14. Januar 2025
Initiativen zur Bewahrung des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes
Dr. Irmgard Sedler, Vorsitzende des Siebenbürgischen Museums e.V. in Gundelsheim am Neckar (Baden-Württemberg), nahm am 4. Dezember 2024 am Rundtischgespräch „Das Andreanum und sein Erbe“ in Budapest teil. Die Veranstaltung im Gebäude der Ungarischen Nationalversammlung wurde aus Anlass des 800-jährigen Jubiläums des Andreanums, des Goldenen Freibriefs der Siebenbürger Sachsen organisiert. Irmgard Sedler sprach über die Bewahrung des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Ihr Beitrag wird im Folgenden gekürzt wiedergegeben.

Ab der Mitte des 19. Jahrhundert dann, im Zuge der Etablierung des modernen Nationalgedankens und der damit verbundenen Rücknahme der mittelalterlichen Privilegien des Andreanums, fand bei allen in Siebenbürgen lebenden Völkern erstmals die Reflexion hinsichtlich der Verantwortung für das eigene Kulturerbe statt.
Die Festigung national-kultureller, moderner Identität nahm im Kontext des magyarischen Staatsnationalismus dabei bei allen Ethnien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weniger den Fortschritt durch den beginnenden industriellen Wandel ins Blickfeld als vielmehr verstärkt die Möglichkeiten, über die Betrachtung der Vergangenheit aus der eigenen nationalen Geschichte für die Zukunft zu lernen, „die Gegenwart an der Vergangenheit auf[zu]richten“ (Friedrich Teutsch).
In der Essenz war diese restaurativ-konservative Haltung eine Huldigung an den Historizismus. Es galt, ein zeitgemäßes Nacheifern des Gewesenen im Kontext moderner zivilisatorischer Verbesserungen in das gesellschaftliche Verhalten der eigenen Nation hineinzutragen. Schule und evangelische Kirche als nunmehr sächsische Institutionen sowie die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etablierende moderne Wissenschaft und nicht zuletzt die Kunst und die Literatur stellten sich bedingungslos in den Dienst dieses Vorhabens.
Als handelnde, verantwortungsbewusste Institution, die auf vielen Ebenen identitätsbewahrend agierte, verstand sich die Evangelische Kirche, vor allem über das unter ihrer Obhut verbleibende, aufblühende deutschsprachige Schul- und Bildungssystem.
In den wissenschaftlichen (Verein für siebenbürgische Landeskunde, 1840) und kulturellen Vereinen (Sebastian-Hann Verein, 1904/5) sowie den neu gegründeten volkskundlichen und kulturgeschichtlichen Museen (Siebenbürgisches Karpatenvereinsmuseum in Hermannstadt, 1895) liegen die Wurzeln, das Verständnis und die Muster für den heutigen Umgang mit der gesellschaftlichen Verantwortung für das Kulturerbe der Siebenbürgen Sachsen.
Viele der historischen wissenschaftlichen Vereine des 19. Jahrhunderts agieren segensreich in ihren heutigen Nachfolgeinstitutionen in diesem Sinne weiter (Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde, Siebenbürgisches Landesmuseum auf Schloss Horneck in Gundelsheim am Neckar, das Siebenbürgen-Institut mit Archiv und Bibliothek). Hinter ihnen und ihrem Fortbestand steht, das Ganze politisch, kulturell und gesellschaftlich überdachend, in Deutschland der Verband der Siebenbürger Sachsen.
Das Leben und die Kultur der Siebenbürger Sachsen im kommunistischen Rumänien stand im Zeichen sowohl physischer Gefährdung (durch die Russlanddeportation 1945-1949), als auch politischer Bedrängnis durch die Umsetzung der nationalistischen Doktrin einer angestrebten einheitlichen rumänisch-kommunistischen Nation. Seit den 1980er Jahren gesellte sich Ceaușescus Systematisierungswahn und in seiner Folge die Vernichtungsgefahr der historischen sächsischen Dorfstrukturen hinzu. Dass die siebenbürgisch-sächsische Kultur jedoch auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebendig blieb, verdankt sie vor allem den vielen intakt gebliebenen oder nach der Deportation wieder zusammengefundenen ländlichen sächsischen Gemeinschaften, die ihre Mundart und ihre Traditionen in Nachbarschaften und Kirchenbesuchen pflegten und sächsische Lebensart lebendig erhielten. Die evangelischen Pfarrer und die Lehrer, die an den deutschsprachigen Schulen des Landes ihre Freiräume zur Vermittlung sächsischer Identität suchten und fanden waren in diesem Sinne tätig.
Mit dem Exodus in den 1990er Jahren vollzog sich jedoch eine Trennung zwischen den Siebenbürger Sachsen als legitime Träger dieser jahrhundertealten Kultur und dem überwiegenden Teil ihres materiellen und schriftlichen Kulturerbes. Es verblieben in Siebenbürgen die einmaligen Kirchenburgen, die südsiebenbürgischen Dörfer mit ihrer historischen Bausubstanz, die sehr wichtigen Archive. Es verblieb in Siebenbürgen, um mit Pierre Nora zu sprechen, der lieu de mémoire, der kollektive, identitätsstiftende Erinnerungsort, ob geografisch, mythisch, historisch. Es verschwand oder schrumpfte bis zur Diaspora jedoch das milieu de mémoire, die Gemeinschaft, die diese Erinnerung getragen hat und in die Zukunft auszurichten vermochte. Durch diesen Bruch – hier in Siebenbürgen das gewichtige kulturelle Erbe als lieu de mémoire, als kollektiver Erinnerungsort und -artefakt, dort, vor allem in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich, die Mitglieder der ehemaligen Gemeinschaft, die das milieu de mémoire, die tragende Erinnerungsgemeinschaft bis heute bilden, entstehen neue Herausforderungen.

Ich spreche jetzt im Ausschnitt exemplarisch für das Siebenbürgische Landesmuseum in Gundelsheim am Neckar, das zusammen mit dem ebenfalls hier angesiedelten Siebenbürgen-Institut mit Archiv und der Bibliothek sowohl der musealen Vermittlung als auch der wissenschaftlichen Aufarbeitung, vor allem des materiellen Kulturguts, dient. Es ist unsere Aufgabe, das Wissen um diese komplexe Kultur in die Zukunft hinüberzuführen. Das Museum besteht seit 1960 und beherbergt heute knapp 24.000 Artefakte aus den Bereichen Geschichte, Wissenschaft, Kunst, Volkskunst, Volkskultur, Musikgeschichte und Archäologie. Es befindet sich mittendrin in einer zeitgemäß neuen Ausgestaltung. Hierbei wird die siebenbürgisch-sächsische Kulturgeschichte im Kontext ethno-kultureller Vielfalt beleuchtet, es werden Fragen hinsichtlich des Überlebens sächsischer Mentalitäten, erwachsen aus dem protestantischen Ethos eines spezifischen Lebensbildes, des gemeinschaftlichen Zusammenhalts, wie es die Nachbarschaftsordnungen widerspiegeln, gestellt.
Als Beispiel gesamtsiebenbürgischer Kultursicht in der Präsentation unseres Hauses möchte ich nur die Themenabschnitte benennen, die die sächsische Patriziertracht im Wechselspielspiel mit dem ungarischen Magnaten-Gewand präsentiert, die siebenbürgische Klassische Moderne nicht ohne die Zusammenhänge mit der Malschule in Nagybánya zeigt, den alltäglichen wie ritualisierten Umgang mit der Keramik im sächsisch-ungarisch-szeklerisch-rumänischen Austausch beleuchtet.
Kooperationen mit den wichtigsten Nationalmuseen in Rumänien, Ungarn und Österreich sind ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Betreuung wissenschaftlicher Arbeiten gehören mit dazu, gemeinsame Tagungen, Symposien mit Universitäten und Museen in Europa führen zu gemeinschaftlichen Publikationen, pädagogisch ausgerichtete Jugendarbeit weist in die Zukunft.
Ein erwähnenswerter Aspekt ist die Pflege des immateriellen Kulturgutes – das nicht nur von den Familien getragen wird, sondern von vielen, vor allem von engagierten Jugendvereinen in der Bundesrepublik Deutschland. Sie agieren im Rahmen des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland und sind ein Garant des Überlebens siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes in der Zukunft.
Unwiederbringlich müssen wir auf die großen Verluste verweisen, die hingenommen werden müssen – vor allem jener des Verlustes der lebendigen sächsischen Sprache/Mundart als konstituierendes Element siebenbürgisch-sächsischer Identität. Man weiß: Jede Sprache kann auf Dauer nur in der Gemeinschaft lebendig erhalten bleiben. Die originär siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft gibt es im angestammten Gebiet so kaum mehr. Wenn das Siebenbürgisch-Sächsische noch ein bis zwei Generationen in den Familien weiterleben soll und wird, so konserviert sich solches streiflichtartig in ritualisierten Zusammenhängen – in gebundener Sprache, im Liedgut, im Brauchtum, im Sprachverein. Die Dokumentation des Sächsischen bleibt wohl eines der wichtigsten Desiderate heute, ein Wettlauf mit der Zeit ist gegeben. Die Weiterführung des Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuchs, das zurzeit beim Buchstaben Sch angekommen ist, bleibt dringliche, auch politische Priorität. Dass in den letzten Jahrzehnten bei der Akademie der Wissenschaften in Hermannstadt in diesem Bereich Großes geleistet wurde, verdankt sich dem bedingungslosen Engagement der hier arbeitenden Wissenschaftler. Die weitere Archivierung dieses Sprachschatzes sollten wir ab hier und jetzt mitnehmen in unsre Gemeinschaften und es als kulturpolitisches Handeln in unsere Institutionen und in die Politik unserer Ländler weitertragen.
Dr. Irmgard Sedler
Schlagwörter: Irmgard Sedler, Andreanum, Vortrag, Budapest, Kulturerbe, Siebenbürgisches Museum
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