18. Juni 2025

Heike Schusters Tanztheaterstück zur Russlanddeportation beim Heimattag

Schön langsam ist es an den Enkeln. Sie sind es, die sich die Themen aneignen, sie bearbeiten und vermitteln müssen, wenn die Gesellschaft die Erinnerung an die Ereignisse rund um den Zweiten Weltkrieg weiterhin wachhalten will. Zeitzeugen sind bald keine mehr am Leben, das direkte Erzählen fehlt. Doch was wird uns ohne diese unmittelbaren Erfahrungsberichte in Zukunft noch berühren? Wie können wir jenseits von ritualisiertem Gedenken und historischer Tatsachenvermittlung emotionale Zugänge schaffen, um uns den Geschehnissen und Menschen auch auf andere Art zu nähern?
Heike Schuster hat sich tänzerisch auf die Spuren ...
Heike Schuster hat sich tänzerisch auf die Spuren ihrer Großmutter begeben. Foto: Christian Schoger
Die Übernahme der Erinnerungsarbeit durch die Enkelgeneration bietet einige Chancen. Mag ihre Lebensrealität sich von jener ihrer Großeltern auch sehr unterscheiden, so erlaubt ihre stark emotional geprägte und zumeist innige Beziehung womöglich, dass vermehrt Gefühle vermittelt werden und dadurch Empathie erzeugt wird. Welche Wege insbesondere künstlerisch aktive Enkel einschlagen, um das Gehörte und Mitgefühlte, aber eben auch das Ungesagte und Unsagbare aufzunehmen, zu verarbeiten und wiederzugeben, ist dabei besonders interessant.

Heike Schuster hat als ihren Weg den Tanz gewählt. Im Tanztheaterstück „Gleis 3. Auf den Spuren der nach Russland deportierten Rosa Lukesch“ arbeitet die in Kronstadt geborene und heute in Freiburg lebende Tänzerin die Geschichte ihrer Großmutter Rosa Lukesch auf. Einen Ausschnitt des Stückes konnte das Publikum bereits am 18. Januar bei der zentralen Gedenkveranstaltung der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in Ulm sehen. Bis zum Heimattag in Dinkelsbühl hat Schuster diesen Ausschnitt noch erweitert und weiterentwickelt.

So saßen am Pfingstsamstag rund 100 Leute im Konzertsaal des Spitalhofes und erlebten eine Performance, die für viele neu und ungewöhnlich war. Ein paar Schuhe, ein Koffer, ein grober, grauer Rock und ein weißes Oberteil, die an ein unbestimmtes Früher erinnern, später auch ein Rollmaßband – mehr Kostüm und Requisiten waren auf der Bühne nicht zu sehen. Gesprochen wurde mit wenigen Ausnahmen nicht, Auszüge aus verschiedenen Musiktiteln bestimmten wesentlich die Stimmung.

Hat sich allen Zuschauer im Saal die Bedeutung aller Bewegungen erschlossen? Eher nicht. Versuchten sie, ihr Wissen, ihre Vorstellungen und ihre Gefühle rund um die Deportation in den Gesten wiederzuerkennen? Vermutlich. Waren sie neugierig, gespannt und aufmerksam? So wirkte es. War Heike Schuster mit totaler Fokussierung und, ja, einem heiligen Ernst bei der Sache? In jedem Fall.

Wie wichtig der Künstlerin die Bearbeitung des Themas Deportation ist, wurde im Anschluss klar, als Bundeskulturreferentin Dagmar Seck, in kurzfristiger Vertretung von Dr. Heinke Fabritius, der Kulturreferentin für Siebenbürgen, Bessarabien, die Dobrudscha und den Karpatenraum am Siebenbürgischen Museum Gundelsheim, ein Nachgespräch mit Heike Schuster führte: Was hat es mit dem Kostüm auf sich? Was ist die „Erzählrichtung“ des Stücks? Wann fiel die Entscheidung, sich mit dem schwierigen Thema auseinanderzusetzen? Was hält die Familie davon?

Die Antworten auf diese und weitere Fragen werden an dieser Stelle nicht wiedergegeben, um nicht zu viel vorwegzunehmen. Es lohnt sich, weiterhin neugierig zu bleiben und die Aktivitäten der Tänzerin übers Jahr zu verfolgen. Denn Heike Schusters Projekt ist noch nicht abgeschlossen, es wächst weiter. Neben einer Performance im Rahmen des Sachsentreffens in Zeiden Mitte September und einer Recherche- und Begegnungsreise nach Kronstadt im Juni ist insbesondere die Ausarbeitung zu einem abendfüllenden Tanztheaterstück geplant, welches am 12., 13. und 14. Dezember in Freiburg im Breisgau aufgeführt werden wird.

Um dieses Herzensprojekt in angemessenem Umfang realisieren zu können, hat die freischaffende Künstlerin eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Wer „Gleis 3“ unterstützen und gemeinsam mit Heike Schuster hinterfragen will, „wie Menschen derart dramatische Ereignisse überstehen können und wie es nachfolgenden Generationen gelingen kann, solch ein schweres Erbe in etwas Hoffnungsvolles zu transformieren“, der findet die Kampagne unter dem Link www.startnext.com/tanztheatergleis3. Bei Fragen und für weitere Informationen lohnt ein Blick auf die Webseite www.heikeschuster.com oder eine E-Mail an schuster.heike3[ät]web.de. Die Unterstützung durch die beiden Kulturreferentinnen ist Heike Schuster schon mal sicher.

Dagmar Seck

Schlagwörter: Heimattag 2025, Performance, Deportation

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