1. Juli 2007

Literarische Zentren Südosteuropas

An der Universität Ljubljana (Laibach) in der Hauptstadt Sloweniens fand am 24. und 25. Mai die wissenschaftliche Tagung „Literarische Zentrenbildung in Ostmittel- und Südosteuropa. Theoretische Entwürfe und Fallbeispiele“ statt, organisiert von der Germanistik-Abteilung der Philosophischen Fakultät der Laibacher Universität sowie vom Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS). Die Tagung bezog, neben Rumänien, Slowenien und Ungarn als zwei weitere Regionen des südöstlichen Europas in den wissenschaftlichen Diskurs über literarische Zentrenbildung ein.
Seitens der slowenischen Gastgeber begrüßten Prof. Dr. Neva Šlibar, Leiterin der Germanistik-Abteilung, und Lehrstuhl-Inhaberin Prof. Dr. Mira Miladinović Zalaznik die Tagungsteilnehmer aus Deutschland, Rumänien, Ungarn und der Slowakei. Sie und IKGS-Direktor Prof. Dr. Stefan Sienerth erinnerten an die langjährige gute Zusammenarbeit zwischen den Institutionen, die in mehreren wissenschaftlichen Veranstaltungen ihren Niederschlag fand – zuletzt auf einer gemeinsamen Tagung in Strunjan/Slowenien, deren Ergebnisse in dem von Mira Miladinović Zalaznik, Peter Motzan und Stefan Sienerth herausgegebenen Sammelband „Benachrichtigen und vermitteln. Deutschsprachige Presse und Literatur in Ostmittel- und Südosteuropa im 19. und 20 Jahrhundert“ zusammengefasst sind.

Die Tagung hatte sich das Ziel gesetzt, durch die Darstellung der „literarischen Zentren“ die örtlichen Bedingungen sowie das Umfeld erkennbar zu machen, in dem sich Literatur entfaltet und wahrgenommen wird. In seinem Einführungsvortrag kam Prof. Dr. Jürgen Lehmann (Erlangen – Nürnberg) auf die Besonderheiten von Czernowitz als regionales „Zentrum einer Randliteratur in fremdkulturellem und fremdsprachlichem Umfeld“ zu sprechen. Prof. Dr. Thomas Krefeld (München) brachte Überlegungen zu literarische Rändern und Zentren aus dem Blickpunkt der Sprachgeschichtsschreibung ein. Die Sondersituation deutscher Autoren in Kroatien-Slawonien von 1815 bis 1918 beschrieb Dr. Wolfgang Kessler (Herne). Wie sich die Presse, das Verlagswesen, literarische Zirkel und Gruppierungen, das Theater sowie Schulen und Hochschulen auf die literarische Zentrenbildung auswirkten, untersuchten Prof. Dr. Stefan Sienerth und Eduard Schneider, M. A. (München), am Beispiel der literarischen Zentren Bukarest und Temeswar in der Zeitspanne 1944–1989. Mit der Entstehung und Wirkung literarischer Zentren in Ungarn befassten sich Prof. Dr. András Balogh (Klausenburg, Budapest), der die Entwicklung des deutschsprachigen literarischen Lebens in der ungarischen Hauptstadt aufzeigte, und Dr. Sándor Komáromi (Budapest), der Ödenburg „als literarisches Provinzzentrum“ vorstellte. Den Platz, den der Hochschulbetrieb und das Schulwesen bei diesen Entwicklungen einnahmen, erörterten PD Dr. Mariana Hausleitner (München), Assistentin Irena Samide (Ljubljana) und Dr. Ioan Lăzărescu (Bukarest).

Weitere Referate beschäftigten sich mit der Mittlerfunktion des Druckereiwesens sowie der Tätigkeit und Bedeutung literarischer Zirkel. Prof. Dr. Mira Miladinović Zalaznik würdigte die übergreifende kulturelle Leistung des Laibacher Druckers Joseph Blasnik, während Prof. Dr. Stane Granda (Ljubljana) die Arbeit des Rudolfswerther Druckers Janez Krajec ehrte, der die gesammelten Erzählungen des populären Jugendschriftstellers Christoph von Schmid in slowenischer Sprache publiziert hatte. Doktorandin Tanja igon (Ljubljana) machte mit dem „Grillparzer-Verein“ näher bekannt, einem Literaturzirkel, der von Krainern in Wien nach dem Tod des Dichters gegründet worden war. Über die Aktivitäten des Kulturkreises der deutschen Studenten in Klausenburg (1957–1959), der sich unter anderem auch der Förderung und Diskussion deutscher Literatur angenommen hatte, berichtete Dr. h.c. Joachim Wittstock (Hermannstadt). Dieser kam dabei auch auf die Verhaftung des Zirkelleiters Eginald Schlattner durch die Kommunisten zu sprechen, der seine Erinnerungen aus der im Gefängnis verbrachten Zeit in einem Roman festgehalten hat.

Prof. Dr. Anton Janko (Ljubljana) behandelte den Dichter Joseph Emmanuel Hilscher in seiner Beziehung zur slowenischen Literatur und würdigte ihn als bedeutsamen Byron-Übersetzer. Zwei Persönlichkeiten der rumäniendeutschen Literatur, beide Romanciers und Essayisten, den Bukarester Oscar Walter Cisek sowie den Siebenbürger Hans Bergel, stellte Assistentin Raluca Rădulescu (Bukarest) vor. Auf Echos der Herkunft im Œuvre des rumänischen Dichters Stefan Baciu, der Gedichte über heimische Themen auch in deutscher Sprache verfasste, machte Dozentin Dr. Mariana Lăzărescu (Bukarest) aufmerksam. Gleichzeitig betonte sie auch den Beitrag Bacius, der nach Brasilien ausgewandert war, als Mittler zwischen südosteuropäischen und südamerikanischen Kulturen. Die Erforschung der deutschsprachigen Literatur Südosteuropas und ihrer Wechselbeziehungen mit anderen Literaturformen dieser Vielvölkergebiete, so wie sie auf der in Ljubljana veranstalteten Tagung vorgenommen wurde, verspricht auch weiterhin beträchtliche Erkenntnisgewinne.

E. Sch.

Schlagwörter: Tagung, Literaturgeschichte, Südosteuropa

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