15. September 2025

„Auch das haben wir erlebt“: Vor 80 Jahren Flucht und Evakuierung aus Nordsiebenbürgen 1944-1945

Am 17. September 1944 wurden die Deutschen aus Jaad nach Österreich evakuiert und lebten vorwiegend in der Gegend um Perg in Oberösterreich nördlich der Donau bis zum Kriegsende 1945. Der Großteil der Jaader wurde 1945 von den Sowjets nach Siebenbürgen „in Marsch gesetzt“, in der Heimat folgen Enteignung, Lager und Zwangsarbeit, Entrechtung, kommunistische Unterdrückung. 1954 erhielten die früheren sächsischen Eigentümer ihre Häuser und Hausgärten per Dekret zurück. Erst ab circa 1955 gab es so etwas wie allmählichen Wiederaufbau einer deutschen Gemeinschaft. Etwa ab 1970 begann die Auswanderung der Sachsen nach Deutschland. Heute gibt es nur noch eine kleine evangelische Gemeinschaft im Dorf (rund 20 Personen).
Hier, im gleichen Hof des Anwesens Göbbel in ...
Hier, im gleichen Hof des Anwesens Göbbel in Jaad, spielte im August 2024 die Nürnberger Blaskapelle. Foto: Horst Göbbel
Margarete Schuster, geborene Göbbel, schreibt 1990: Es war im Jahre 1946. Wir durften zeitweilig in unserem Haus Nr. 146 in einem Zimmer – in der hinteren Küche – wohnen. Dort hatten wir all unsere wenige Habe, die wir durch die Flucht nach und die Rückkehr aus Österreich gerettet hatten. In den vorderen Zimmern hatte sich die Familie Plesca breitgemacht. Sie hatten sogar ein Wirtshaus eingerichtet. Später wohnte nur seine Tochter Florica mit ihrem Mann da. Zunächst schien alles gut zu gehen. Nach und nach merkte Mutter, dass uns Wäschestücke fehlten, Tischdecken, Leintücher. Manchmal sahen wir unsere vermisste Wäsche auf der Wäscheleine mit Floricas Wäsche. Mutter sagte: „Du, Florica, das ist unsere Wäsche!“ Sie verneinte es vehement. Da wurde es Mutter zu bunt, weil immer mehr Sachen heimlich verschwanden. Wir mussten irgendwie handeln, um ihr auf die Schliche zu kommen. Gedacht, getan!

Mutter blieb an einem Tag im Zimmer versteckt und ganz still. Florica fragte mich, wo Mutter sei. „Sie ist mit Essen zu Vater in den Wald – zur Lusca – gegangen.“ Vater war tatsächlich dort beim Meterholzmachen. Ich ahnte schon, was kommen würde. Florica nahm Horst zu sich, der war klein (etwa 2) und sie mochte ihn sehr, dann schickte sie mich ins Hämchen. „Geh, hol ein paar Krautblätter, ich backe Brot und brauche sie dringend.“ Ich sperrte unser Zimmer ab, legte den Schlüssel wie gewöhnlich auf das äußere Fensterbrett und ging. Mutter wusste, jetzt wird sie kommen und zitterte schon vor Aufregung. Sie versteckte sich zwischen die am Kleiderständer hängenden Kleider, der stand neben dem Kleiderschrank in der Ecke. Plötzlich merkte Mutter, dass jemand das Binnchen (den Laubengang) entlang schlich, eine Hand griff nach dem Schlüssel und kurz darauf hörte Mutter die Türe aufsperren. Mit einem Satz raste Florica zum Kleiderschrank, zog die untere Schublade heraus, ganz dicht an Mutter, die innerlich natürlich vor Aufregung bebte. „Ce faci, Florica?“ – Was machst du, Florica? Wie ein Blitz durchfuhr es die Diebin. Der Schock war so gewaltig, dass sie vor Schreck ihr Wasser abließ. Kurz darauf aber packte sie die Wut, sie gehörte ja nun zu denen, die das Sagen hatten. Sie schrie und ereiferte sich immer mehr: „Hinaus mit euch, geht zu eurem Hitler, Sachsenhure!“ usw. usf. Dann packte sie unser Bettzeug, warf es mit Wucht vom hohen Laubengang in den Hof, Decken, Kleider, Kissen hinterher. Als ich mit Krautblättern zurückkam, hörte ich schon aus der Scheune das furchtbare Gezeter und Geschrei. Mir war auch nicht wohl zumute. Ich schlich mich heran, kümmerte mich um Horst, der bitterlich weinte, Florica aber packte mit einer Hand einen Seitengriff der schweren Holztruhe und schleppte sie durch die „Lef“ (Vorraum) auf das Binnchen und die 13 Holzstufen auf der Treppe hinunter in den Hof. Eine solche Truhe voll Wäsche können kräftige Männer kaum tragen. Mutter schrie sie immer wieder an: „Du bist eine Diebin, und diese Schande kannst du dir mit sämtlicher Seife aus der ganzen Welt nie mehr abwaschen ...“ Florica schäumte vor Wut und ließ nicht nach, bis das Zimmer leer war. Alles lag im Hof durcheinander. Damit war natürlich unser „Wohnrecht“ im eigenen Haus abgelaufen. Ich weiß, dass wir anschließend in die nahegelegene Werkstatt von Koschka Fritz am Mühlkanal gezogen sind, und unser Bett auf den Wollkämmmaschinen aufgeschlagen haben. Es war Pfingsten 1946, das Wasser rauschte im Bach und der riesige Akazienbaum blühte und duftete, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Erst ab 1957 durften wir wieder in unserem Haus wohnen.

Quelle: Horst Göbbel (Hrsg.): Abschied aus der Geschichte – Jaad in Siebenbürgen – Werden und Niedergang einer deutschen Gemeinde, Nürnberg 1990, S. 327f Textauswahl: Horst Göbbel

Schlagwörter: Geschichte, Evakuierung, Göbbel

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