3. August 2008

„Mediascher Mondfahrt“: Filmdokument aus den 1930er Jahren gesucht

Auch diejenigen unter uns Siebenbürger Sachsen, die die Stadt nicht näher kennen, assoziieren mit Mediasch eine frühe Wirkungsstätte von Hermann Oberth, der bekanntlich als einer der Väter der Raumfahrt gilt. Als Professor für Mathematik und Physik am Stephan-Ludwig-Roth-Gymnasium beschäftigt, hat er in den 1930er Jahren eine Reihe von Experimenten mit Raketentriebwerksmodellen durchgeführt, die er in den Werkstätten der so genannten Flie­gerschule herstellen ließ.
Von seinen Schülern ließ er sich nur allzu gerne überreden, statt des Unterrichts seine Gedanken zum Flug ins Weltall darzulegen. Dass die Mediascher bereits vor Oberth ein besonderes Verhältnis zum Mond hatten, dürfte indes weniger bekannt sein.

Möglicherweise angeregt von Jules Vernes Büchern „Von der Erde zum Mond“ (1865) und „Die Reise um den Mond“ (1870) und vielleicht auch durch Gert von Bassewitz’ phantastische Geschichte von „Peterchens Mondfahrt“ (1911/ 1915), machten sich die Mediascher ihre eigenen Gedanken zu diesem Thema. Davon legt etwa ein Beitrag aus der Ausgabe 1895 der Sylves­terzeitung des örtlichen Turnvereins ein bered­tes Zeugnis ab. Unter dem Titel „Ein Zukunfts­traum“ erschien eine Satire, die nachgerade als prophetisch bezeichnet werden kann. Der ano­nyme Autor ersinnt eine Zeitreise ins Jahr 1996 und erträumt das Bild eines „modernen“ Me­diasch, das beim heutigen Leser wohl bestenfalls ein Schmunzeln bewirken dürfte. Der Zeitreisen­de findet eine Stadt vor, die ihren Wohlstand dem blühenden Handel mit dem Mond verdient! „Mit der fortschreitenden Verbesserung der Flugmaschinen und Luftballons hatte sich ein reger Verkehr mit den Mondbewohnern entwickelt. Es hatten sich der europäischen Industrie dadurch neue Absatzgebiete eröffnet.“ Diese Auskunft erteilt ein „Zeitgenosse“ vom Ende des 20. Jahrhunderts und stellt sich seinem fiktiven Besucher und den Lesern der Sylvesterzeitung vor als „Adolf Haltrich, Fabrikant von Flugma­schinen und zugleich Obmann des Mediascher Flugklubs“.
Technikeuphorie auf Schäßburger „Zukunftskarte“ ...
Technikeuphorie auf Schäßburger „Zukunftskarte“ anno 1913. Sammlung Konrad Klein
Jules Vernes Idee vom Leben auf dem Mond und der Reise dorthin wird hier in bemerkenswerter Weise weiter gesponnen. 1895 meinte man demnach, dass Flugmaschinen und Luft­ballons für den Flug zum Mond bereits im 20. Jahrhundert entwickelt werden und man träum­te in dem verschlafenen Städtchen gar von einer eigenen „Flugmaschinenfabrik“. Die „Zukunfts­karte“ aus dem benachbarten Schäßburg macht deutlich, wie sehr solche Phantasien dem Zeit­geist am Anfang des 20.Jahrhunderts entsprachen. Besonders interessant ist, dass man den Bau dieser Fabrik dem jungen Adolf Haltrich (1868-1957) zutraute, einem der Protagonisten der „Mediascher Mondfahrt“. Es würde übrigens zu Haltrich passen, wenn er auch den Beitrag für die Sylvesterzeitung selbst verfasst hätte.

Haltrich, der rührige Schlossermeister, dessen Lehrlinge seinen Ruhm später in die weite Welt hinaustrugen, war über viele Jahrzehnte eine nicht wegzudenkende Größe im gesellschaftlichen Leben der Stadt – ein von seinen Mitbür­gern gleichermaßen bewundertes wie belächeltes Original. 1894 gründete er den Mediascher Radfahr-Club, 1896 gehörte er zu den Mitbe­gründern der als „Octett“ bekannten Gruppe sangesfreudiger Männer. Unter Haltrichs Regie wurde in den frühen 1930er Jahren auch ein Amateurfilm gedreht, der eine Mondfahrt des „Octetts“ zum Thema hatte. Dass es sich hierbei nicht um eine Schnurre Mediascher „Fleose­maocher“ handelt, hat Hans Barth in einem Beitrag für die Karpatenrundschau (KR vom 30. Dezember 1983) gezeigt. Er konnte sich dabei auf einen älteren Artikel von Heinz Stănescu im Neuen Weg (NW vom 15. Oktober 1965) berufen, der wiederum aus einer Rede zitierte, die Haltrich 1936 bei der Feier zum 40. Jubiläum des „Octetts“ gehalten hatte. Hans Barth schreibt: „Im Jahre 1931 war Willy Folberth (der Kameramann der „Mediascher Mondfahrt“, Anmerkung des Verfassers), der vor 37 Jahren den großen Teich überquert hatte, um sein Glück in Amerika zu versuchen, zu Besuch in seine alte Heimat gekommen. Folberth war un­terdessen nicht nur ein sehr berühmter Erfin­der geworden, sondern auch ein reicher Mann, denn allein sein Scheibenwischer für Autos und für alle anderen Kraftfahrzeuge hatte ihm 95 Patente eingebracht. (…) Um seinen sozialen Status zu beweisen, kam Willy Folberth, der als mittelloser Schlosser ausgezogen war, mit eigener Filmkamera und eigenem Projektionsappa­rat angereist. Seinen alten Freunden und Lands­leuten zeigte er zunächst mitgebrachte Film­produktionen: Aufnahmen aus Kalifornien, dem Urwald, von Indianerkolonien in Kanada, den Stromschnellen des Colorado usw.“.
Während dieses Besuches ereignete sich eine Begebenheit, die mit Haltrichs eigenen Worten so geschildert wird: „Mit Hilfe dieser wertvollen Apparate konnte ich nun an die Ausführung eines schon langgehegten Traumes gehen – und zwar irgendwelche lustigen Personen aus unserem Alltag zu filmen. Mein Projekt, eine Per­siflage auf die Raketenfahrt zum Mond steigen zu lassen, fand allseits freudigste Zustimmung – und es war kaum zu glauben! – der leibhaftige Phantast und Gelehrte Prof. Dr. Hermann Oberth, ein Mediascher Kind Schäßburger Abstammung, übernahm in höchsteigener Person die Haupt­rolle! Binnen drei Tagen hatten wir alle notwendigen Gerätschaften beisammen, und mein Burggrund wurde der Schauplatz dieses welterschütternden Ereignisses. Octettler – vollständig vertreten – bildeten die Komparsen und das staunende Publikum, die Augenzeugen eines ‚Zirkus‘ von fünf Szenen – zum Kranklachen! Als aber dieser Film dann in Wien entwickelt worden war und die Bilder auf der Leinwand in ‚wunderbarer Wirklichkeit‘ abrollten, gab es einen großen Teil der Zuschauer, welche an die Echtheit dieser ‚Mediascher Raketenfahrt‘ glaubten.“

Vom Film fehlt heute jede Spur. Dass er tatsächlich gedreht wurde, wissen wir aus drei Quellen. Die wichtigste ist die eben zitierte Rede Haltrichs, deren Original verschollen ist. Sodann weiß man, dass Regine Draser, die Frau des Octettlers Andreas „Titz“ Draser, neben ihrem Mann als Komparse mitgewirkt hat. Sie erzählte ihren Enkeln, dass Haltrich für den Film die Rakete gebaut habe. Und schließlich hat sich auch Hermann Oberth selbst gegenüber Hans Barth zu dem Film geäußert. „Es hat den Film wirklich gegeben!“

Übrigens hatte Oberth bereits 1928 schon ein­mal in einem Science-Fiction-Film mitgewirkt, als wissenschaftlicher Berater, nach dessen Plä­nen die Filmrakete gebaut wurde. Die Rede ist von Fritz Langs berühmtem Stummfilm „Die Frau im Mond“. Vielleicht wurde er auch in Hal­trichs Mediascher Kino gezeigt? In jenen Jahren verfasste auch Anton Maly in Hermannstadt einen Dreiakter mit dem Titel „Die Mondrakete“ (1931). Ob Haltrich dieses Stück zu seinem Film-Jux im Weinberg inspirierte? Hat eine Suche nach der „Mediascher Mondfahrt“ heute, gut 75 Jahre nach ihrer Entstehung, überhaupt eine Erfolgschance? Ist der Film, wie Hans Barth 1983 vermutete, in die USA gelangt? Die Nach­kommen von Willi Folberth in den USA, Fred Geist Folberth, der 1925 geborene jüngste Sohn, und die Enkel Carl Goodwin, Sue Goodwin Pey­ron und William Folberth jun. nahmen gerne an der Suche nach dem Streifen teil. Die Familie bewahrt viele Erinnerungsstücke an den be­rühmten Großvater auf, darunter auch zahlreiche ab 1926 gedrehte Urlaubsfilme. Die Enkel haben uns die digitalisierten Filme zur Verfü­gung gestellt. Doch darunter befindet sich keine einzige, auch noch so kurze Szene aus Sieben­bürgen bzw. aus Mediasch, und auch nicht die „Mondfahrt“, leider. Es ist wohl davon auszugehen, dass der Film nie in die USA gelangt ist.

Einem anderen Hinweis nach sollen die in Me­diasch aufbewahrten Filmrollen in den 1950er Jahren in die Hände offizieller rumänischer Stel­len gekommen seien. Ausschnitte daraus seien in einem Dokumentarstreifen verwendet worden, der mit Luft- oder Raumfahrt zu tun hatte. Die Jahre 1955-1965 waren bekanntlich beweg­te Jahre, was den Wettlauf im All angeht. Mit „Sputnik“, dem ersten künstlichen Erdtraban­ten, mit dem Weltraumflug der Hündin Laika und schließlich mit Juri Gagarin als erstem Men­schen im All triumphierte die sowjetische Raum­fahrt für kurze Zeit, und damit hat sich auch das Bukarester Regime gebrüstet. Aurel Vlaicu, Traian Vuia und Henri Coandă stehen für rumänische Erfolge auf diesem Gebiet. Wem könnte ein Streifen gewidmet sein, in dem die „Media­scher Mondfahrt“ eine Rolle hätte spielen können?

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Film die Wirren der unmittelbaren Nachkriegszeit überlebt hat. 1948, als der Enteignungswahn die gesamte mittelständische Wirtschaft in Sieben­bürgen vernichtete, war Haltrich 80 Jahre alt. In einem erschütternden, bisher unveröffentlichten Dokument für den heute in Paris lebenden Historiker Michel Tănase hat Haltrich die ihm damals widerfahrenen Demütigungen festgehalten. Man warf ihm vor, einen Waggon Alt­metall unterschlagen zu haben! Hilflos musste er zusehen, wie sein Hab und Gut in 12 Wagen­ladungen abgeholt wurde. Die in gut 50 Jahren zusammengetragenen Gerätschaften, die ein halbes Technikmuseum hätten füllen können, nahmen den Weg zur Altmetallsammlung. Seit 1946 verwitwet, nun auch seiner Habe beraubt und aus seinem Haus vertrieben, zog Haltrich zu seiner Cousine Hietsch auf den Zekesch. Hier hat er, verarmt und verbittert, noch bis 1957 gelebt. Heute wissen wir, dass er einige Erinne­rungsstücke an seine früheren Glanzleistungen vor der Vernichtung gerettet hat. In den 1950er Jahren gelangten die Fahne der Mediascher Radfahrer-Clubs aus dem Jahre 1897, Haltrichs Bergmeisterdiplom von 1898 und einige Foto­grafien in das Geschichtemuseum in Kronstadt, das damals als „Stalinstadt“ (Orașul Stalin) auch Verwaltungsvorort für Mediasch war. Hand­schriftliche Vermerke auf der Rückseite der Bil­der bezeichnen sie als „Spende“ („donat Muzeu­lui raional Mediaș în 1952“). Haltrich unterschrieb mit zittriger Hand auf der Rückseite eines der Bilder. Ist es da nicht vorstellbar, ja geradezu wahrscheinlich, dass er auch die Film­rollen bei der Nationalisierung versteckte und sie in sein neues „Domizil“ mitnahm? Wurden sie eventuell mit den anderen Gegenständen übergeben? Oder hatte gar die Securitate von dem Filmstreifen erfahren und gezielt danach gesucht? Immerhin war Oberth darin zu sehen. Er, den man später voll vereinnahmen sollte, war damals für das kommunistische Regime gewiss noch eine Persona non grata, weil er mit den „Hitleristen“ kooperiert hatte. Ein Blick in die Akten des rumänischen Geheimdienstes könnte vielleicht Licht ins Dunkel bringen.

Schlummert der Film also noch in rumänischen Archiven, vielleicht gar im Kronstädter Geschichtemuseum oder im Nationalen Filmar­chiv in Bukarest? Jeder, der Hinweise geben kann oder Ideen für diese Suche hat, wird gebeten, sich bei der Redaktion zu melden oder im Gästebuch der Heimatgemeinschaft Mediasch e. V. unter www.mediasch.de.

An dieser Stelle möchte ich meinem Freund Konrad Klein für seine beständige Unterstützung während dieser Spurensuche danken. Nicht nur, dass er sie überhaupt erst angestoßen hat, er hat sie auch durch so manchen zielführenden Tipp beflügelt und begleitet.

Hansotto Drotloff


Schlagwörter: Oberth, Technik, Mediasch

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