Hegt wird gesangen!: „Do derhiem blähn de Våltcher“
Das Lied „Do derhiem blähn de Våltcher“ (Dort daheim blühn die Veilchen) hat Grete Lienert-Zultner (1906-1989) bereits 1925 geschrieben, als sie als Neunzehnjährige das Lehrerinnenseminar in Schäßburg absolvierte. In den 100 Jahren seines Bestehens hat es eine weite Verbreitung erfahren und ist schon längst ins Volksgut übergegangen. Als Seminaristin erhielt Gretel – wie sie sich nennen ließ – Klavier-, Violin- und Gitarrenunterricht und schuf, gefördert durch ihre Lehrer, erste volksnahe Dichtungen. Der Anfang des 20. Jahrhunderts war vom „siebenbürgischen Liederfrühling“ geprägt, einer liedschöpferischen Welle, ausgelöst vom Thüringer Musikvereinsleiter in Mediasch Hermann Kirchner (siehe auch Siebenbürgische Zeitung, Folge 4 vom 10. März 2021, S. 7, und Folge 3 vom 12. Februar 2024, S. 6.) Von diesem schöpferischen Zeitgeist wurde auch die junge Lehrerin mitgerissen.
Als Neunzehnjährige schrieb Grete Lienert-Zultner auch ihre ersten Theaterstücke – ihr Vorbild war Anna Schuller-Schullerus – Äm Ihr uch Gläck und Bäm Brännchen. Da noch keine entsprechenden Mundartlieder vorhanden waren, schuf sie eigene, die sie nachträglich in die Theaterstücke einbaute. 1931 wurde Bäm Brännchen als Sängspäll (Singspiel) in überarbeiteter Form neu aufgelegt. Zu Do derhim blähn de Våltcher kamen noch Kutt, ir Frängdännen, erbä (Spänn-Liedchen) und Na zähn ich dervun (Uëwschid vum Brännchen) dazu. Durch die zahlreichen Theateraufführungen fanden die Lieder eine schnelle mündliche Verbreitung.
20 Jahre nach seiner Entstehung sollte das Lied Do derhiem blähn de Våltcher eine neue Dichte erreichen. Das Schicksalsjahr 1945 jährt sich heuer zum 80. Mal.
Auch Familie Lienert erlebte die schwere Zeit der Deportation in die Sowjetunion. Nach den Jahren im Arbeitslager kam Gretels Mann Michael krank zurück und durfte im kommunistischen Rumänien nicht mehr als Notar arbeiten. Von den Deportierten leben heute nur noch wenige Hochbetagte, jedoch das damals verursachte Leid setzt sich in ihren Kindern und Kindeskindern fort.
In den Jahren 1945–1950 schrieb Grete Lienert-Zultner die Lieder Wäjjelied äm Kräch (Schlof me Kängd, än genger Wäj),Ich mess eweech – Uëvschied 1945, In Russland 1945-1950 (Wo im Dunst der öden Weite) und De Sann wäll nämmi schengen.
Zu dem Kapitel „Krieg – Russland – Gefährdete Heimat“ hat Grete Lienert-Zultner in der 1983 im GIMA-Verlag herausgegebenen Sammlung „De Astern uch ånder Liedcher“ zu den oben aufgelisteten Liedern auch Do derhiem blähn de Våltcher beigefügt. Deportierte haben berichtet, dass dieses Lied z.B. im Lager in Petrovka sehr häufig gesungen wurde und als Heimwehlied sehr beliebt war. Dort wurden Lieder (auch „Rote Gladiolen blühn“ angeblich von einem Jakobi, Kronstadt) in Arbeitsgruppen und im Chor gesungen. Im Jahr 2005 untersuchten die Germanisten Hanni und Michael Markel die geläufigen Russlandlieder der Deportierten aus Deutsch-Weißkirch und erfuhren, dass im Lager Petrovka (74 Deutsch-Weißkircher waren dort interniert) ein zwei- und ein vierstimmiger Chor von etwa 40 Sängern unter der Leitung von Pfarrer Ernst Helmut Chrestel (siehe Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 2. Dezember 2024, S. 8) bestanden hat. Dabei eignete man sich die Lieder an, tauschte sie bei Verlegungen oder Besuchen und Chorreisen (1948 wurde Lager Ceglovka besucht) aus. Durch Briefe und erkrankte Heimkehrer sind die Deportationslieder schon vor der Entlassung der Inhaftierten sowohl in Rumänien als auch in Deutschland bekannt geworden.
Sicher haben auch in anderen Lagern der Ukraine viele Frauen und Männer laut oder leise, alleine oder in Gruppen Do derhiem blähn de Våltcher gesungen und ihr unsagbar schmerzhaftes Heimweh zum Ausdruck gebracht. Auch heute noch wird dieses Lied gerne gesungen – auch wenn das Heimweh weniger schmerzhaft sein mag.
Hören Sie das Lied „Do derhiem blähn de Våltcher“ in vier Ortsmundarten (Burgberg, Braller, Niedereidisch, Schäßburg) unter www.siebenbuerger.de/go/2L140.
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