu verlaufen schien, so schwierig sollte sie sich weiterentwickeln. Hoprich kam nach seiner Entlassung aus familiären Gründen, aber vor allem aus Angst, seine lyrischen Texte und die Briefe könnten von Unbefugten gelesen werden, kaum noch zum Schreiben. Der Tauwetterperiode nach Ceauşescus Machtantritt misstraute er, auch fürchtete er, seine mehrdeutigen Gedichte könnten erneut Anstoß erregen und ihm zum Verhängnis werden.

Die Securitate hat den ehemaligen politischen Häftling auch in diesen Jahren nicht aus den Augen verloren. Darüber gibt ein schmaler Aktenbestand von 18 Blatt Auskunft. Am 30. September 1968, wird berichtet, habe Hoprich ein Gesuch an die Schulbehörde eingereicht, mit der Bitte, ihm, da er nun seinen Abschluss an der Universität nachgeholt habe, den Übertritt von der Stelle eines Sekretärs zu der eines Lehrers zu genehmigen. Sein Ansuchen sei zurückgewiesen worden. Danach sei er sehr untröstlich gewesen, man habe versucht, mit ihm zu reden, doch ein Dialog käme aufgrund seiner Schweigsamkeit und Zurückhaltung nur schwer zustande. Anfang Mai 1969 ist, laut Aktenlage, die letzte Eintragung der Securitate erfolgt. Die Nachricht von Hoprichs Freitod hatte auch die Geheimdienstbehörde erreicht. Er habe sich aufgrund „von familiären Auseinandersetzungen erhängt“, wird lapidar festgehalten. Man solle ihn deshalb aus den Arbeitsunterlagen der Securitate streichen.

Stefan Sienerth

Schlagwörter: Dichter, Hoprich, Securitate, Stefan Sienerth

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