25. März 2009

Zwangsarbeiter beim rumänischen Militärdienst

„Zwangsarbeit, die Verpflichtung zu schwerer körperlicher Arbeit; nur bei Freiheitsstrafe zugelassen; insbesondere in totalitären Staaten“, definiert das Trautweit-Lexikon, 1997, den Begriff. Tausende Siebenbürger Sachsen erlitten dieses Schicksal. Einer davon, Wilhelm Roth, Augsburg, hat den folgenden Zeitzeugenbericht verfasst.
Diktaturen sind in ihrer vielschichtigen Brutalität erfinderisch. Am 5. März 1959 – vor genau 50 Jahren – wusste keiner der Mitfahrenden in einem Personenzug ins Banat, dass wir das letzte Kontingent derjenigen waren, die ihren Militärdienst als Zwangsarbeiter erleben mussten. Die DGSM, d.h. Generaldirektion der Arbeitseinheiten beim Ministerrat der Rumänischen Volksrepublik (Direcția Generală a Serviciului Muncii de pe lângă Consiliul de Miniștri al R.P.R), nahm uns in ihre starken Arme. Wer waren wir, die wir dahin fuhren? Wie kam es dazu, dass so viele im Zug deutsch redeten?

1939 waren drei Brüder meines Vaters mit ihren Familien im Rahmen der „Heim ins Reich“-Umsiedlungsaktion nach dem Hitler-Stalin-Pakt nach Deutschland umgezogen. Nun, 20 Jahre danach, wurde ich als Neffe dieser Auswanderer vom kommunistischen Regime mit zwei Jahren Zwangsarbeit bestraft. Zwar mussten meine Verwandten seinerzeit in Deutschland auch im Lager schuften und waren NS-Repressalien ausgesetzt, aber das interessierte die rumänischen Kommunisten 1959 nicht. Nach 1945 war man als Deutscher sowieso eine Art Freiwild: Nach der Kapitulation Rumäniens wurde die deutsche arbeitsfähige Zivilbevölkerung zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert, über zwölf Prozent sind in russischer Erde geblieben.
Zwangsarbeiter beim rumänischen Militärdienst in ...
Zwangsarbeiter beim rumänischen Militärdienst in Neu-Arad, 1959. Foto: Rudolf Fischer
Es folgten die Totalenteignung, Lager und Zwangsarbeit, Entrechtung, Aberkennung der bürgerlichen Rechte, kommunistische Unterdrückung. Rumänen, Ungarn, Juden, Serben, Kroaten, Bulgaren, Türken, Rumäniendeutsche, alle mit Verwandten im Ausland, hatten dasselbe Los. Ebenso diejenigen, deren Familie vor 1945 ein Privatunternehmen hatte und nun als „Ausbeuterfamilie“ eingestuft wurde, oder junge Männer, deren Familienangehörige früher politisch tätig oder in die Mühlen der politischen Justiz geraten waren. Einige Ungarn gelangten zur Zwangsarbeit direkt aus politischen Gefängnissen. Die Freiheitsluft des Aufstandes von 1956 in Ungarn hatte sie hier in Rumänien mitgerissen. Hinzu kamen Söhne aus Pfarrerfamilien aller Konfessionen oder solche, die durch ihre religiöse Tätigkeit aufgefallen waren. Schließlich auch Kriminelle, die eine Verurteilung mit Haftstrafe hinter sich hatten oder während des Militärdienstes etwas verbrochen hatten und nun strafhalber in diese Zwangsarbeitseinheiten, die somit den Charakter eines Strafbataillons hatten, versetzt wurden.

Die Arbeitsdienstjahre – von 1950 bis 1959 betrugen sie drei Jahre, danach zwei Jahre – wurden offiziell als Wehrpflicht deklariert. Kahl geschoren, eine Handvoll DDT (Insektizide) auf kahl geschorenen Kopf, unter die Arme und auf die Genitalien, wurden wir in die für diese Sondereinheiten entwickelte „Uniform“ gesteckt. Deren Farbe war ein undefinierbares grau-blau, mit erdbraunen Epauletten und Kragenspiegeln, Kennzeichen der „Gattung“ war ein auf der Achselklappe angebrachtes, gleichschenkliges Dreieck, über dem sich ein Spaten und eine Spitzhacke kreuzten, Schnürschuhe, Fußlappen, Keilhosen, Russenhemd („Rubaschka“), ein Käppi, ein Gürtel aus Hanffasern, im Winter eine abgesteppte Wattejacke („Pufoaica“) und abgesteppte Wattehosen, als Kopfbedeckung eine Russenmütze mit Ohrenklappen. Die Unterwäsche wurde einmal wöchentlich gewechselt. Die Offiziersuniform wich nur in der Farbe (mausgrau) von der des rumänischen Landheeres ab. In der zweiten Woche mussten wir den Fahneneid ablegen. Zwei aus unserer Einheit verweigerten ihn aus religiöser Überzeugung, obwohl sie wussten, dass sie dafür ins Militärgefängnis kamen. Sie waren erst 20 Jahre alt und haben bewusst acht Jahre Militärgefängnis auf sich genommen, sollten sie nach zwei Jahren Kerker nicht den Fahneneid geleistet haben.

Untergebracht waren wir je nach Baustellen in Baracken, ehemaligen Lagerhallen u. Ä. Eine Einheit, der ich im Sommer 1959 angehörte, war von August bis Ende Oktober in einem ehemaligen Schafstall am Feld „einquartiert“. Das Stroh des Daches schützte uns nur vor dem Morgentau. Der Regen ging gleich durch. Der Monatssold eines Soldaten betrug 7,50 Lei (Wert von 7 frankierten Briefen) und 10 Zigaretten pro Woche. Ein nicht genehmigtes Fernbleiben von 24 Stunden musste der Garnison gemeldet werden und man wurde als Deserteur registriert. Wer länger als drei Tage ausblieb, wurde mit sechsmonatiger Haft im Militärgefängnis bestraft. So etwas ist öfters vorgekommen, vor allem wenn die Braut nicht mehr warten wollte und einen anderen heiratete. Die Bewaffnung der 15 000 Mann bestand aus zehn Gewehren aus dem Ersten Weltkrieg. Die Munition wahrscheinlich auch. Die Torwache des Banater Kommandaments in Temeswar verfügte über eines davon. Mit dem Rest war die Wachmannschaft in Sackelhausen ausgerüstet, die die Deserteure bis zur Einlieferung ins Militärgefängnis bewachte. Die obligaten Tag- und Nachtwachen aller Einheiten hatten eine Eisenstange als „Waffe“. Damit sollte der Wachhabende auf eine aufgehängte Schienenstange schlagen, wenn wir vom Feinde (sprich der Armee der imperialistischen Westmächte) angegriffen worden wären. Auch wer in der Nacht zweimal je zwei Stunden Wachdienst hatte, musste am folgenden Tag seine zehn Stunden arbeiten. In all diesen Jahren ist nicht eine Stunde militärische Ausbildung durchgeführt worden. In den vorangegangenen Jahren wurden DRDM-Soldaten auch in Privatquartieren untergebracht (wie auch manche Zwangsarbeiter im Nazi-Deutschland).

Die Einheiten (Detachements) gliederten sich in Kompanien, denen drei bis vier Züge unterstanden. Jeder Zug setzte sich aus vier Gruppen mit je zehn Mann zusammen. Die Einheiten waren unterschiedlich groß, überschritten aber nur selten 1100-1200 Mann. Befehligt wurde ein Detachement von einem Offizier im Rang eines Hauptmanns bzw. Majors. Seine zwei Stellvertreter waren für politische Erziehung bzw. für das Kommando zuständig. Ferner gehörten dazu ein Verwaltungsfachmann und ein Sanitätsoffizier sowie wehrdienstpflichtige, von der Arbeit befreite, politische Erzieher im Rang von Sergeanten oder Unterfeldwebeln. Nicht arbeitspflichtig waren auch die Zugführer (Sergeanten), während die Gruppenführer (Korporale oder Gefreite) auch arbeiten mussten. Jede der fünf Regionaldirektionen in Rumänien hatte 1960 die Stärke von 15 000 bis 20 000 Mann, woraus zu schließen ist, dass jährlich über 100 000 junge Männer in diesem Bereich Zwangsarbeit leisteten. Politisch überwacht wurden alle DGM-Einheiten von Cl-Offizieren (Abwehrfachleuten), die der Securitate angehörten. Außer dem leitenden General (uns 15 000 Mann im Banat befehligte General Trifan) und den politischen Bildungsoffizieren, die Parteiaktivisten waren, waren auch die Offiziere Strafversetzte. Oberst Crintea Eugen (gebürtig aus Zernen/Zărnești) z.B. war aus der Militärakademie hierher versetzt worden, weil seine Mutter eine Wienerin war. Ein anderer, Major Tiberiu Grad, der als Jude Auschwitz von innen gesehen hatte und beim Staatssicherheitsdienst zum Major aufgestiegen war, musste zu uns ins Banat, weil seine Verwandten nach Israel ausgewandert waren. Leningrader Offizierschulabsolventen wurden im Zuge des Erkaltens der rumänisch-russischen Beziehungen (wegen Spionageverdachts) her versetzt, andere waren gewöhnliche strafversetzte Kriminelle.

Wir wurden für alle Arbeiten eingesetzt, für die man nur schwer Arbeitskräfte bekam, z.B. Reinigen von Stadtabwasserkanälen, Bau von Kanälen für Bewässerungsanlagen und Reisplantagen, Flussbettvertiefen im Winter (Reschitza) in Gummistiefeln (Frostbeulen an den Füßen waren an der Tagesordnung), bis zu Arbeiten am Bau oder an Hochöfen. Andere wurden in der Petroleumförderung, Pipelinebau, zum Streckenbau bei der Bahn, in Steinbrüchen, im Straßenbau und Bergwerken eingesetzt. Überall gab es solche Einheiten. Jede Einheit hatte einen Verwaltungsapparat wie ein normales Unternehmen mit Buchhalter, Kassier, Arbeitsnorm-Aufsteller usw. Hinzu kamen das Verpflegungspersonal und Offiziere in überwachender Stellung. Zwischen den Einheiten und den Unternehmen wurden Arbeitsverträge mit Bezahlung ausgehandelt. Das Geld kassierte der Staat.

Unser Alltag verlief folgendermaßen: 5 Uhr Aufstehen, 15 Minuten mit nacktem Oberkörper draußen Turnen (auch bei minus 20 Grad – es hat niemandem geschadet), danach Waschen. 5.45 Uhr Frühstück: ein Linsen-, Bohnen- oder Kartoffelgericht und Tee. 6.15 Uhr Abmarsch zur Arbeitsstelle, 7 Uhr Arbeitsbeginn. 10.00 Uhr: 15 Minuten Jausenpause (Brot und Speck). 13-14 Uhr Mittagspause mit warmem Essen aus dem Kessel. Nach zehn Arbeitsstunden um 18 Uhr Arbeitsende und Abmarsch in die Unterkünfte. Abendessen 19.30: ein Stück Brot, ein Stück Marmelade und eine Schale Chicoréekaffee – wie man munkelte mit Brombeigabe. Für die Mahlzeiten waren in allen Einheiten 3.650 kcal vorgesehen. Dennoch waren wir hungrig wie die Wölfe. Von 20 bis 21 Uhr Programm: Politische Bildung, Marschieren in Kolonne, Appell usw. Um 22 Uhr wurde Zapfenstreich geblasen. Pro Jahr standen uns zwölf Arbeitstage Urlaub zu.

An einem der ersten Tage belehrte uns der Militärrechtsanwalt, dass „Nichterfüllung der Norm an drei aufeinanderfolgenden Tagen als Befehlsverweigerung geahndet und mit sechs Monaten Militärgefängnis bestraft wird“. Jeder musste täglich zwischen sechs und acht Kubikmeter Erde (je nach Bodenhärte) ausschachten. Als der Winter hereinbrach, wurden die Einheiten, die in der Landwirtschaft arbeiteten, aufgelöst. Diejenigen, die ein in der Industrie brauchbares Handwerk hatten, wurden in die Industrie versetzt, die anderen wurden entlassen und im Frühjahr wieder eingezogen. Für die Bauernfamilien war das eine zusätzliche Belastung, da der Sohn, Ehemann oder junge Vater im Sommer kein Einkommen erwirtschaftet hatte und nun zusätzlich mitgefüttert werden musste. Durch den Drill war man in zwei Wochen ein gebrochener, gehorsamer, unfreier, seelisch geknechteter, kommandogehorchender Mensch.

Besonders hart betroffen hat es jene, die aus der Kriegsgefangenschaft oder der Deportation zurückkehrten und weitere drei Jahre Zwangsarbeit in Rumänien leisten mussten.

Die DGSM-Einheiten wurden im Januar 1961 aufgelöst – wohl auf internationalen Druck, da sie im Westen als Zwangsarbeitslager eingestuft wurden. Wegen Arbeitskräftemangel wurde ein Großteil des regulären Militärs nach dreimonatiger Waffenausbildung (später auch ohne) weiter als billige Arbeitskraft an vielen Baustellen wie dem Donau-Schwarz-Meerkanal, dem Straßenbau durch die Karpaten und andere eingesetzt, ohne dass die Wehrpflichtigen dafür einen Lohn erhielten. Erst zu Beginn der 90er Jahre hat diese Menschenausbeutung aufgehört.

Mehr darüber im Internet unter http://www.wilhelm-roth.de/Versc/33-DRD.htm.

Wilhelm Ernst Roth

Schlagwörter: Zwangsarbeit, Kommunismus, Vergangenheitsbewältigung, Zeitzeugenberichte

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