16. August 2025
Mathilde Melzer: Gedenken an die Deportation vor 80 Jahren
Als Achtjährige (meine Geschwister waren fünf und drei) ist mir die Deportation unserer Mutter Regina Arz in schmerzhafter und traumatischer Weise in Erinnerung geblieben. Ein eiskalter Tag im Januar 1945 veränderte unsere bis dahin unbeschwerte Kindheit. Es folgten für uns Kinder fast zwölf Jahre ohne unsere geliebte Mutter. Erst im August 1956 konnte sie nach mehrmaligen erfolglosen Versuchen den Weg zurück zu ihren Kindern finden. Der Verlust, den ich als Kind und junge Frau erlebte, die schwere Zeit ohne sie, lässt gerade an Gedenktagen die Erinnerung und die Trauer über die verlorenen gemeinsamen Jahre in den Vordergrund treten. Aus diesem Grund schrieb ich folgendes Gedicht mit dem innigsten Wunsch, dass unseren Kindern und Enkelkindern dieses Schicksal niemals widerfahren möge.
Erinnerung
Gedankenvoll schau‘ ich hinaus,vor unserm Fenster, unserm Haus
der kräftige, große Baum.
Ich denke nach und wie im Traum fällt es mir ein:
wie mag es, als der Baum noch klein
vor Jahren wohl gewesen sein?
Als Sprössling war er zart und fein,
liebkost, geküsst vom Sonnenschein,
gestreichelt leicht vom Frühlingswind,
behütet wurd’ er wie ein Kind.
Eine schwere Zeit rückte heran,
das Leben des Bäumchens nun traurig begann.
Es weinte der Himmel, es weinte das Herz
zu groß war die Sorge, zu tief lag der Schmerz.
Die streichelnden Hände, der liebliche Kuss
in fremden Ländern verweilen muss.
Wie stark der Sturm und der Wind auch weht,
die Erde immer weiter sich dreht.
Aus dem Bäumchen wuchs ein prächtiger Baum
Die Jahre vergingen, man merkte es kaum.
Im Blätterdach fröhlich die Vögelein sangen,
tief unten im Tal die Glocken verklangen.
Ein seltsam Gefühl berührte mein Herz.
War’s Trauer, Erinnerung, ein sehnsüchtiger Schmerz?
Der Frühling, der Sommer sind eilend vergangen,
mal stürmisch, mal lau, mal froh, mal mit Bangen.
Und nun ist es Herbst. Mit göttlicher Kunst
mischt er die Farben geschickt und bewusst.
Die Sonne hat tüchtig an Wärme verloren,
der Fischteich im Garten leicht zugefroren.
Die Tage sind kürzer, kühl ist die Nacht,
am sternklaren Himmel scheint der Vollmond und wacht,
zieht kühn, anmutig und leise
die nächtliche Bahn seiner Reise.
Im Wandel der Zeit sind die Jahre vergangen.
Der Baum ist vom Schnee und der Last nun behangen.
Es ächzt und es kracht im Geäst
Stamm und Wurzeln sind nicht mehr so fest.
Die streichelnden Hände, der liebliche Kuss
in fremden Ländern verweilen muss.
Doch göttliche Liebe und göttliche Treue
hat uns behütet täglich aufs Neue.
Regina Arz, geboren 1915 in Abtsdorf bei Agnetheln, wurde im Januar 1945 nach Russland ins Arbeitslager Stalino deportiert. Schwer krank wurde sie im September 1946 in die Sowjetische Besatzungszone gebracht, wo sie zwei Jahre mit Feldarbeit und als Küchenhilfe verbrachte. Auf dem Fluchtweg zurück nach Hause wurde sie von den Amerikanern in Wien aufgehalten und als Haushaltshilfe zur Familie Prof. Schinzel vermittelt. Erst 1956 konnte sie nach Siebenbürgen zurückkehren. 1979 reiste sie nach Deutschland aus. Sie starb 2004 in Waldkraiburg.
Schlagwörter: Deportation, Erinnerung, Gedicht
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