19. September 2006

Neuanfang: Lehrerausbildung in Hermannstadt 1950-1954

Über die Lage des deutschen Schulwesens in Rumänien in den fünfziger Jahren und danach berichtet Evemarie Sill. In ihrem jüngsten Klassentreffen tauschten die Absolventen der Lehrerbildungsanstalt Erinnerungen und Neuigkeiten aus.
Schulausbildung und Berufswahl setzen in Zeiten des Umbruchs Entscheidungen voraus, die Eltern und Schüler oft überfordern. Das Schulwesen in Rumänien war 1948 reformiert worden. Ende 1949 waren unsere Eltern und viele Lehrer nach fünf Jahren Zwangsarbeit aus der Sowjetunion nach Rumänien heimgekehrt oder auch nicht. Und wir, heute um die 70, standen damals vor der Entscheidung unseres Lebens. Informationen gab es kaum, nur in Gesprächen hörte man: „Wieder Lehrerseminar in Hermannstadt oder die Lehrerbildungsanstalt“ – vertraute Begriffe.

Nach bestandener Aufnahmeprüfung waren wir nach heutigem Ermessen Fachschüler im ersten Jahrgang der „Gemischten Deutschen Pädagogischen Schule“, wie der offizielle Name lautete. Berufsziel: Lehrer. Unser Abiturabschluss war inbegriffen: Matura. Unterrichtssprache: Deutsch. In Parallelklassen an der rumänischen Schule war es alles in allem ein entscheidender Anfang am späteren „PÄDA“.

Sechs Tage die Woche brachten unsere Lehrer uns damals unter schwierigen Bedingungen (fehlende Lehrbücher, Raummangel und Unterricht am Nachmittag) Mathematik, Physik und Chemie näher sowie Geschichte, Deutsch, Rumänisch, Russisch u.a. Schulfächer und später die Methodik des Unterrichtens.

Lehrerausbildung am Päda in Hermannstadt, hier beim Klassentreffen 2006 in Bad Krozingen. Foto: Liese Buertesch
Lehrerausbildung am Päda in Hermannstadt, hier beim Klassentreffen 2006 in Bad Krozingen. Foto: Liese Buertesch

Das Wissen unserer Lehrer beeindruckte uns, aber nicht minder ihre Persönlichkeit. Auch wenn unsere gestrenge Mathematik- und Klassenlehrerin uns durch ihre Brillengläser fixierte, änderte sich nichts daran, denn durch die Liebe zu ihrem Fach waren eigentlich alle Lehrer für uns Schüler/-innen überzeugend. Unsere Naturkundelehrer Hannenheim, „Heimchen“ und Klemm, „Siroscha“ (es war der Name seines Maultiers in Russland gewesen) liebten Flora, Fauna und Landschaftsformen samt Gesteinen so sehr, dass sie regelmäßig ihre Freizeit opferten, um uns mit ihrer Leidenschaft anzustecken. So wanderten wir am Alt, in der Zibinsklamm oder im Paring-Gebirge, lernten aber auch das Donaudelta kennen.

Wir waren in Mädchen- und Jungenklasse getrennt, aber es gab viele gemeinsame Aktivitäten, ganz besonders in den Bereichen Musik und Kultur, also Gemischter Chor und Theatergruppe.

Anorak und Markenjeans - kein Thema

Wir hatten kein Geld und von teueren Klamotten keine Ahnung. Wahnsinn wäre die „Kids-Verbraucher-Analyse“ gewesen mit der Aussage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 2. August 2006: „Kinder können Geld ausgeben wie nie“ und „Jedes dritte Kind besitzt ein Handy“. Vertraut waren uns aber Besuche einer Hausschneiderin, die geerbte Kleidung passend machte oder an einem Hemd den zerschlissenen Kragen ausbesserte. Wir haben zeitweilig auch Schuluniformen getragen und eine Schülernummer auf dem linken Ärmel. Diese wurde zwecks Identifizierung und Bestrafung notiert, falls wir nach 19 Uhr abends auf der Straße oder in Lokalen gesehen wurden. Auf unseren Schulausflügen trugen wir die immer gleiche Strickjacke, gerne Windjacken und festes Schuhwerk, das nicht modisch war, aber standhielt, wenn wir die Ausläufer der Karpaten erklommen, archäologische Grabungsorte besuchten oder ein Walzwerk in Hunedoara. Für diese Klassenausflüge opferten unsere Lehrer ihre Freizeit und überredeten auch ihren benachbarten Arzt, uns zu begleiten, wobei Honorare und Versicherungen auch kein Thema waren.

H. Hesse: Mir ist Calw in Gedanken immer Heimat geblieben, obwohl ...

Sorgen hatten wir oft, aber uns sind anders als Hesse alptraumhafte Schul- oder Internatserfahrungen erspart geblieben. Kein Wunder, dass sich fast alle gerne erinnern an jene vier entscheidenden Jahre in unserer Pädagogischen Schule in Hermannstadt.
Gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen, die wir gerne bewahren möchten, die uns bewegen, prägen und bereichern, bleiben durch den Austausch der Erinnerungen lebendig. Daraus ergeben sich auch Gespräche über viele Erlebnisse „danach“ und über unser geliebtes Hermannstadt.

Klassentreffen

Es gab mehrere Treffen unseres Jahrganges oder von Teilen der Abschlussklassen 1954 Lehrer IV. A und IV. B. Das Erste war am 6. August 1955 im Ursulinen-Kloster, unserer Schule, ein sehr vertrautes Wiedersehen der Junglehrer oder Studenten.
Es folgten Jahre der Trennung durch Grenzen, politische Systeme oder neue Berufe, es gab kaum noch Verbindung, dennoch trafen sich kleine Gruppen. 33 Jahre nach unserer Matura gelang es Anneliese Zillich (Minth), uns 1987 in Aschaffenburg zu versammeln, das war fast in der Mitte Westdeutschlands, und viele kamen. Weil’s so schön gewesen und auch die Grenzen dann geöffnet waren, gab es 1994 das Vierzigjährige ebenda.

Als Peter Obermayer 2004 zum 50-jährigen Klassentreffen einlud, waren Ost und West auf dem Wege des Zusammenwachsens, auch Rumänien war nahe gerückt, einige Schulfreunde kamen aus Hermannstadt, nur wenige konnten an diesem Fest nicht teilnehmen. Und hier wurde der Wunsch laut, die Begegnungen in kürzeren Abständen herbeizuführen. Also reiste eine Gruppe schon im Herbst 2005 nach Rumänien und traf sich in Michelsberg, wo sie nicht nur in gemeinsame Erinnerungen abtauchte, sondern per Post auch die Verbindung zu Daheimgebliebenen suchte.

Wiedersehen im Schwarzwald

Das nächste Wiedersehen gab es am 14. Juli 2006 nach guter Vorbereitung von Hilde Maksai (Kerst). Auch dieser Einladung folgten mehr als die Hälfte unseres Jahrgangs, viele kamen mit Ehe-/Lebenspartner(innen), die dazugehören. Und es gab eine „Ausleihe“ vom uns nachfolgenden Jahrgang: Liese Buertesch, der wir besonders dankbar sind, dass sie in der kurzen Vorbereitungszeit ihrer Schwester Hilde zur Seite gestanden hat und zum guten Gelingen beitrug. Und so war das Programm am Freitag, dem 14. Juli:

Wiedersehen, Warmwerden kein Thema bei 36° Hitze, aber viele Verspätungen per Bahn. Nicht alle kamen ins „Wohlfühlhaus“ und in die Therme „Vita Classica“. Es folgte eine Rebbergführung, da ging es zur Sache: Landschaft, Klima, Rebsorten, Arbeit und Vermarktung. Trotz großer Hitze auf dem steilen Wingertweg war das Interesse geweckt, erst recht, weil Namen und auch Fachwörter der Winzersprache vielen gut bekannt waren. Da im siebenbürgischen Unterwald in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Nachsiedler vom Oberrhein eine Heimat gefunden haben, sind einige Ähnlichkeiten in der Winzersprache besonders reizvoll. Die Mühen des Weges wurden belohnt durch eine Weinprobe und Vesper im Weinhof der Winzergenossenschaft, wo Gutedel und Burgunder uns unter Bäumen mundeten und so manche Zunge lösten, vielleicht auch für das Gelingen jener „Singstunde mit Erika“ zuständig waren. Ein Rundgang ließ uns den schönen Kurpark und Teile der Stadt Bad Krozingen erkunden.

Der Samstag sollte uns den lieblichen Südwesten Deutschlands durch einen Ausflug im Bus näher bringen. Ja, was kann man sonst tun bei 30°, ja 35° und mehr, als auf die Höhen des Schwarzwalds zu fahren? Durchatmen und den Blick schweifen lassen, gute Stimmung war im Bus vorhanden. Unser Fahrer und Reiseführer Armin war auch kein zielgruppenfixierter Marketingexperte und Animateur, vielmehr vor allem Schwarzwälder und als solcher erzählte er sachkundig über seine Heimat. Er wies auf besondere Gehöfte hin und nannte typische Namen, über Hausbau und Gewerbe erzählte er auf der Fahrt durch das Glottertal und die Deutsche Uhrenstraße. So ging es weiter, das Brauchtum, Klima und Vegetation kamen auch nicht zu kurz, während Belchen und Schauinsland, vom Hörensagen gut bekannt, uns hier ganz nah erfreuten. Mit Pausen und Besichtigungen haben wir kennen gelernt: St. Peter auf dem Schwarzwald, St. Märgen, Titisee, Schluchsee, St. Blasien, Bernau, Todtnau und das Münstertal. Das war nicht wenig!

Doch beim nächsten Mal nehmen wir uns noch mehr Zeit, dann reicht’s auch für die Gässle, Bächle und das Münster in Freiburg.

Alle Erinnerung ist Gegenwart oder Abendessen und Festbankett

Bei diesem geselligen Beisammensein war der letzte zu spät gekommene Klassenfreund auch anwesend. Hilde las Briefe jener vor, die an diesem Treffen nicht teilnahmen. Es gab Vorträge und auch Gespräche im Plenum und in Gruppen bei Tisch. Der Einladung hatte Hilde Maksai (Kerst) ein geflügeltes Wort von Novalis vorangestellt: Alle Erinnerung ist Gegenwart.

Und so ging es den ganzen Abend um „damals“ und „heute“, zum Beispiel mit der diskreten Frage „ob wir doch Auslaufmodelle sind?“ Sie wurde von Jutta Matzenauer (Sipos) in Versform verfasst, vorgetragen und zur Diskussion gestellt. Inge Connerth (Billes) unterhielt uns mit Tierfabeln, während Thomas Grau Wörtlich, allzu Wörtliches präsentierte, das missverstanden werden kann oder muss. Ende offen.

Abschied und Reisesegen

Der Sonntag stand im Zeichen von Abschiednehmen und Aufbruch. Thomas Grau und Peter Obermayer, unsere Pfarrer, haben gemeinsam mit Anneliese Zillich (Musik) auf allgemeinen Wunsch einen siebenbürgischen Gottesdienst gestaltet, für den das Haus der Kurseelsorge einen adäquaten Rahmen bot. Und wieder ist aufgefallen, wie vertraut die Umgangsform und wie angenehm das gemeinsame Feiern von uns zeitweiligen Weggefährten ist.

Evemarie Sill

Schlagwörter: Hermannstadt, Pädagogik, Schulgeschichte

Bewerten:

1 Bewertung: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.