23. Juli 2006

Franz Hodjak: "Die Wege gehen, bis der eigene Schatten verschwindet"

"Weggefährte Wort" - Franz Hodjak las im Münchner Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas aus seinen Werken. Als einen "südöstlichen Postkakanier" stellte Dr. Peter Motzan seinen langjährigen Freund und literarischen Weggefährten Franz Hodjak, 61, vor. Er habe in das wiedervereinigte Deutschland "eine unverwechselbare Erfahrungsgeschichte und unzerstörbare Literaturbesessenheit, eine Dosis schwarzen Humors sowie eine Legierung von ironischer Neugier und illusionsloser Skepsis" eingeführt.
Franz Hodjaks Texte kreisen um Heimatverlust und das Spiel mit der gebrochenen siebenbürgischen Identität, Selbstfindung und die eigene Vergänglichkeit – also all das, was man als „Spätaussiedler“ mit einundsechzig so schreiben kann. Nein, eine „neue Heimat“ gebe es für uns freiwillig Ausgewanderten nicht. Etwas anders verhalte es sich da schon mit den Schlesiern oder Sudetendeutschen, doch auf das Glatteis einer solchen Diskussion wolle er sich hier jetzt nicht begeben. Als Verfasser von 25 Büchern zählt der aus Hermannstadt stammende Hodjak zu den produktivsten und erfolgreichsten rumäniendeutschen Autoren. Wovor also Angst haben? Den anderen mehr zu ähneln als sich selbst? Morgens beim Kaffeetrinken vom eigenen Schutzengel erschlagen zu werden (siehe nebenstehendes Gedicht)? Wohl kaum, solange dem Dichter die Worte nicht im Halse steckenbleiben: „Erkenntnis- und Unterhaltungswert, realistische Phantastik und phantastischer Realismus, Melancholie und Zynismus, Witz und Entsetzen finden in seinen Texten als untrennbare Partner zusammen“ (Motzan).

Franz Hodjak nach der Lesung mit der Literaturkritikerin Dr. Edith Konrad. Foto: Konrad Klein
Franz Hodjak nach der Lesung mit der Literaturkritikerin Dr. Edith Konrad. Gesprächsthema ist gerade die Neuerscheinung von S. Olaru und G. Herbstritt "Stasi și Securitatea", in der auch ein abstruser Stasibericht von 1972 über eine angebliche "reaktionäre (Klausenburger) Gruppierung" abgedruckt ist, der neben M. Markel, P. Motzan, B. Tontsch und B. Kolf auch F. Hodjak angehört haben soll. Foto: Konrad Klein

Hodjak, der es 1990 als Suhrkamp-Autor in den bundesdeutschen Dichterhimmel geschafft hat (Siebenbürgische Sprechübung, Landverlust, Ein Koffer voller Sand u.a.), lebt heute als freier Autor in Usingen bei Frankfurt am Main. Die beiden bislang unveröffentlichten Gedichte stellte er uns freundlicherweise zum Abdruck zur Verfügung.

kk

PS. Der Zufall will es, dass Dr. Peter Motzan Franz Hodjak am Vorabend seines eigenen Sechzigsten vorstellte. Wir gratulieren.


Franz Hodjak

Morgengedicht

Was machst du
mit einem Schutzengel, der
morgens, während du gemütlich
Kaffee trinkst und
die Welt ordnest, die du

gestern etwas
durcheinander brachtest, aus
dem Himmel stürzt und auf den Balkon
klatscht und tot liegen
bleibt. Zuerst denkst du,

Gottseidank, er hat mich
nicht erschlagen. Und dann?



Alandala

Der Abschied ist etwas
wie ein hundertprozentiger Verlaß.
Im umgekehrten Uhrzeigersinn
die Wege gehen,
bis der eigene Schatten verschwindet.
Auf dem Flohmarkt
werden Emigranten angeboten,
der neuste Film hat Erfolg
und der Wein wird gekeltert aus Narren.
Jemand
würde sich entschuldigen,
wenn er wüsste, bei wem.
Die Freiheit anstarren,
bis man sich von hinten sieht.


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 12 vom 31. Juli 2006, Seite 9)
Ein Koffer voll Sand: Roman
Franz Hodjak
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Schlagwörter: Lesungen

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