14. November 2023

Wind aus dem Westen/Lesung mit Georg Aescht in Bonn

Der gebürtige Zeidner Georg Aescht, bekannter Literaturkritiker und Publizist, stellte am 3. November die Anthologie „die bewegung der antillen unter der schädeldecke. junge rumäniendeutsche lyrik zwischen 1975 und 1980“ beim Oberkasseler Literaturherbst vor. Diese kleine, aber feine Veranstaltungsreihe im rechtsrheinischen Bonner Stadtteil Oberkassel fand zum 16. Mal statt, und Georg Aescht, der seit vielen Jahren in Bonn lebt, war nicht zum ersten Mal aktiv dabei. Schon oft hat er dem interessierten Oberkasseler Publikum siebenbürgische, rumäniendeutsche Literatur näher gebracht, und das nicht nur durch schnödes „Vorlesen“ aus einem Buch – nein, die von ihm konzipierten und moderierten Abende leben von seinem Wissen, seiner Kenntnis, nicht zuletzt seinen eigenen Erfahrungen im und mit dem Literaturbetrieb im Rumänien der 60er, 70er, 80er Jahre, von denen er sprachgewandt, anekdotisch und oft mit einem Augenzwinkern zu erzählen weiß.
Georg Aescht las in Bonn. Foto: GRoth ...
Georg Aescht las in Bonn. Foto: GRoth
Am durchaus herbstlichen Abend des 3. November ging es im umso gemütlicheren Weinhaus Kinkel-Stuben um die Lyrikanthologie mit dem kryptischen Titel „die bewegung der antillen unter der schädeldecke“, angelehnt an ein Gedicht des Banater Schwaben Richard Wagner, der neben neun anderen Autoren (tatsächlich nur Männer!) in der Sammlung vertreten ist. In einer literaturhistorischen Einführung sprach Georg Aescht vom „Wind aus dem Westen“, der in den 60er Jahren in Rumänien aufkam, in den 70er Jahren aber in einem Klima der „Volksverhetzung und Unterdrückung“ unter Ceauşescu schnell wieder abflaute. Die deutsche Literatur in Rumänien sei „normal“ und keine Minderheitenliteratur gewesen und habe sich durch die deutschen Gymnasien und Universitäten im Land, die sich Literaten geradezu „heranzogen“, zu einer Jugend- und so auch zu einer Widerstandskultur entwickelt. Deren literarische Zeugnisse wollte der Germanist Walter „Butz“ Fromm 1980 in einem Band (damals noch mit nur neun Autoren) versammeln, den er vorbereitete und Hedi Hauser, Chefin der deutschen Abteilung beim Kriterion Verlag Bukarest, zur Veröffentlichung anbot. Diese allerdings nutzte den von Fromm gestellten Ausreiseantrag als willkommenen Vorwand für die Zurückweisung des Manuskripts – das übrigens ausschließlich Texte enthielt, die in verschiedenen Periodika bereits veröffentlicht, sprich von der Zensur durchgewunken worden waren. Fromm war so couragiert, mit Hilfe der Autoren und anderer Mitstreiter „in drei Durchgängen mit jeweils fünf Durchschlägen auf einer Vorkriegs-Schreibmaschine, die später in Hermannstädter Müllbergen versenkt worden ist“, so Aescht launig, 15 Typoskripte zu erstellen, die den Beteiligten und wenigen Freunden übergeben wurden. Finis causa.

Wie konnte nun 42 Jahre später in Deutschland eben diese Lyriksammlung, die als verschollen galt, als Buch erscheinen? Ein Typoskript hat überlebt, und Walter Fromm, der heute als Unternehmer in Spanien lebt, hat die längst fällige Veröffentlichung vorangetrieben. Ergänzt um einen zehnten Autor und versehen mit einordnenden Essays von Waldemar Fromm (ein Neffe Walters) und Anton Sterbling, konnte die Anthologie 2022 im Pop Verlag Ludwigsburg herauskommen – „ein denkwürdiges Stammbuch rumäniendeutscher Lyrik in qualitativ höchster Konzentration“ nannte Georg Aescht sie in seiner Besprechung für diese Zeitung. In Oberkassel lieferte er anhand ausgewählter Gedichte natürlich Kostproben dieser Qualität und war davon zuweilen sichtlich ergriffen. „Das Recht jemand zu sein und darüber zu reden“ (Richard Wagner) und eben diese „engagierte Subjektivität“, die Walter Fromm schon vor Dekaden in den Texten erkannte, mag als Leitmotiv über der Sammlung stehen, und ihre historische Bedeutung im Sinne eines „nachhaltigen literarischen Paradigmenwechsels um 1975/1980“ (Fromm) ist hoch einzuschätzen. Georg Aescht wies bedauernd darauf hin, dass die Anthologie hierzulande leider kein großer Erfolg sei – aber vielleicht ändert sich das, wenn er weiter so engagiert, emotional und oft genug erheiternd für sie streitet.

Doris Roth

Schlagwörter: Lesung, Lyrik, Bonn, Georg Aescht

Bewerten:

26 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.